Ab aufs Dach – Gründächer beleben urbane Räume

Die Farbe Grün entspannt. Sie steht für Wachstum und symbolisiert Hoffnung. Grün kann es in hektischen Großstädten nie zu viel geben. Doch gerade hier nimmt die Versiegelung von Freiflächen immer mehr zu. Mehr Grün geht trotzdem: Dachbegrünung heißt der neue Trend.

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(Bild: Alison Hancock/stock.adobe.com)
(Bild: Alison Hancock/stock.adobe.com)

In Deutschland sind laut der Europäischen Föderation der Green Roof Associations bisher circa 86 Millionen Quadratmeter Dachfläche (Stand 2014) begrünt. Gründächer gehören zur nachhaltigen Bauweise einer modernen Städtearchitektur. Die Vorzüge von grünen Dächern sind schon lange bekannt, trotzdem herrscht hier noch viel Potenzial.

Heute können ganze Parklandschaften auf Dächern angelegt werden und dazu ist nicht einmal unbedingt ein Flachdach nötig. Phantasie und Kreativität sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Von leichten Mosen, Trockengräsern und verschiedenen Sedumarten, die in der Pflege sehr anspruchslos sind, über mehrjährige winterharte Kräuter bis hin zu blütenreichen Gärten mit Obst- und Gemüsepflanzen ist, je nach Platz, Lage und gewünschtem Pflegeaufwand, alles möglich.

Begrünte Dächer lassen sich vielseitig nutzen. Pflegearme Naturschutzflächen, erholsame Dachgärten oder gar Dach-Cafés bieten den Hausbewohnern ein nahes Naturerlebnis und Ruhezonen. Mit einem Dachgarten können beispielsweise Vermieter für die Hausbewohner mehr Wohn- und sogar Lebensqualität schaffen.

Intensive und extensive Dachbegrünung

Eine extensive Dachbegrünung eignet sich insbesondere bei Sonne, Wind und Trockenheit als Standortbedingungen. Bei einer Aufbauhöhe von 5 bis 20 Zentimetern finden Moos-Sedum- und Gras-Kraut-Bepflanzungen Platz, die einen geringen Pflegeaufwand und keine Bewässerung benötigen. Das Dach ist nur auf Wartungswegen begehbar.

Die intensive Dachbegrünung ist mit dem Aufbau eines Gartens vergleichbar. Der Systemaufbau ist mit 15 bis 200 Zentimetern deutlich höher als bei der extensiven Begrünung, erfordert einen dementsprechend höheren Pflegeaufwand sowie eine regelmäßige Bewässerung. Die Bepflanzung mit Sträuchern, Gräsern, Bäumen und Stauden ist möglich.

Grüne Dächer haben viele Vorteile

Insbesondere Flachdächer bieten sich für die Errichtung eines Gründachs an. Die betriebswirtschaftlichen und ökologischen Vorteile für Hauseigentümer und Vermieter sind enorm.

Ein begrüntes Dach hält wirksam Regenwasser zusammen und entlastet so die Kanalnetze. Das Wasser verdunstet und bleibt im natürlichen Wasserkreislauf. Indirekt wird zusätzlich das Risiko von Überschwemmungen bzw. Kellerüberflutungen reduziert. Gründächer verbessern die Wärmeisolierung. Der grüne „Pelz“ dämmt im Winter und kühlt im Sommer. Laut einer Untersuchung von Prof. em. Dr.-Ing. Gernot Minke vom „Zentrum Umweltbewusstes Bauen“ in Kassel seien die Wärmeverluste in den Wintermonaten mit Gründächern bis zu 19 Prozent geringer als bei üblichen Flachdächern.

Als natürlicher Schalldämpfer träg ein grünes Dach zu einem angenehmeren Wohnklima bei. Sogar die Abschirmung hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung von Mobil-Sendeanlagen kann mit einem Gründach erreicht werden. Die Kombination aus Bewuchs und Substratschicht schützt außerdem die Abdichtung der Dächer vor UV-Einstrahlung sowie Verwitterung und steigert zusätzlich ihre Lebensdauer.

Die Bepflanzung produziert einerseits Sauerstoff, verbraucht andererseits Kohlenstoffdioxid. Gründächer filtern die Luft, entfernen Staub sowie Schadstoffe und liefern so einen wichtigen Beitrag zur Reinhaltung der Oberflächengewässer und des Grundwassers. Bis zu 0,2 Kilogramm Staub und Schadstoffpartikel wie Kohlenmonoxid, Feinstaub und Stickoxide werden laut des Deutschen Dachgärtnerverbandes (DDV) pro Quadratmeter aus der Luft gefiltert.

Ein begrüntes Dach erfreut das Auge und liefert zusätzlich einen wichtigen Beitrag zur Artenvielfalt. Bepflanzte Dächer bieten verschiedenen Pflanzen und Tieren ein Stück mehr, des sonst eher seltenen grünen Lebensraumes in der Stadt. Schmetterlinge, Insekten und Vögel finden ein neues Zuhause.

Förderungsmöglichkeiten für die Dachbegrünung

Grundsätzlich lohnen sich Gründächer aus betriebswirtschaftlicher Sicht meist sogar ohne Fördergelder. Finanzielle Unterstützung kann allerdings nie schaden. Mittlerweile gibt es in einigen Städten und Kommunen diverse finanzielle Möglichkeiten für private oder gewerbliche Bauherren und Kommunen, die Dächer im Rahmen eines Neubaus oder einer Sanierung begrünen möchten. Die Palette der Bezuschussungen ist vielseitig. Sie reicht von direkten finanziellen Zuschüssen über Kostenersparnisse bei den jährlichen Niederschlagswassergebühren bis hin zu zinsgünstigen Krediten.

Regional übergreifend unterstützt beispielsweise der Bund mit dem Förderprogramm „Energieeffizient Sanieren“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs. Zur Modernisierung und Instandhaltung von Altimmobilien können  Dachbegrünungen ebenfalls eingesetzt werden.
Ausführliche Informationen zu Fördermöglichkeiten gibt es beim Deutschen Dachgärtnerverband (DDV).

Beispiele für Gründächer in Berlin

In der Hauptstadt hat die Begrünung von Dächern bereits eine lange Tradition. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es um die 2.000 begrünten Dächer in Berlin. Viele bereits bestehende Flächen sind allerdings bisher nicht dokumentiert. Zahlen liegen nur für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg vor. Hier gibt es derzeit ca. 320 Gründächer auf geschlossenen Wohnblöcken. Dachgärten und begrünte Dächer gewinnen immer mehr an Popularität.

Gründach mit Tradition: Das heutige Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin e. V. am Teufelssee ist im Gebäude eines ehemaligen Wasserwerks untergebracht. Bereits 1871 wurde hier eine zehn Zentimeter dicke Sandschicht auf das Dach aufgetragen, um die darunter liegenden Filterhallen zu kühlen. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich darauf eine einzigartige Spontanvegetation. Heute finden sich hier berlinweit einmalige Rentierflechten sowie Gräser und Moose. Auf dem Grasdach leben Wildbienen und verschiedene pflanzenfressende Insekten.

Begrünung zu Forschungszwecken: Das Dach der Ufa-Fabrik ist mit einem grünen Teppich bepflanzt. Auf 6.000 Quadratmetern Fläche wachsen mehr als 1.000 verschiedene Pflanzenarten, die regelmäßig von Forschern kartiert werden. Auch die sich entwickelnde Tierwelt auf dem Dach ist Gegenstand verschiedener Forschungsprogramme.

Dachgarten mit Kultur: In Neukölln schaukeln auf dem Dach der Neukölln Arcaden die Wimpelketten im Wind. Im „Dachkulturgarten Klunkerkranich“ gibt es Kaffee, Drinks und Snacks. Außerdem wachsen hier Rosen, Apfelbäumchen, Himbeeren und Mangold in diversen Kübeln und Kästen.

Rahmenbedingungen in Berlin ausbaufähig

Während es in einigen wenigen Bundesländern (z. B. Hamburg) bereits eine „Gründachstrategie“ gibt, nach der Neubauten in bestimmten Regionen mit grünen Dächern ausgestattet sein müssen und auch gefördert werden, ist die Situation in Berlin noch offen. Im Mai 2016 verfasste das Abgeordnetenhaus einen Beschluss, der den Senat auffordert, seine Aktivitäten im Bereich der Gebäude- und Bauwerksbegrünung zu verstärken. Darin werden beispielsweise auch Vorgaben für Begrünungsmaßnahmen bei öffentlichen Neubauten und bei Sanierungsmaßnahmen von öffentlichen Gebäuden gefordert.

Außerdem erscheint im Mai 2018 das mit Spannung erwartete Weißbuch „Stadtgrün“ der Bundesregierung. Die Dachbegrünung spielt als Komponente einer nachhaltigen Stadtentwicklung dabei eine wichtige Rolle.

Um für das Thema der Dachbegrünung die Kräfte zu bündeln, planen der Deutsche Dachgärtner Verband e. V. und die Fachvereinigung Bauwerksbegrünung e. V. eine Fusionierung. Im März finden die Mitgliederversammlungen der beiden Vereine statt, welche über die Zukunft entscheiden wird. Die Vorstände sind sich einig, dass die Kooperation für die Bearbeitung der Märkte der Dach-, Fassaden und Innenraumbegrünung enorme Vorteile bringen würde.

Start ups begeistern sich für Dächer

Für das Thema der Dachnutzung begeistern sich inzwischen auch verschiedene Start-ups. Die Firma openplus aus München hat es sich beispielsweise zum Ziel gemacht, die Potenziale des Leerstands in den oberen Geschossen unserer urbanen Räume aufzuweisen. Die Idee dahinter: statt ein Einfamilienhaus auf dem Land zu bauen, lieber ein Townhouse mit Dachgarten in den fehlenden Obergeschossen der Städte zu planen. obenplus vermittelt Architekten, Planer und Handwerker, um sich diesen grünen Traum in der Stadt zu erfüllen.

Bei MQ Real Estate liegt der Fokus zwar nicht direkt auf dem Thema Dachbegrünung, aber auf der Nutzung von Dächern. Die Immobilienfirma setzt sich für eine effektive und nachhaltige Nutzung von innerstädtischem Raum ein und hat das Skypark Hotelkonzept entwickelt. Auf ungenutzten Dächern von Parkhäusern entstehen Hotels in Modulbauweise. Ein neues „niu“-Hotel wird aktuell auf dem Ring Center 2 in Berlin gebaut.

Marco Zerjav aus München von der Initiative „Gardensharing“ ist nicht nur ein Riesenfan von Dachgewächshäusern, sondern sich auch sicher, dass er damit nicht der einzige ist. Schrebergärten sind wieder im Kommen und warum nicht die vielen noch ungenutzten Dachflächen dafür umfunktionieren? Auf der Webseite gardensharingde.blogspot.de stellt Zerjav mit seinem Dachatlas eine Plattform zur Verfügung, auf der das ökologische und ökonomische Potenzial von Dachflächen digital erfasst und für unterschiedliche Interessenten aufbereitet wird.

Mehr grüne Dächer? Es ist noch Luft nach oben

Initiativen, Vereine, Vermieter, Privatpersonen – das Interesse an der Begrünung von Dachflächen ist weit verbreitet und es entstehen immer neue Ideen und Projekte, die den urbanen Lebensraum lebenswerter machen und den vielen ungenutzten Flächen neues Leben einhauchen. Die Kapazitäten sind noch lange nicht ausgereizt und ließen sich noch besser nutzen, wenn Informationen und Projekt-Ideen gebündelt würden sowie die Unterstützung von kommunalen Trägern mehr gefördert oder besser noch gefordert würden.

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Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan

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