Noch viel Luft unter deutschen Dächern

Der Bau von Wohnungen auf Dachböden kann sehr wirtschaftlich sein - auch dank vorgefertigter Holz-Beton-Verbundsysteme.

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Unter deutschen Dächern wäre Raum für etwa 1,7 Mio. Wohnungen. Foto: Andreas Jung/Panthermedia.net
Unter deutschen Dächern wäre Raum für etwa 1,7 Mio. Wohnungen. Foto: Andreas Jung/Panthermedia.net

Den Metropolen geht der Wohnraum aus. In München können zum Beispiel aufgrund der fortschreitenden Verdichtung nur noch etwa 50.000 Wohnungen gebaut werden. Berlin benötigt bis 2020 zwischen 60.000 und 100.000 neue Wohnungen; dafür wäre allerdings eine Verdoppelung der Neubauleistung erforderlich. Gleiches gilt für Hamburg. Hier liegt der zusätzliche Bedarf in den nächsten sieben Jahren bei 80.000 Einheiten. Dabei bestehen vor allem im Altbaubestand noch enorme Reserven – in den Dachgeschossen. Ein konsequenter Ausbau würde die Situation deutlich entspannen und zugleich die Wirtschaftlichkeit vieler vermieteter Objekte verbessern.

Rund 1,2 Mrd. m² Wohnfläche gibt es zurzeit in Mehrfamilienhäusern. Nur 7,5 % davon befinden sich Berechnungen des Bundesarbeitskreises Altbauerneuerung e. V. (BAKA) in den Dachgeschossen, obwohl deren Flächenanteil im Durchschnitt der verschiedenen Gebäudetypen und Geschosszahlen bei 22 % liegt. Bleiben also noch rund 170 Mio. ungenutzte Quadratmeter, was in etwa 1,7 Mio. Wohneinheiten entspricht. „Viele Eigentümer wissen gar nicht, welche Werte in ihren Immobilien stecken“, so BAKA-Vorsitzender Ulrich Zink.

Refinanzierung auf Sicht
Die durchschnittliche Miete pro Quadratmeter beträgt in München laut aktuellem Mietspiegel rund 14,50 €. Eine 80-m²-Dachgeschosswohnung brächte Einnahmen rund 13.920 € jährlich. Damit könnte ohne Einsatz von Eigenkapital bei Volltilgung innerhalb von zehn Jahren eine Investition von 116.000 € geschultert werden, bei Volltilgung binnen 15 Jahren sogar 165.000 €. In einer Spitzenlage mit 20 € Quadratmetermiete beträgt die refinanzierbare Investition 160.000 € beziehungsweise 228.000 €. Bei größeren Projekten, die mehrere Wohnungen beinhalten oder sich über ganze Häuserreihen erstrecken, ergeben sich zudem beträchtliche ‚Skaleneffekte‘ bei den Baukosten, die zu einer Reduktion von bis zu 30 % führen. Attraktive Steuervorteile locken bei staatlich ausgewiesenen Denkmalimmobilien. Der Aufwand für die Sanierung und Modernisierung kann verteilt über zwölf Jahre zu 100  % abgeschrieben werden. Im normalen Bestand ist seitens des Fiskus zurzeit noch nicht viel drin. Wird neuer Wohnraum geschaffen, greift bei nach 1924 errichteten Gebäuden die lineare Abschreibung von 2  % über 50 Jahre, bei älteren Objekten sind es 2,5  % über 40 Jahre.

„Schlummernde Kapitalreserve“
Ob und wie die „schlummernde Kapitalreserve“ – so Jürgen Michael Schick – mobilisiert werden kann, sei letztendlich ein Rechenexempel. „Investoren wie private Wohnungsgesellschaften oder Fonds zahlen zum Beispiel in Top-Lagen schon mal 1.000 € für einen Dachrohling“, so der Sprecher des Immobilienverbandes Deutschland (IVD). Eine spezielle Variante sei es, dass der neue Teileigentümer zusätzlich in die Infrastruktur, etwa in einen Außenaufzug, investiere. Dies wiederum erhöhe den Wert des gesamten Objekts.
Gefördert wird der Ausbau von Dachstühlen zu Wohnraum derzeit nicht. Seitens der Politik mehren sich inzwischen die Stimmen, die zumindest gesetzliche Erleichterungen fordern, etwa eine Befreiung von der Pflicht, zusätzliche Stellplätze zu schaffen. Bisher
liegt dies im Ermessen der Kommunen. Der Dachausbau wird allerdings durch die Baunutzungsverordnung erleichtert. Das Dachgeschoss zählt nicht mehr zur Geschossflächenzahl, die angibt, wie viel Fläche die Räume im Verhältnis zur Grundstücksgröße haben dürfen. Für eine zu vermietende Wohnung oder einen Gewerberaum ist in jedem Fall eine Baugenehmigung erforderlich. In diesem Punkt sind die ansonsten stark voneinander abweichenden Landesbauordnungen identisch.
„Die Handhabung in den einzelnen Ländern aber auch von Kommune zu Kommune ist jedoch sehr unterschiedlich“, so Dipl.-Ing. Eva Reinhold-Postina, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Baurecht. Dies gelte selbst für die Auslegung von Brandschutz- und Fluchtwegebestimmungen. Reinhold-Postina: „Schon wenn der Architekt eine grobe Vorstellung entwickelt hat, ist es sinnvoll, die Meinung der Baubehörde einzuholen.“ Auch der IVD-Sprecher erkennt eine „derzeit noch etwas holprige Praxis“. Schick: „Mitunter kommt sich jemand, der Wohnraum schaffen und dafür viel Geld in die Hand nehmen will, wie ein Bittsteller vor.“

Nach der letzten Europarechtsreform hat das Widerrufsrecht im Mietrecht mehr Bedeutung erhalten. Eine Modernisierungsvereinbarung ist nichts anderes als ein Vertrag zwischen Vermieter und Mieter. Ist der Vermieter ein Kaufmann oder eine Gesellschaft und der Mieter...

Letztendlich hängt alles von der Statik ab. 30  % aller Wohngebäude in den alten Bundesländern wurden vor 1948 errichtet, in den neuen Bundesländern sind es 65  %. ‚Alte Speicher’ sind meistens nicht für die Lasten einer Wohnnutzung ausgelegt. Das Bauamt fordert sogenannte Spannungs-, Durchbiegungs- und Schwingungsnachweise. Oft kann nur durch eine Sanierung oder gar eine Erneuerung der Decke die nötige Tragfähigkeit sichergestellt werden. So mancher Ausbau scheiterte an den Kosten. Inzwischen bietet die moderne Bautechnik preiswertere Lösungen mit sogenannten ‚Holz-Beton-Verbundsystemen‘, kurz ‚HBV‘ (siehe unten).
Ein Dachausbau dauert zwischen sechs Wochen bis zu einigen Monaten.

Autor: Manfred Godeck, freier Journalist

HBV-Systeme – Fertige Decken für fixen Ausbau
Holz-Beton-Verbundsysteme (HBV) kombinieren die Vorteile beider Baustoffe. Sie haben die zwei- bis vierfache Tragfähigkeit einer herkömmlichen Holzbalkendecke und zudem deutlich bessere Schall- und Brandschutzeigenschaften. Ihr geringes Gewicht – mind.
50 % weniger als massive Stahlbetondecken – macht manche Ausbaumaßnahme erst möglich. Inzwischen gibt es industriell vorgefertigte HBV-Decken, die auf Maß geschnitten angeliefert und binnen einen Tages montiert werden. Dadurch wird die Bauzeit deutlich verkürzt. Leerrohre für Versorgungsleitungen sind bereits integriert. Mit einer neuen Technologie, die von der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden entwickelt und im November 2012 vom Deutschen Institut für Bautechnik zugelassen wurde (Z-9.1.557), können auch Spannweiten von über 15 m realisiert werden. Die Tragfähigkeit reicht sogar für Brücken mit Schwerlastverkehr. „Die HBV-Decken lassen sich schnell und kostengünstig produzieren und sind auch bei kleinen Losgrößen wirtschaftlich“, so Dipl.-Ing. Peter Gröber, Geschäftsführer der Holzbau Gröber GmbH mit Sitz in Eberhardzell, der das System bundesweit anbietet. Der Kostenvorteil gegenüber einer handwerklichen Erstellung vor Ort beträgt rund 30  % bis 40  %.
 

Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan

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