Stromproduktion durch Wohnungsunternehmen

Die Mieter der Städtischen Wohnungsgesellschaft Bremerhaven beziehen günstigen, grünen Strom direkt vom Vermieter. Die Tochtergesellschaft der Stäwog erzeugt elektrische Energie und Wärme in eigenen BHKW. Die IVV sprach mit Geschäftsführer Christian Bruns über ein nicht alltägliches Geschäftsmodell zur Steigerung von Mieterbindung und Energieeffizienz.

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GF Christian Bruns: "Es gibt nichts öklogischeres, es sei denn, man produziert Wind- oder Solarstrom."
GF Christian Bruns: "Es gibt nichts öklogischeres, es sei denn, man produziert Wind- oder Solarstrom."

Als vor Jahren die Preisverhandlungen mit dem Fernwärmelieferanten zu keinem befriedigenden Ergebnis führten, stellte man sich bei der Stäwog die Frage, ob der Einstieg in eine eigene Energieproduktion eine Alternative sein könnte. Das Bremer Energie Institut wurde beauftragt, in einer Studie zu untersuchen, unter welchen Bedingungen der Betrieb von eigenen Blockheizkraftwerken wirtschaftlich wäre. 2007 nahm die Stäwog Service GmbH das erste erdgasbetriebene Kraftwerk in Betrieb. Mitte 2012 erzeugt das Tochterunternehmen mit drei BHKW in Nahwärmesystemen Strom und Wärme für 180 Wohnungen. Bis Ende des Jahres sollen vier weitere Kraftwerke in Betrieb gehen. Alle sieben Kraftwerke zusammen werden dann 525 Wohn- und Gewerbeeinheiten (kleine ­Läden) mit Strom versorgen können. Zum 31.  12. 2011 waren Mieter in 166 von insgesamt 187 Wohnungen Stromkunden der Stäwog, was einer Versorgungsquote von 89  % entsprach. Im Jahr 2011 hat die Energietochter des Wohnungsunternehmens durch den Verkauf von Strom und Wärme einen Umsatzerlös von 1,38 Mio. Euro erzielt.

Geschäftsführer Christian Bruns ist in Norddeutschland kein zweites Wohnungsunternehmen bekannt, das selbst Strom produziert und an Mieter verkauft. Der größte Hemmschuh für die Kollegen sei der zweite Rechnungskreislauf. Eine zweite Rechnung für Strom zu schreiben, erscheine zunächst kompliziert. Darüber hinaus bestünden Bedenken, dass Mieter den Strom nicht nachfragen und dass neben dem Mietausfallrisiko zusätzlich das Risiko entsteht, dass Mieter ihre Stromrechnung nicht bezahlen. Bruns kann diese Bedenken zerstreuen, denn er hat gegenteilige Erfahrungen gemacht. Je nach Gebäude mit eigenem Kraftwerk entschieden sich 80 bis 100 % der Mieter zum Vertragsabschluss. „Als Produzent von klimafreundlichem Strom sind wir einfach glaubwürdig“, sagt Bruns. Das Angebot ist allerdings auch preislich interessant, denn die Stäwog-Energietochter bleibt grundsätzlich 1 Ct/kWh unter dem Strompreis des Grundversorgers in Bremenhaven. Sofern der Grund­versorger den Strompreis erhöht, passt die Stäwog ihren Preis bewusst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung an. „Wir nutzen das als Marketinginstrument“, berichtet Bruns.

Ausfallrisiken werden geringer
Was das Mietausfallrisiko angeht, hat die Stäwog eine erstaunliche Erfahrung gemacht. „Da wir den Strom recht kurzfristig abstellen können, wenn Rechnungen nicht bezahlt werden, reagieren Mieter jetzt schneller und nehmen bereitwilliger Hilfen in Anspruch, um ihre finanziellen Probleme beseitigen zu können. Plötzlich nicht mehr fernsehen und kochen zu können, erzeuge eben mehr Leidensdruck als eine Räumungsklage in ferner Zukunft. Sofern die offene Forderung mehr als 100 Euro beträgt, kann die Stäwog einem säumigen Mieter nach rund fünf Wochen den Strom abstellen.

Die saubere Abgrenzung eines zweiten Rechnungskreises, die steuerrechtliche Trennung von Mieterlösen und Einnahmen aus dem Stromverkauf sowie die Verträge mit dem Grundversorger und dem Stromnetzbetreiber machten die Gründung einer Tochtergesellschaft erforderlich. Darüber hinaus bündelt die Stäwog Service GmbH den Erdgaseinkauf für drei weitere Wohnungsunternehmen mit insgesamt 10.000 Wohnungen. So addierte sich 2011 ein Bedarf von rund 45 Mio. kWh Gas.

Kuriositäten der Energiewende
Dauerhaft wirtschaftlich sei die Stromproduktion nur durch den Verkauf an die Mieter. Wer die Energie ausschließlich ins allgemeine Stromnetz einspeise, erziele lediglich den an der Leipziger Strombörse gebildeten Preis. Der belief sich im Mai auf 5,6 Ct/kWh (durchschnittlich 4,9 Cent im I.  Quartal 2012). Auf dieser Grundlage überschreiten BHKW die Grenze zur Wirtschaftlichkeit nur dank der staatlichen Zulage zur Förderung von Kraftwärmekopplung (5,11  Ct/kWh) – und die ist auf zehn Jahre begrenzt. Durch den Verkauf des Stroms an Mieter erzielt die Stäwog-Tochter dagegen rund 17 Ct/kWh. Auch wenn die KWK-Zulage nach einem Jahrzehnt wegfällt, bleibe der Betrieb der Blockheizkraftwerke wirtschaftlich. Christian Bruns spricht von positiven Deckungsbeiträgen. Die Stromproduktion erbringe nur einen kleinen Gewinn. Satte Gewinne seien nicht Aufgabe der Energietochter.

In der Kostenrechnung schlagen sich einige Kuriositäten der deutschen Energiepolitik nieder. So erhält das Unternehmen einerseits eine Gebühren-Gutschrift von 1,71 Ct/kWh, weil der „hausgemachte“ Strom nicht ins Netz eingespeist wird. Andererseits ist eine EEG-Abgabe von 3,53 Cent zu zahlen. Der Staat erhebt diese Abgabe gemäß des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zur Förderung regenerativer Techniken, obwohl die Erzeugung von Strom und Wärme in BHKW höchst energie­effizient ist. Als die erste Anlage 2007 geplant wurde, war von der EEG-Umlage noch keine Rede, seit 01.01.2010 ist sie zu zahlen. Für Bruns nicht nur ein Ärgernis, sondern ein Beleg für die Widersprüche der Energiewendepolitik der Bundesregierung. „Ich vertrete vehement den Standpunkt, dass die regionale Energieproduktion sicherer und günstiger ist. Die großen Netze brauchen wir nicht“, erklärt Bruns seine Position.

20 % des Stroms von ­Stadtwerken

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Die positive CO2-Bilanz der BHKW sei ein gutes Marketingargument und die Mieter freuten sich, dass der Strom aus dem eigenen Kraftwerk kommt. „Unser Strom ist grüner als der deutsche Strommix und der Reststrom, den unsere Mieter von den Stadtwerken beziehen.“ Die hohe Energieeffizienz ergibt sich auch aus der Tatsache, dass die KWK-Anlagen jeweils das Herzstück eines Nahwärmesystems bilden. Zusammen mit jedem der drei bisher aufgestellten Kraftwerke waren in den Gebäudekomplexen Nahwärme- und Stromleitungen zu installieren. Die Wärmerohre verlaufen fast ausschließlich in den Kellern. Damit bleiben die Rohrwärmeverluste von rund 12 % in den Gebäuden, nicht unter der Straße. Die Kraftwerke arbeiten wärme­geführt, müssen 6.000 Stunden pro Jahr laufen, um wirtschaftlich zu sein. Übers Jahr gesehen werden rund 80 % des Strombedarfs der Mieter gedeckt; im Sommer muss der Grundversorger eine größere Lücke schließen als im Winter. Jede KWK-Anlage muss mit ­einem Spitzenlastkessel kombiniert werden, damit auch ein sehr starker Wärmebedarf gedeckt werden kann.

Sieghard Lückehe, Prokurist der Stäwog, betont, dass im Zuge von energetischen Sanierungen jede Heizungsanlage einer Effizienzbetrachtung unterzogen werde. Im Falle der drei modernisierten Wohnanlagen seien die Betriebskosten um rund 50 % gesunken. Die mit spitzem Bleistift ausgeführten Effizienz­berechnungen haben ergeben, dass auch der Einsatz einer Mikro-KWK-Anlage positive Deckungsbeiträge erbringen werde. Es geht dabei um die Versorgung von elf Wohnungen und eines Cafés, in dem viel warmes Wasser benötigt wird.

„Unsere Stromproduktion ist kein Teufelszeug, aber man muss sich intensiv damit auseinandersetzen“, fasst Geschäftsführer Bruns zusammen. Axel Kluck von der Stäwog Service GmbH ergänzt, dass die Vertragsverhandlungen mit dem Netzbetreiber und dem Grundversorger lange Zeit schwierig waren, weil die einem dezentralen Stromerzeuger den Einstieg möglichst schwer machen wollten. Inzwischen laufe die Zusammenarbeit aber besser.

Thomas Engelbrecht

Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan

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