Vom Ehrgeiz, ein Stadtquartier zu entwickeln

Energetische Sanierung des Bestands? Grundrissänderung und Wohnungszusammenlegung? Im Gespräch winkt Rando Gießmann ab. Diese Einzelaufgaben hat er gedanklich längst hinter sich gelassen. Der Geschäftsführer der Wittenberger Wohnungsbaugesellschaft WIWOG will Stadtquartiere entwickeln.

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Rando Gießmann von der WIWOG hat sich für den Neubau des Ärztezentrums eingesetzt. Foto: Engelbrecht
Rando Gießmann von der WIWOG hat sich für den Neubau des Ärztezentrums eingesetzt. Foto: Engelbrecht

Er will in Strukturen eingreifen. Lebensqualität verbessern. Mitte des Jahres wird der Neubau eines Ärztezentrums eingeweiht.

Rund 3 Mio. € investiert die städtische Wohnungsgesellschaft der Lutherstadt Wittenberg/Elbe in den Neubau des Ärztehauses. 10 Praxen und eine Apotheke werden damit im Wohnquartier Wittenberg-West mit rund 2.000 Bewohnern ihre Arbeit aufnehmen. Die kommunale Wohnungsbaugesellschaft (WIWOG) hat dafür gesorgt, dass das Ärztezentrum räumlich um zwei Kilometer versetzt wird.

Seit rund 50 Jahren gibt es eine Poliklinik am Stadtrand. Vor Jahren beschloss der Stadtrat, 2 Mio. € für die Modernisierung des alten Gebäudes zur Verfügung zu stellen. Die Sanierungsarbeiten sollten sich bei laufendem Praxisbetrieb über vier Jahre hinziehen. Jedoch schälte sich in intensiven Gesprächen zwischen Rando Gießmann und Oberbürgermeister Eckhard Naumann heraus, dass die Modernisierung der alten Poliklinik wirtschaftlich kaum darstellbar sein würde.

So reifte der Entschluss zur Standortverschiebung und zum Neubau. Gießmann trat in einen mehr als ein Jahr dauernden, intensiven Diskussionsprozess mit den Ärzten, die die Chance erhielten, ihre zukünftigen Praxisräume mitzugestalten. Schließlich konnte der Immobilienwirt praktisch alle Mediziner vom Neubau überzeugen, die in Zukunft für moderne Praxen mehr Miete zahlen werden.

Alle Planansätze werden realisiert
Die interdisziplinäre medizinische Versorgung am Wohnort ist nur ein Baustein im ganzheitlichen Quartiersmanagement der städtischen WIWOG. Ein umfassender Entwicklungsplan für die aus den 1960er Jahren stammende Siedlung wurde bereits 2009 formuliert, der Abschluss der Arbeiten ist für das Jahr 2015 vorgesehen. „Es wird uns erstmals gelingen, alle Planansätze für ein Wohnquartier zu realisieren“, berichtet Rando Gießmann. Einen entscheidenden Anstoß für das Entwicklungsprojekt erhielt Gießmann durch eine Naturkatastrophe.

Der Wirbelsturm Kyrill zog 2007 eine Schneise der Verwüstung durch Wittenberg-West. An den Dächern entstand ein Schaden von über 2 Mio. Euro, mehr als 40 Wohnungen waren nicht mehr bewohnbar. Die WIWOG richtete im Quartier ein „Evakuierungsbüro“ ein, um den betroffenen Mietern helfen zu können.

Rando Gießmann erinnert sich lebhaft an die Stimmung, die in dieser Ausnahmesituation herrschte. Die Bewohner zeigten ein starkes Gemeinschaftsgefühl und unterstützten sich gegenseitig. Die hohe Identifikation der Mieter mit ihrem Wohnquartier, die durch die Sturmschäden zutage trat, war für die WIWOG ein starker Antrieb, sich der ganzheitlichen Stadtteilentwicklung zuzuwenden und sowohl die strukturelle als auch die soziale Dimension zu bearbeiten.

Gekauft, um zu beseitigen
In der Planungsphase wurden die Mieter eingeladen, Wünsche und Kritik zu äußern. Ein Knackpunkt war dabei eine alte Kaufhalle zwischen den Wohngebäuden, die sich im Besitz einer ausländischen Im- und Exportfirma befand. Ein grauer Betonkubus, der mit seiner Hässlichkeit Vandalismus anzog. Die WIWOG kaufte die Halle, ließ das Gebäude abreißen und auf der entstandenen Freifläche etwa 50 begrünte Pkw-Parkplätze einrichten.

Ein weiterer Planansatz zur Verbesserung der Infrastruktur betrifft die Bahnanbindung des Quartiers. Etwas nördlich vom Stadtteil verläuft die Bahnlinie nach Dessau. Bahn AG und Stadt planen derzeit die Verlegung des Regionalbahnhofs Wittenberg-Piesteritz im Jahr 2015. Durch gemeinsame Gespräche mit der Stadt und den Wohnungsbaugesellschaften konnte erreicht werden, dass Straßen- und Wegebeziehungen vom Quartier zum neuen geplanten Haltepunkt eine barrierefreie Sanierung erfahren.

Neubau von 39 Wohnungen
Ein vitales Stadtquartier sollte alteingesessenen und neuen Bewohnern eine Perspektive bieten. Gegenüber dem entstehenden Ärztezentrum besteht seit längerem eine Seniorenanlage mit 36 Wohnungen. Die ­WIWOG hat die Immobilie erworben und vermietet sie zum größten Teil an den Betreiber der Alteneinrichtung.

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Für den Neubau von 39 Wohnungen wird das Unternehmen in den Jahren 2014/15 4,3 Mio. € investieren. Die Bauarbeiten sollen im Frühjahr 2014 beginnen. Gebaut wird auf einer Lücke im Quartier, die durch den Abriss alter Gebäude entstanden ist. Dass er so viel bewegen kann, räumt Rando Gießmann ein, sei auch den günstigen Kapitalmarktzinsen zu verdanken, deren Talfahrt zu Beginn der Planungen nicht absehbar gewesen sei.

Raum für das Ehrenamt
Viel Geld, das sich nicht unmittelbar refinanziert, gibt die WIWOG auch zur Förderung von Ehrenamt und Nachbarschaft aus. Die Mittel werden eingesetzt, um eine Sozialpädagogin zu bezahlen, die den Nachbarschaftstreff in Wittenberg-West leitet. An dem Projekt sind neben der WIWOG ein Senioren- und Pflegezentrum, die evangelische Kirche und die Wohnungsbaugenossenschaft Wittenberg beteiligt. Der Letzteren gehören 800 von 2.000 Wohnungen im Quartier.

Eigentümerübergreifendes Handeln hält der WIWOG-Geschäftsführer für den strategisch richtigen Ansatz, will man das soziale Miteinander im Quartier fördern. „Wann immer ich im Nachbarschaftstreff vorbeischaue, ist da Leben drin“, berichtet Gießmann. Die Räumlichkeiten des Treffpunktes werden von ehrenamtlich tätigen Helfern intensiv genutzt. Moderiert und angeleitet durch die Sozialpädagogin führen die Bewohner des Quartiers ihren Treffpunkt in Eigenregie. „Der Imagegewinn und die Wertschätzung für die Wohnungsunternehmen und das Quartier sind enorm“, hat Rando Gießmann festgestellt.

Er sieht den Stadtteil Wittenberg West auf die weitere demografische Veränderung gut vorbereitet. Dem Landkreis Wittenberg als Ganzes wird ein deutlicher Rückgang der Bevölkerung prognostiziert, aber die Lutherstadt Wittenberg wird ihre Einwohnerzahl vermutlich in etwa halten können, weil das Mittelzentrum von der Migration profitiert. Schon jetzt ist es so, dass Rentner ihr Eigen­heim draußen im weiten Landkreis verkaufen und eine der im Zuge der Sanierung entstandenen größeren Wohnungen in Wittenberg-West mieten.

Thomas Engelbrecht

Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan

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