Wilden Wein roden

Wilder Wein, der auf die Fassade des Nachbarhauses übergreift, muss gerodet werden. Ein regelmäßiger Rückschnitt allein ist nicht ausreichend. Das Gericht ist der Meinung, dass es unzumutbar ist, seinen Nachbarn immer wieder auffordern zu müssen, seinen Wein zurückzuschneiden.

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Bild: AlenKadr/stock.adobe.com
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Aus den Entscheidungsgründen

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511 ff ZPO; sie bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg, denn die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere von der erstinstanzlichen abweichende Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
Das Amtsgericht hat zu Recht der Klage im wesentlichen stattgegeben, wobei sich die Anspruchsgrundlage für die Beseitigung des Rankgewächses aus § 1004 Abs. 2 S. 2 BGB ergibt. Die Voraussetzungen für den Unterlassungsanspruch sind erfüllt, insbesondere besteht eine tatsächliche Vermutung für eine Wiederholungsgefahr, nachdem bereits mindestens zum zweiten Mal die Hoffassade der Kläger rechtswidrig mit Ranken überzogen worden ist. Die Beklagten sind auch Störer, da sie nicht ausreichend dafür Sorge getragen haben, dass die Ranken nicht auf die Fassade des Klägers hinüber wachsen.
Zur Erfüllung ihrer Unterlassungsverpflichtung schulden die Beklagten unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände die Entfernung der Rankpflanze. Dies gilt auch bei Bestehen einer „bloßen“ Unterlassungspflicht. Denn wenn sich die drohende Beeinträchtigung nur durch ein aktives Eingreifen verhindern lässt, so schuldet der zur Unterlassung Verpflichtete das erforderliche positive Tun.
Auch der Verurteilung zu einer konkreten Maßnahme steht dann nichts im Wege, wenn nur sie den Nichteintritt der drohenden Beeinträchtigung gewährleistet (zum Vorstehenden insgesamt: BGH NJW 2004, 1035 ff. m. w. N.). Hier ist die Kammer ebenso wie schon das Amtsgericht überzeugt, dass, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hat, geringere Maßnahmen angesichts des eher stärker als schwächer werdenden Wuchsverhaltens der Rankpflanze nicht in Betracht kommen. Den Klägern ist nicht zuzumuten, beim Beklagten in regelmäßigen Abständen auf Beseitigung neu entstehenden Überwuchses und dadurch entstandener Schäden zu drängen und in diesem Zusammenhang dann noch über den Schadensumfang streiten zu müssen. Insofern fehlt es an einem schutzwürdigen Eigeninteresse des Beklagten, zwischen mehreren Maßnahmen wählen und lediglich den regelmäßigen Rückschnitt anbieten zu können. Das Beharren des Beklagten auf sein Wahlrecht ist daher angesichts der bloß formalen Position ohne materiellen Gehalt von der Rechtsordnung nicht gedeckt (vgl. BGH a.a.O.). Die Beseitigung scheitert auch nicht an der gebotenen Verhältnismäßigkeit, denn der Eingriff in das Eigentumsrecht des Beklagten ist bei einer nicht besonders wertvollen Rankpflanze geringfügig und nicht höher zu bewerten als der auf Beseitigung gerichtete Unterlassungsanspruch der Kläger zum Schutz ihres Eigentums.
Verwirkung des Anspruchs ist mangels Zeit- und Umstandsmoments nicht anzunehmen, nachdem die Kläger noch in jüngerer Vergangenheit Ansprüche wegen des Überwuchses verfolgt haben.
Die Berufung hat auch hinsichtlich der Verurteilung zu Schadensersatz keinen Erfolg, wobei auf die Ausführungen des Amtsgerichts verwiesen werden kann. Insbesondere ist die Schätzung des Schadens nicht zu beanstanden. Soweit der Beklagte die zugrunde gelegte Fläche beanstandet, ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Kläger sich nicht mit einem Flickwerk zufrieden geben müssen, das in einer Bearbeitung der Fassade entlang des Verlaufs entfernter Ranken, evtl. einschließlich umliegender Flächen, besteht, sondern einen Anspruch auf Bearbeitung der Fassade in voller Höhe in der gesamten Breite der vorgedrungenen Ranken haben. Dass dies mit 17 mal 2 Metern nicht richtig berücksichtigt worden sei, haben sie in der Berufung nicht substanziiert dargelegt. Ein Verstoß gegen das Schikaneverbot ist in keiner Weise ersichtlich.
Hinsichtlich des vom Amtsgericht begründungslos zuerkannten Zinsanspruchs enthält die Berufungsbegründung keine Angriffe, so dass er nicht der Überprüfung in der Rechtsmittelinstanz unterliegt.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Gericht: LG Berlin
Aktenzeichen: 53 S 122/06

Redaktion (allg.)

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