Plusenergiehäuser im Mietwohnungsmarkt

Im Eigenheimbereich gibt es schon länger Häuser, die mehr Energie erzeugen, als die Immobilie und ihre Bewohner verbrauchen. Jetzt erobern solche Plusenergiehäuser auch den Mietwohnungsmarkt. Doch die bisherigen Projekte zeigen zwei Knackpunkte auf: die Mehrkosten und das Nutzerverhalten.

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Das Plusenergiehaus der AGB Frankfurt Holding hebt sich wie eine Raumstation aus seinem Quartier in Frankfurt a.M. ab - aufgrund seiner glitzernden Solarzellen.
Das Plusenergiehaus der AGB Frankfurt Holding hebt sich wie eine Raumstation aus seinem Quartier in Frankfurt a.M. ab - aufgrund seiner glitzernden Solarzellen.

Eine gut gedämmte Gebäudehülle, eine effiziente Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, Solarthermie- und Photovoltaikanlagen auf den Dächern und eine Kooperation mit dem lokalen Fernwärmenetzbetreiber: Das sind die Komponenten, aus denen sich ein ganz besonderes Energiekonzept zusammensetzt. Powerhouse hat die Projektentwicklungsfirma Laborgh Investment GmbH ihr Vorhaben genannt, das sie derzeit im Berliner Stadtteil Adlershof realisiert.

Monetärer Vorteil für Mieter

Dabei handelt es sich um ein Ensemble aus fünf Häusern mit zusammen 128 Mietwohnungen, welches das landeseigene Berliner Wohnungsunternehmen Howoge erworben hat. „Wir wollen beweisen, dass höchste Energieeffizienz im Wohnungsbau kein Luxusgut sein muss“, sagt Laborgh-Geschäftsführer Florian Lanz. Höchste Energieeffizienz bedeutet, dass das Powerhouse ein Plusenergiehaus ist. Zumindest in der Kalkulation erzeugt es also mehr Wärme und Strom, als das Gebäude und seine Bewohner verbrauchen. Für die Mieter hat das einen deutlichen monetären Vorteil: Den Berechnungen zufolge werden sie monatlich lediglich 0,40 €/m² an warmen Betriebskosten bezahlen müssen (Berliner Durchschnitt aktuell: 1,08 €/m²). Damit übernehmen Laborgh und die Howoge ein Prinzip, das bei Einfamilienhäusern bereits recht weit verbreitet ist.

Ausweitung auf Mehrfamilienhäuser

Vor allem Fertighausanbieter haben sich darauf spezialisiert, ihren Kunden Häuser mit einem Energieüberschuss anzubieten. „Zunächst lag der Schwerpunkt bei Ein- und Zweifamilienhäusern“, bestätigt Helga Kühnhenrich, Leiterin des Referats „Forschung im Bauwesen“ beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), welches das Modellvorhaben Effizienzhaus Plus betreut. „Jetzt“, sagt Kühnhenrich, „weiten wir das Modellvorhaben auf den Mehrfamilienhausbereich aus, wo noch größere Effekte zu erwarten sind.“

Teil des vom Bund geförderten Modellvorhabens ist das 2015 fertig gestellte und 74 Wohnungen umfassende Aktiv-Stadthaus der ABG Frankfurt Holding. Mit diesem Neubau im Gallusviertel in Frankfurt am Main ging die ABG Frankfurt Holding noch über den Passivhausstandard hinaus, den sie bei ihren Neubauten ohnehin erreicht. Das Aktiv-Stadthaus erzeugt mit Photovoltaikmodulen auf dem Dach und in der Fassade Strom, der in einer Batterie im Haus gespeichert wird. Zudem lässt sich aus dem Abwasserkanal Wärme zurückgewinnen. Die Zwischenbilanz des städtischen Wohnungskonzerns fällt positiv aus: Die Berechnungen hätten sich im Wesentlichen alle bestätigt.

Bereits eine detaillierte Auswertung liegt für das ebenfalls von der ABG Frankfurt Holding errichtete Plusenergiehaus in der Cordierstraße 4 in Frankfurt vor. Das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) hat die Ergebnisse des Messzeitraums von Juli 2014 bis Juni 2016 analysiert und zieht das Fazit: „Insgesamt konnte das Gebäude die Ziele der Planung auch in der Praxis bestätigen.“ Allerdings zeigte sich in einem Punkt eine erhebliche Abweichung von der Berechnung: Während die Planer davon ausgegangen waren, dass die Mieter sich mit einer Raumtemperatur von 20 °C begnügen würden, fühlten sich die Bewohner in Wirklichkeit erst bei 22,3 °C wohl. Deshalb war der Heizwärmeverbrauch höher als berechnet.

Projekt und wissenschaftliche Begleitung

Ein drittes bereits fertig gestelltes Projekt findet sich ebenfalls in der Bankenmetropole. Auf dem Frankfurter Riedberg stellte die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt im September 2015 ihr Effizienzhaus Plus mit 17 Wohnungen fertig. Zentrales Element der Energieversorgung sind die Photovoltaikmodule, die nicht nur in das Dach, sondern auch in die Südfassade des Gebäudes integriert sind. Ein Batteriespeicher, eine Wärmepumpe und ein Eisspeicher ergänzen das Energiekonzept.

Das wissenschaftliche Monitoring für das Projekt läuft noch bis September 2017. Erste Ergebnisse verrät Jens Duffner, Leiter Unternehmenskommunikation der UnterSpecialnehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt, aber bereits jetzt. Demnach ergibt sich „ein nach oben abweichender Stromverbrauch“. Die Gründe dafür, dass mehr Strom als erwartet verbraucht wird, liegen in „der Anlagentechnik und dem Bereich der Wärmeerzeugung“. Laut Duffner ist das allerdings nicht gravierend: „Die wissenschaftliche Begleitung sieht eine Phase der Betriebsoptimierung von zwei bis drei Jahren vor, so dass wir fest davon ausgehen, dass wir mit Auslaufen des Monitorings die geplante Energiebilanz erreichen.“

Grundsätzlich lassen die politischen Vorgaben zur Verringerung von CO2-Emissionen nach Ansicht Duffners erwarten, dass der Marktanteil von Plusenergiehäusern in Zukunft steigen wird. Die Nassauische Heimstätte selber plant derzeit aber kein weiteres solches Projekt. „Unser Fokus“, sagt Duffner, „liegt im Moment auf der sozialen und energetischen Quartiersentwicklung, von der wir uns durch gleichzeitige Bestandsmodernisierung, energieeffizienten Neubau und regenerative Energieversorgung eine höhere Breitenwirkung versprechen.“

Marktanteil von Plusenergiehäusern soll weiter steigen

Implizit nimmt Duffner damit auf die Kosten Bezug, die mit dem Bau des Effizienzhaus Plus verbunden waren. Demnach lagen die Gesamtbaukosten um 25 bis 35 Prozent höher als bei einem vergleichbaren Neubau, der lediglich die Vorgaben der (zum Zeitpunkt des Baus maßgeblichen) Energieeinsparverordnung (EnEV) 2009 erfüllt. Betrachtet man nur die technische Gebäudeausstattung, so betrugen die Mehrkosten sogar rund 40 Prozent.
Andere Bauherren nennen für ihre Projekte allerdings andere Zahlen.

Nach Darstellung der ABG Frankfurt Holding betragen die Mehrkosten für ein Plusenergiehaus lediglich rund fünf Prozent (im Vergleich zu einem Passivhaus) beziehungsweise rund zehn Prozent (im Vergleich zu einem Neubau nach EnEV-Standard). Florian Lanz von der Berliner Laborgh Investment wiederum beziffert die Mehrkosten für das Powerhouse gegenüber einem konventionellen EnEV-Neubau auf 300 €/m². Dass es nicht mehr sind, ist Lanz zufolge einer Besonderheit des Projekts zu verdanken: Die erzeugte Wärme wird in das Fernwärmenetz eingespeist, das so als Wärmespeicher fungiert. Hätte man sich für eine andere Speicherlösung entschieden, wären die Mehrkosten laut Lanz höher ausgefallen.

Kosten hängen vom Gebäudeentwurf ab

Und wie beurteilt die neutrale Expertin das Ausmaß der Mehrkosten? Eine genaue Prozentzahl lasse sich nicht nennen, antwortet Helga Kühnhenrich vom BBSR. „Die Kosten hängen stark vom Gebäudeentwurf ab“, erläutert sie. „Es kommt zum Beispiel darauf an, wie die Kubatur des Gebäudes ist und wie das Grundstück geschnitten ist.“ Auch lokale Faktoren wie kommunale Bauvorschriften oder die Kooperationsbereitschaft von Energieversorgern spielten eine Rolle. Bei alledem erwartet Kühnhenrich, dass sich das Ausmaß der Mehrkosten künftig reduzieren wird, da die Preise für Solarzellen und weitere Komponenten sinken.
Bewohner müssen informiert werden

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schreibt vor, dass bei der Erhebung von personenbezogenen Daten der Betroffene zu informieren ist. Unter anderem soll dem Betroffenen mitgeteilt werden, zu welchem Zweck die Daten verarbeitet werden, an wen die Daten weiter...

Höherer Betreuungsaufwand der Mieter

Neben den Kosten hat das Projekt auf dem Frankfurter Riedberg noch etwas anderes gezeigt, wie Jens Duffner sagt: „Grundsätzlich lässt sich ein höherer Betreuungsaufwand der Mieter feststellen.“ Bereits frühzeitig wurden die Mieter deshalb mit Printmaterial und in persönlichen Gesprächen über die Besonderheiten des Hauses informiert. Trotzdem kam es zu Missverständnissen bei der Bedienung der Anlagetechnik. „Hier“, sagt Duffner, „werden wir mit mehr Informations- und Kommunikationsaufwand reagieren.“

Tatsächlich können Mieter die schönste Energiebilanz zunichte machen, wenn sie beispielsweise im Winter trotz dichter Gebäudehülle permanent die Fenster auf Kipp stellen. Um ein energiesparendes Verhalten zu unterstützen, haben sich nach Einschätzung des BBSR Rückmeldesysteme bewährt, wie sie die ABG Frankfurt Holding in ihrem Aktiv-Stadthaus eingeführt hat. Dort ist auf einem Display neben der Wohnungstür eine (anonymisierte) Rangliste des Energieverbrauchs zu sehen – was nach Unternehmensangaben den sportlichen Ehrgeiz der Mieter fördert, möglichst wenig Energie zu verbrauchen.

Die Berliner Howoge plant nach Angaben von Pressesprecherin Sabine Pentrop trotzdem keine besondere Schulung der künftigen Mieter: Das sei nicht nötig, da ein Lüftungs- und Heizverhalten, wie es auch in einem konventionellen Wohnhaus vernünftig sei, absolut ausreiche.

Autor: Christian Hunziker

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https://www.abg-fh.com/bauen/passivhaus/funktionsweise_passivhaus...

Redaktion (allg.)

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