Zuschauer verfolgen Diskussion im Livestream

IVV Roundtable „Das vernetzte Quartier Future Living Berlin“

Unter dem Motto „Debatten mit Durchblick – Wohnungswirtschaft auf den Punkt“ lädt die IVV-Redaktion zur Diskussion ein. Wie geht gutes Bauen und Bewirtschaften? Chefredakteur Thomas Engelbrecht spricht mit Experten aus Industrie und Wohnungswirtschaft. Zuschauer verfolgen Fragen und Antworten im Livestream. Die Video-Aufzeichnung ist jederzeit abrufbar unter www.ivv-magazin.de/livetalk1121.

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 Bild: Torsten Hanke/Huss Medien
Bild: Torsten Hanke/Huss Medien

Mit dem Neubau des 14 Gebäude umfassenden Wohnquartiers „Future Living Berlin“ im Stadtteil Adlershof wurde ein „Reallabor“ für die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen der Wohnungswirtschaft geschaffen.

Eigentümerin von Future Living Berlin ist das Wohnungsbauunternehmen GSW Sigmaringen (Gesell. für Siedlungs- und Wohnungsbau). Dieses Reallabor soll Antworten geben auf den demografischen Wandel, die ökologische Energiewende und ein verändertes Mobilitätsverhalten der Menschen.

Wir fragen: Welche technischen Anwendungen und Werkzeuge kommen zum Einsatz? Was ist der Nutzen? Was ist der Vorteil – für Betreiberin und Mieter?

Frau Eberhardt, nennen Sie uns einige Beispiele für die digitale Ausstattung.

Birgid Eberhardt: Wir unterscheiden zwischen Smart Building und Smart Home. Wir haben im Gebäude viel Smarte Technik. Es gibt das digitale Zutrittssystem, ein digitales Schlüsselbrett, ich komme mit Karte oder App ins Haus und in die Wohnung. Für Rollstuhlfahrende öffnen sich Aufzugs- und Wohnungstüren automatisch. Hinter der Wohnungstür beginnt der Bereich des Smart Homes. Hier haben wir eine Ausstattung, die es Mietenden erlaubt, Licht zu steuern, die Jalousien zu bewegen, die Heizung einzustellen.

Von welcher Lebensdauer gehen Sie für die Elektronik aus?

Birgid Eberhardt: Einerseits lässt sich Elektronik updaten. Das ist bereits geschehen. Was die Lebensdauer der Bauteile angeht, so lernen wir. Nach knapp zwei Jahren im Betrieb können wir noch nichts sagen. Aber ich kann Ihnen versichern, wir werden die Erkenntnisse mit der Branche teilen.

Welche Hardware ist in den Wohnungen verbaut?

Wir haben wenige Sensoren. Wir messen Luftqualität und Temperaturen. Das Licht wird darüber gesteuert und es gibt eine Aktorik zur Ansteuerung der Jalousien. Wir nutzen aber auch klassische Tasten, weil das jeder intuitiv versteht, ohne ein Handbuch lesen zu müssen. Und dann gibt es natürlich noch die Apps.

Wie sind die Erfahrungen mit der Zuverlässigkeit dieser Technik?

Wir betreiben hier und da Feintuning, aber es gab bisher keine Ausfälle.

Herr Schwunk, wie sind Ihre Erfahrungen als Mieter mit der Technik?

Stefan Schwunk: Ich hatte einen Ausfall, eine Jalousie bewegte sich nicht mehr und es musste tatsächlich etwas ausgetauscht werden. Ich denke, das kann in Neubauten schon mal passieren. Aber inzwischen funktioniert alles sehr zuverlässig. Das ist für mich als Mieter wichtig und beruhigend.

Haben Mieter Probleme mit der Anwendung der Technik?

Birgid Eberhardt: Wir haben einen Verwalter vor Ort, der ist zwar kein Techniker, aber der weiß, wen er fragen muss. Wir geben an die Mietenden Handbücher in Englisch und Deutsch aus. Immer wieder sind Mitarbeiter vor Ort, die Mietenden zum Beispiel helfen, wenn sie eigene Smart Home-Technik in unsere Anlage integrieren möchten.

Gibt es eine Mindestausstattung in den Wohnungen und können Mieter Technik hinzubuchen gegen eine höhere Miete?

Es gibt eine Basisausstattung, man kann nichts hinzubuchen. Wir können einige Funktionen über Software-Schalter aktivieren oder deaktivieren. Normalerweise geht das Licht an, wenn man die Wohnung betritt. Wer sich daran stört, kann das abschalten lassen. Und wie gesagt, auf Wunsch integrieren wir die digitale Ausrüstung von Mietern in unser System.

Es gibt mehrere Sharing-Angebote im Quartier. Welche sind das?

Wir haben einen smarten Waschsalon eingerichtet, denn es gibt auch kleine Wohnungen mit 37 Quadratmeter Wohnfläche. Es gibt Waschmaschinen und Trockner, die digital gebucht und abgerechnet werden. Wir haben eine Paketstation und bieten Car-Sharing mit Elektroautos.

Wie funktioniert die Prozesssteuerung beim Mieterwechsel für die digitalen Zugänge und Berechtigungen?

Für uns ist der Mieterwechsel noch eine gewisse Herausforderung. Wir arbeiten daran, dass wir mit dem ERP-Systemhersteller Schnittstellen schaffen. Alle Partner arbeiten intensiv daran, denn klar ist, dass Digitalisierung auch in den internen Prozessen stattfinden muss. Für neue Mieter gibt es wie gesagt umfangreiche Handbücher, so erfahren sie, welche Apps sie herunterladen müssen und wir unterstützen sie dabei.

Haben Sie schon entschieden, welche Anwendungen auf den Wohnungsbestand der GSW übertragen wird?

Die Energieversorgung mittels Photovoltaik und Wärmepumpen oder Blockheizkraftwerken praktizieren wir auch in anderen Objekten. Und wir wissen aus Umfragen: Mieter schätzen es sehr, wenn sie den Aufzug aus der Wohnung heraus rufen können und wenn sie per Kamera sehen können, wer an der Wohnungstür geklingelt hat.

Wie viel Miete muss ich bei Ihnen zahlen?

Wir verlangen eine gestaffelte Miete. Der Quadratmeterpreis ist in großen Wohnungen geringer als in kleinen. Unser Ziel war es, unter dem Mietspiegel des Stadtteils Berlin-Adlershof zu bleiben, der liegt für Neubauten bei knapp unter 14 Euro. Wir sind im Schnitt etwa 40 Cent darunter.

Stefan Schwunk: Ich liege mit der Nettokaltmiete bei 11,50 Euro.

Inwieweit hat die Vernetzung des Quartiers Planung und Bau komplizierter gemacht?

Ich glaube, alle Beteiligten sind an ihre Grenzen gekommen. Immer, wenn ich eine Ausschreibung mache, gilt die für den aktuellen Stand der Technik, der schnell veraltet. Ich bewege mich also in der Vergangenheit, obwohl ich Zukunft bauen möchte. Viele haben mitgedacht, andere haben sich darauf verlassen, das andere mitdenken. Unser Baumanagement war nicht immer glücklich über die Komplexität der Aufgaben. Aber jetzt läuft es. Wir wollten immer ein bezahlbares Quartier schaffen, kein Luxus-Objekt. Um Erfahrungen zu sammeln, wollten wir ganz normale Mietende im Quartier haben.

Der Markt für Smart Living Technik ist schwer fassbar, es gibt keine Markenhersteller die Wohnungsunternehmen ein Konzept liefern können. Wie sind Sie damit umgegangen?

Es gibt viele Konzepte für Einfamilienhäuser. Diese Angebote passen nicht auf Mehrfamilienhäuser. Viele Anbieter kennen den Unterschied zwischen Nutzer und Betreiber nicht. Wir reden gerade sehr intensiv mit der deutschen Elektroindustrie, die sind immer mal wieder zu Besuch im Quartier und lernen ganz viel. Wir haben heute keine fertigen Produkte. Im Consumer-Bereich ist die Entwicklung wahnsinnig weit, aber wenn sich die privaten genutzten Geräte nicht integrieren lassen, ist das nicht wirklich smart.

Stefan Schwunk: … man fängt an zu basteln und das gelingt uns ja auch…

Birgid Eberhardt: Die Herausforderung wird darin bestehen, in den Wohnungen eine gute Grundausstattung zu installieren und die Geräte der Mietenden zu integrieren. Da haben wir eine gute Basis geschaffen.

Herr Lurg, lassen Sie uns gedanklich eine Reise durch das Gebäude machen. Was muss ich als Mieter tun, um durch die Haustür über den Aufzug in meine Wohnung zu kommen?

Sebastian Lurg: Sie haben verschiedene Möglichkeiten. Sie können eine Campus-Karte, eine RFID-Karte, verwenden. Die beinhaltet alle Schließberechtigungen für das Quartier; das ist die Haustür, der Aufzug, die Paketstation, der Müllraum. An der Haustür finden Sie ein digitales Klingeltableau mit Touchscreen, einen Kartenleser, eine Kamera, aber auch ein Bluetooth-Modul. Sie halten die Karte davor, die Tür öffnet sich. Mit der Karte rufen Sie jetzt den Aufzug, der Sie automatisch auf Ihre Etage fährt. Ihre Wohnungstür öffnen Sie schließlich, indem Sie die Karte an das digitale Klingelschild halten. Wir nennen das „Transit Management“, weil wir die vertikale und die horizontale Bewegung durch das Gebäude verbinden.

Das Ganze können wir auch mit unserer App „MyPort“ machen. MyPort funktioniert mit Bluetooth. Die App ist auf dem Handy geöffnet, ich kann kontaktlos die Haustür öffnen, der Aufzug wird automatisch gerufen, der weiß, auf welche Etage ich möchte und schließlich öffnet sich auch meine Wohnungstür automatisch. Dafür muss ich das Smartphone lediglich in der Tasche haben. Wer die App nicht nutzen will, kann alternativ herkömmliche Schalter nutzen.

An der Haustür haben wir ein digitales Klingelschild, für den Verwalter spannend, denn das Klingelschild muss nicht ausgetauscht werden beim Mieterwechsel. Den neuen Namen kann ich mit wenigen Klicks auf das digitale Klingelschild bringen.

Nach dem Ende des Mietverhältnisses muss der Vermieter über die Kaution abrechnen. Bei einer Kautionsabrechnung sind einige Formalien zu beachten, dem Mieter müssen neben den erzielten Zinsen auch die noch bestehenden Forderung mitgeteilt werden; oft ist eine...

Über die Videosprechanlage in jeder Wohnung kann ich Besuchern den Aufzug runterschicken und zwar mit dem Ruf in die richtige Etage. Umgekehrt kann ich mir als Mieter schon in der Wohnung den Aufzug kommen lassen. Das alles nennen wir Transit Management: der kontrollierte Zugang ins Haus, die Bestellung des Aufzugs und die Kommunikation mit Besuchern.

Wie komme ich in meine Wohnung, wenn der Computer ausfällt?

Sebastian Lurg: So undigital das auch ist, aber es gibt Schließzylinder. Es kann einen Stromausfall geben oder Notfälle wie einen Feuerwehreinsatz, für diese Fälle gibt es tatsächlich den klassischen Schlüssel.

Stefan Schwunk: … ich trage tatsächlich zwei Schlüssel für die Haus- und die Wohnungstür bei mir, aber seit ich da wohne, habe ich die noch nicht ein Mal genutzt.

Frau Eberhardt, das klingt alles fantastisch, aber gibt es unter Ihren Mietern Senioren, die sagen, ich will das alles gar nicht?

Alle, die einziehen, wissen, dass sie in Future Living Berlin einziehen. Wir haben ältere Menschen, die zum Teil wegen der Barrierefreiheit eingezogen sind. Wer mit Technik gar nichts am Hut hat, ist im Quartier nicht gut aufgehoben. Aber wir achten sehr darauf, dass die Dinge gut nutzbar sind. Und die Barrierefreiheit ist übrigens etwas, was auch Familien mit kleinen Kindern sehr schätzen. Nach Einkäufen schwer bepackt und mit Kinderwagen muss ich mit den Händen nichts tun für den Weg durch das Gebäude.

Herr Lurg, sind die Vorgänge in Ihrem System durch digitales Monitoring sichtbar?

Für uns und die GSW sind alle Aufzüge und Eingangspunkte online sichtbar. Zusätzlich sind alle Aufzugsanlagen mit dem Technical Operation Center von Schindler vernetzt, damit wir aus der Ferne den Zustand der Anlagen sehen können.

Herr Schwunk, welche Smart Home-Anwendungen nutzen Sie in Ihrer Wohnung?

Mir war es wichtig, etwas Smartes zu mieten; von Bremen kommend wollte ich nicht in einen Berliner Altbau. Man lernt es wirklich zu schätzen, dass man keinen Schlüssel mehr dabeihat. Wenn ich die Wohnung betrete, schalten Sensoren das Licht an oder fahren die Jalousien hoch. In der Wohnung steuere ich grundsätzlich alles über die App, entscheide, wann ich welches Licht einschalte oder dimme. Und wenn mich am Schreibtisch die Sonne blendet, dann stehe ich nicht auf, sondern betätige die Verschattung über die App auf dem Handy. Wenn ich das fensterlose Bad betrete, muss ich keinen Lichtschalter betätigen und Musik geht an. Über das Tablet kann ich meine Raumtemperaturen einstellen. Das sind Kleinigkeiten, die das Wohnen mit Smart Home sehr angenehm machen.

Sie besitzen ein Elektro-Auto. Können Sie das im Quartier laden?

Ja, das ist möglich. Eine der Ladesäulen in der Tiefgarage für die Carsharing-Flotte ist für die Mieter freigeschaltet.

Zum Schluss eine nicht-technische Frage, Frau Eberhardt: Es gibt im gesamten Quartier nicht einen Balkon. Warum hat die GSW darauf verzichtet?

Das war eine bewusste Entscheidung und ein echtes Vermietungshindernis. Das Vermietungsteam fand das nicht so toll. Es gibt aber auch Stimmen bei uns im Haus, die sagen, wir würden es wieder so machen. Wir haben großes Augenmerk auf die Gestaltung der Außenflächen gelegt. Die Idee war, statt jeder Wohnung zwei oder drei Quadratmeter Balkon zu geben, die Außenfläche zwischen den Gebäuden zu nutzen. Der Zugang auf die Grünflächen ist barrierefrei es gibt gute Sitzsteine und Sitzmöbel, das fördert tatsächlich das Gemeinschaftsleben im Quartier. An Sommerabenden legen Familien Decken aus, um zu Abend zu essen.

Stefan Schwunk: In Bremen habe ich in einem Eigenheim gewohnt, diese Hausgemeinschaft im Future Living ist neu für mich und ich nehme das gerne an.

Vielen Dank für das Gespräch. Meine Damen und Herren, ich finde die Entwicklungsarbeit für dieses Quartier verdient großen Respekt, ebenso wie der technologische und unternehmerische Mut der GSW Sigmaringen.

Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan
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