Projekte mit Strahlkraft

In sechs geförderten Stadtquartieren werden Konzepte für die Klimaneutralität erprobt, die weit über die Gebäudeebene hinausgehen. Von zentraler Bedeutung: Überschüsse von Wind- und Solarstrom sollen in Form von Wasserstoff und Wärme gespeichert werden.

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Es gibt genug gute Beispiele und Ansätze. Fangen wir an grün zu bauen und alternative Energie zu nutzen. Unsere Enkel werden es uns danken. BILD: ADOBESTOCK/FRANK BOSTON
Es gibt genug gute Beispiele und Ansätze. Fangen wir an grün zu bauen und alternative Energie zu nutzen. Unsere Enkel werden es uns danken. BILD: ADOBESTOCK/FRANK BOSTON

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) unterstützt zusammen mit dem Bundesforschungsministerium (BMBF) zukunftsweisenden Vorhaben mit dem 100 Millionen Euro schweren Programm „Solares Bauen/Energieeffiziente Stadt“.

Fördergelder für Quartierskonzepte

Die ausgewählten Ansätze sollen dazu beitragen, bis zum Jahr 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. „Früher lag der Fokus der Immobilienförderung auf einzelnen Gebäuden, jetzt möchte man die Chancen auf Quartiersebene ausschöpfen“, berichtet Sven Rosinger vom Institut für Informatik OFFIS, das mit 20 weiteren Partnern das Projekt „Energetische Nachbarschaftsquartier Fliegerhorst“ in Oldenburg vorantreibt.

Bei den geförderten Vorhaben gehe es nicht nur um eine innovative Strom- und Wärmeversorgung der Gebäude vor Ort, sondern auch um die Verknüpfung mit anderen Sektoren. „Das Thema Mobilität lässt sich heute ja ohnehin nicht mehr bei der Quartiersentwicklung ausblenden“, so Rosinger. Entsprechend mache es Sinn, den Blick zu weiten und Möglichkeiten neu auszuloten. Um eine Akzeptanz der Bewohner und anderer Akteure frühzeitig zu sichern, spiele zudem die intensive Partizipation eine wichtige Rolle. „Gerade im Bestand sind die Herausforderungen riesig“, betont Torben Stührmann, der das Forschungsprojekt QUARREE100 in Heide von wissenschaftlicher Seite koordiniert. Es gehe darum, eine ganzheitlich verträgliche Lösung für die sehr heterogenen Nutzer und Gebäude zu finden, denn nur so ließe sich das volle Potenzial heben.

„Forschungsprojekte sind extrem wichtig, um den Markteintritt für neue Technologien und richtungsweisende Ideen zu ebnen“, sagt Tobias Nusser vom Steinbeis-Innovationszentrum Energie-, Gebäude- und Solartechnik (EGS) aus Stuttgart. Er entwickelt mit dem Steinbeis-Team und elf weiteren Partnern in der Neuen Weststadt in Esslingen ein progressives Quartierskonzept, bei dem die Technologie Power-to-Gas (P2G) im Mittelpunkt steht.

Überschüssiger Ökostrom wird zu Wasserstoff

Im Rahmen des schwäbischen Forschungsprojekts „ES_West_P2G2P“ wird überschüssiger Ökostrom in Wasserstoff transformiert, der effizient gespeichert und als Treibstoff für Busse oder Autos oder die Industrie genutzt werden kann. „Wasserstoff wird zukünftig eine Schlüsselrolle bei der Energiewende und damit auch bei der Versorgung von Neubau- und Bestandsquartieren spielen“, prognostiziert Nusser.

Das energetische Versorgungskonzept setzt in der Neuen Weststadt auf die Koppelung der Sektoren Wohnen, Gewerbe und Mobilität – verbunden durch ein digitales Informationsnetz. Dieses Smart Grid besteht aus Strom-, Gas-, Wärme- und Informations- und Kommunikationsnetzen, mehreren Technikzentralen in den Gebäudeblöcken und einer Energiezentrale samt Elektrolyseur.

Dieser verarbeitet den überschüssigen Ökostrom aus dem Quartier und der Umgebung zu Wasserstoff, der bei Bedarf wieder in Strom zurückgewandelt werden kann. Im Jahr 2020 soll die Anlage in den Betrieb gehen. Mehrere Batteriespeicher nehmen zudem die Überproduktion aus den Photovoltaik-Anlagen zur späteren Nutzung auf, wobei die Batterien gleich zusätzlich als Leistungsvorhaltung für die Ladestationen von Elektro-Fahrzeugen fungieren sollen.

„In unserem Fall geht es unter anderem darum, die Elektrolyse systemisch in einem Quartier zu integrieren“, erklärt Nusser. Revolutionär dabei: Erstmalig in Deutschland werde die im Elektrolyseprozess anfallende Abwärme in das Nahwärmenetz eingespeist und zum Heizen genutzt. In der Neuen Weststadt soll damit der Wärmebedarf von 200 Wohnungen, 20.000 Quadratmetern Bürofläche und einer Hochschule gedeckt werden. „Das smarte Zusammenspiel verschiedener neuer Technologien ist auch heute noch nicht Stand der Technik und wäre ohne die Förderung gar nicht realisierbar“, so Nusser.

Lokale Vernetzung von Solarstromerzeugern

Auf dem Areal Fliegerhorst in Oldenburg liegt das Augenmerk vor allem auf der lokalen Vernetzung von Solarstromerzeugern und Verbrauchern. Insgesamt sind auf dem ehemaligen Militärflugplatz gut 1.000 Wohneinheiten geplant, rund 120 davon, meist Neubauten, gehören zum Forschungsprojekt. „Wir möchten das Thema Mieterstrom auf unser Smart City Wohnquartier ausweiten“, umreißt Rosinger das Ziel. Dabei sollen die Anwohner weitgehend die lokal erzeugte Energie nutzen, Überschüsse werden beispielsweise in Wasserstoff umgewandelt und gespeichert, um Abfallenergie zu vermeiden. Über ein multimodales Netz werden in dem Verbund dann nicht nur Wohnungen mit Strom und Wärme aus verschiedenen Anlagen versorgt, sondern auch E-Fahrzeuge und Pedelecs mit Elektrizität betankt. „Neben dem Versorgungsnetz entwickeln wir eine digitale und sichere Serviceplattform, um den Handel zu automatisieren“, berichtet Rosinger. Die Plattform soll die unterschiedlichen Anlagen mit den Nutzern vor Ort und den Ladepunkten für E-Fahrzeuge verbinden – perspektivisch zudem die Nachbarschaft.

Auch die Speicherung der Energie wird auf dem Fliegerhorst untersucht. „Batteriespeicher sind teuer und eignen sich eher zur kurzfristigen Speicherung“, sagt Rosinger. Daher mache es Sinn, Energie in andere Formen zu überführen, wie Wärme oder Wasserstoff, um sie so auch nach einem Monat noch abrufen zu können. Daneben werden auch Geschäftsmodelle und die soziale Akzeptanz durch die Bürger erforscht.

Die Herausforderung liege nicht nur in der technischen Entwicklung, sondern auch in den gesetzlichen Einschränkungen, die die Direktvermarktung des hauseigenen PV-Stroms grundsätzlich erst einmal auf das jeweilige Gebäude limitiere. Oft müssten dann Überschüsse ins Netz abgegeben werden, was sich derzeit finanziell kaum für die Haushalte lohne. Gleichwohl gehe der Trend klar in Richtung dezentrale Energieversorgung. Gerade in mittelgroßen Städten wie Oldenburg und in ländlichen Gebieten würde die Eigenversorgung durch PV-Anlagen immer mehr Bedeutung gewinnen. Ein Ziel der Forschung sei es deshalb auch, eine Neuregelung für den Handel mit Sonnenstrom im Quartier abzuklopfen.

Wärmepumpen und Elektrolyseur werden mit Windstrom versorgt.

Im 20 Hektar großen Bestandsquartier Rüsdorfer Kamp im holsteinischen Heide macht man sich mit dem Forschungsprojekt QUARREE100 ebenfalls bereit zur großen Energiewende. Gut 500 Menschen leben und arbeiten hier. „Die Windparks in Schleswig-Holstein generieren zwar große Mengen an Strom, regelmäßig müssen die Anlagen aber abgeschaltet werden, da die Kapazitäten der Netze nicht ausreichen“, berichtet Projektkoordinator Stührmann.

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Um die Netze dort zu entlasten, wo besonders viel Windstrom entsteht, soll das Energiesystem im Rüsdorfer Kamp so gestaltet werden, dass es entsprechende Überschüsse abbauen kann. So soll der Windstrom vor Ort für den Betrieb von Wärmepumpen und die Produktion von Wasserstoff genutzt werden. Wie die Wärmepumpen dann beispielsweise mit wasserstoff-basierter Kraft-Wärme-Kopplung und einem Wärmenetz im Bestandsquartier kombiniert werden können, möchte das Forschungsprojekt ebenfalls demonstrieren.

Das Energiesystem wird so konzipiert, dass es sich rasch angleichen lässt, etwa in Hinblick auf energetische Sanierungen oder Neubauten. Zentrale Wärme- und Batteriespeicher sollen zudem Flauten auffangen, gespeicherte Überschüsse könnte man bei Bedarf aus dem Quartier ableiten. „Resilienz spielt in unserem Konzept eine tragende Rolle“, unterstreicht Stührmann. Angestrebt wird eine ausgeprägte Flexibilität und rasche Reaktionsfähigkeit auf plötzliche Veränderungen und Unsicherheiten, die bei der regenerativen Energieversorgung an der Tagesordnung sind.

Dafür arbeitet Stührmann gemeinsam mit Projektpartnern an komplexen Simulationsmodellen, in die mögliche Energiepreisentwicklungen und regulatorische Rahmenbedingungen genauso eingespeist werden wie das Zusammenspiel verschiedener Anlagen sowie deren Besitzverhältnisse und Varianten der Sektorenkopplung. „Die Abschreibung für ein Wärmenetz läuft über 30 Jahre, wir wissen heute aber nicht, wie das Energiesystem im Jahr 2050 aussieht“, sagt Stührmann. An einen Wandel sollten sich die Bestandsquartiere deshalb rechtzeitig und beweglich anpassen können.

Autorin: Bettina Brüdgam

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Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan

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