„Lange Übergangsfristen des GEG verschleiern Zeitenwende“
Was ist die Aufgabe der ZEBAU und welche Zielgruppe haben Sie im Blick?
Die ZEBAU ist die norddeutsche Netzwerkstelle für Bauherren, Planer und Kommunen und hat das Ziel, energieeffizientes Bauen und den Einsatz erneuerbarer Energien in der Gebäude- und Stadtplanung zu etablieren. Das interdisziplinäre Team ist in den Feldern Projektentwicklung, Kommunaler Klimaschutz, Gutachten, Beratung, Planung, Qualitätssicherung, Zertifizierung, Weiterbildung und Kommunikation aktiv. Mit den Hamburger Energielotsen koordinieren wir die landesweite Energieberatung für Unternehmen und Privatpersonen. Wir sind Hamburger Umweltpartner und als familienfreundliches Unternehmen ausgezeichnet.
Das Ziel weniger CO2-Ausstoß können viele Verbraucher unterschreiben, aber ist das GEG nicht zu aufgeweicht, um kurzfristige Lösungen von Tragweite erreichen zu können?
Die Novellierung des GEG ist eine Kompromiss-Lösung geworden, die aus der Notwendigkeit strengerer Klimaschutzauflagen und der aktuellen Machbarkeit am Markt eine Synthese gezogen hat. Viele bezeichnen diese Fassung als nicht weitreichend genug, als zu unklar und als „zahnlosen Tiger“ in Sachen Klimaziel-Erfüllung. Allein die komplizierten Zusammenhänge rund um den § 71 mit der vorausgehenden Kommunalen Wärmeplanung bis 2026 bzw. 2028, mit Ausnahmen und langen Austauschfristen bestehender fossiler Heizungen verschleiern ein wenig, dass wir uns in unserer Gesellschaft endlich ernsthaft auf eine Zeitenwende beim Heizen einstellen müssen.
Wie beurteilen Sie das neue GEG und die zugleich unsichere Förderkulisse?
Das folgenschwere Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November stoppte ja nicht nur formal den Nachtragshaushalt 2021. Auch die Bemühungen um eine das GEG flankierende Förderung der Energiewende kam ins Stocken. Aus dieser Situation muss sich die Regierung mühsam erst wieder befreien. Jetzt erleben wir leider auch einen Schnitt bei vielen sinnvollen Förderprogrammen, wie die energetischen Quartierskonzepte (KfW 432), die 11.000 Kommunen bei der Umsetzung praxisnaher Nachbarschaftslösungen geholfen hätten. Und Gift für jeden Investor ist die traurige Tatsache, dass gegenwärtige politische Entscheidungen nicht mehr berechenbar sind. Wer heute plant und bauen möchte, muss sich auf Entscheidungen für die kommenden zwei Jahre verlassen können.
Immobilieneigentümer und Verwalter klagen allgemein über mangelnde Planungssicherheit bei der kommunalen Wärmeplanung. Wo muss hier nachgesteuert werden?
Hier fehlt es massiv an der Kommunikation der Hintergründe und Zusammenhänge. Kurz gesagt, die kommunale Wärmeplanung entwickelt nur einen Rahmen mit Potenzialen für die Wärmeversorgung auf Grundlage bestehender Gebäudedaten, geografischer Daten, Wärmedichten und vorhandener Wärmenetze. Das sind dann Ergebnisse, die nicht unmittelbar auf Entscheidungen für eine neue Heizung übertragen werden können. Ob und wann zum Beispiel ein Fernwärmenetz ausgebaut werden kann, hängt von der verfügbaren Wärmeleistung im Netz ab, von den Kapazitäten des Versorgers, um überhaupt Rohrleitungen verlegen und Anschlüsse setzen zu können. Möglicherweise ist sogar ein kleines Wärmenetz der Nachbarn dann viel wirtschaftlicher und schneller, was aber eine bewusste gemeinsame nachbarschaftliche Entscheidungsbildung voraussetzt.
Wie praxisnah ist die aktuelle Wärmeplanung?
Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel zum Umgang mit Gasnetzen. Die Frage nach dem Wasserstoffeinsatz im Gasnetz ist hinsichtlich der technischen Machbarkeit, der erwartbaren Wärmekosten und der Verfügbarkeit großer Mengen von Wasserstoff noch gar nicht geklärt. Städte wie Mannheim haben die Wasserstoffnutzung daher in ihrer kommunalen Wärmeplanung für das Wohnen bereits vernachlässigt. Da am Ende aber der Wärmepreis das Maß für die Haushalte sein wird, müssen wir uns alle fragen, wer denn am Ende eigentlich die Energiewende bezahlt. Wir sind wieder bei dem Punkt der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Ich sehe es kommen, dass wir – wenn die deutschen Kommunen überhaupt bis 2028 ihre Wärmeplanungen vorlegen können – dann nur einen kleinen Schritt weiter sind. Immobilieneigentümer und Verwalter sollten aufmerksam den Markt beobachten und sich unabhängig und gut beraten lassen.
Die Hamburger Hafencity gilt als Blaupause für den klimaneutralen Umgang in Wohnquartieren. Was läuft hier besonders vorbildlich?
In der Hafencity sind viele als Vorbildvorhaben eingestufte Projekte realisiert. Das schon vor 20 Jahren eingeführte Hafencity-Label praktiziert eine deutlich nach außen erkennbare Bewertung von Nachhaltigkeit und Effizienz, die wir im Bauen verfolgen müssen. Auch die Wärmeversorgungsmodelle sind der Zeit voraus. Was aber die Hafencity besonders auszeichnet, das ist die Weitsicht der Gesamtplanung über 25 Jahre mit der Flexibilität in den Gestaltungsansätzen, Nutzungsanforderungen und eben auch dem zunehmend klimaneutralen Umgang mit Wohnquartieren. Von den Erfahrungen haben viele weitere Stadtentwicklungen profitiert.
Braucht es mehr Kreativität und Mut bei der Kreditvergabe und Förderungen sowie weniger Bürokratie in der Umsetzung?
Das wird in der Tat ein wichtiger Schlüssel sein. Wir müssen soziale Härten abfangen und für alle Beteiligten Anreize und Hilfen schaffen. Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht nur von Einzelnen zu bewältigen. Das gilt aber auch für die Lasten: Steigende Energiepreise in den kommenden Jahren werden wir alle tragen müssen. Ich würde mir wünschen, dass bei einer Kreditvergabe für eine Modernisierung die zugrunde gelegte Gebäudewertbetrachtung nach der Modernisierung höher wäre. Wenn in der Nachhaltigkeitsbetrachtung die Modernisierung vor einem Ersatzneubau zu prüfen ist, sollte das auch in der Gebäudewertermittlung noch stärker zum Ausdruck kommen. Da ist noch Luft nach oben.
Was halten Sie von der Debatte um optimierten Rohstoffeinsatz, zum Beispiel bestmögliche Wiederverwertung statt CO2-aufwendiger Herstellung von immer mehr neuer Dämmmaterialien?
Da sprechen Sie ein Zukunftsthema an, das wir in den kommenden Jahren nicht nur wegen der CO2-Einsparung verfolgen werden, sondern auch, um dem immensen jährlichen Abfallaufkommen aus der Bauwirtschaft zu begegnen. Erste Projekte der Kreislaufwirtschaft sind schon auf dem Weg, wie wir bei der Circular City Heidelberg oder beim Urban Mining Projekt der Wiederverwertung von Granulat aus 600 PVC-Fenstern bei der Stattbau Würzburg zu Recycling-Fenstern anschaulich erleben können.
Ich bin davon überzeugt, dass die Gebäudebewertung der Zukunft zunehmend vom Maß ihrer Klimaneutralität abhängen wird." Peter-M. Friemert, Geschäftsführer ZEBAU GmbH
Wo liegen aktuell die wesentlichen Potenziale und wo die Grenzen bei der Umsetzung energetischer Sanierung bei Gebäuden?
Es wird darauf ankommen, dass wir keine weitere Zeit verlieren. Um die Klimaneutralität im Gebäudebereich kommen wir nicht herum. Darin stecken auch Potenziale für neue Arbeitsplätze, Produktentwicklungen und natürlich die Anpassung an den spürbaren Klimawandel. Die Grenzen liegen in einer einseitigen Betrachtung technischer Lösungsansätze. Wir müssen vielen Wegen folgen, die der Kombination aus Energieeffizienz (Einsparung) und der Nutzung erneuerbarer Energien folgen. Ich warne vor dem Glauben an neue Technikansätze, deren Innovation noch 20 Jahre benötigen. Ohne die zukunftsweisenden Technologien aus dem Auge zu verlieren, benötigen wir jetzt rasch pragmatische Gegenwartsansätze. Ich bin davon überzeugt, dass die Gebäudebewertung der Zukunft zunehmend vom Maß ihrer Klimaneutralität abhängen wird. Der klimaneutrale Zeitgeist wird unser Handeln bestimmen.
Hans-Jörg Werth
Anhang | Größe |
---|---|
Beitrag als PDF herunterladen | 448.84 KB |
◂ Heft-Navigation ▸