Kurswechsel im schwarz-roten Koalitionsvertrag?
Bereits auf das Abschlusspapier der Arbeitsgruppe Wohnen reagierte der VdW Niedersachsen Bremen Ende März positiv. In den Koalitionsverhandlungen in Berlin hätten sich CDU und SPD auf einen neuen Weg hin zu mehr Klimaschutz im Gebäudesektor geeinigt. Geglückt sei der „Einstieg in einen Paradigmenwechsel bei der Dekarbonisierung der Wohnungsgebäude“. Diese mutige Entscheidung dürfte den Weg hin zu mehr erneuerbarer Energie und wirtschaftlich angemessener Sanierung älterer Bestände ebnen. Damit seien CDU und SPD, so der Landesverband der Wohnungswirtschaft weiter, den Vorschlägen der wissenschaftsgestützten Initiative „Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ gefolgt. Ziel sei eine völlig neue Ausrichtung des bisherigen Gebäudeenergiegesetzes.
Im vergangenen November hatten die angesehenen Akademiker Prof. Elisabeth Endres, Prof. Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch, Prof. Dirk Hebel, Prof. Dr. Dr. E.h. Dr. h.c. Werner Sobek und Prof. Dipl.-Ing. Dietmar Walberg ihr Manifest für eine kosteneffiziente und sozial verträgliche Klimapolitik im Gebäudesektor vorgestellt. Darin kritisieren sie die seit vielen Jahren einseitige Fokussierung auf immer höhere Energieeffizienzstandards durch materialintensive Gebäudedämmung. Sie fordern dringend einen politischen Richtungswechsel. Die Reduzierung von Treibhausgasemissionen müsse ins Zentrum gerückt werden. Dies sei finanzierbar, stelle die Erreichung der Klimaschutzziele sicher und gewährleiste bezahlbares Wohnen, so die Verfasser des Manifestes. In Anbetracht des Regierungswechsels in Berlin und der drängenden Haushaltsprobleme seien die klimapolitischen Maßnahmen in den kommenden Monaten von entscheidender Bedeutung.
Auch der Bundesverband der Wohnungswirtschaft (GdW) geht offenbar davon aus, dass der Richtungswechsel für einen anderen Klimaschutz im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Das Lob des GdW für das Papier fällt jedenfalls auffallend positiv aus. Mit dem Koalitionsvertrag sei ein „gordischer Knoten“ durchschlagen worden, indem er den Fokus von der Energieeffizienz nehme und die CO2-Reduktion der Heizsysteme zur zentralen Steuerungsgröße erkläre. Hierdurch würden sowohl für die Mieter- als auch für die Vermieterseite dramatisch Kosten reduziert. Dies entspreche einer Kernforderung des GdW. Dieses Lob der Wohnungswirtschaft gilt einer Passage im Koalitionsvertrag, in der es heißt, ein „neues Gebäudeenergiegesetz wolle man technologieoffener, flexibler und einfacher gestalten“. Ein grundsätzlicher Wandel zum bisherigen Ansatz, die Gebäudedämmung maximal zu fördern, deutet sich in dem Satz an: „Die erreichbare CO2-Vermeidung soll zur zentralen Steuerungsgröße werden.“
Die von renommierten Wissenschaftlern aus den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen Mitte November 2024 ins Leben gerufene Initiative „Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ verzeichnete bis Mitte April mehr als 500 Unterzeichner aus den Bereichen Wissenschaft und Immobilienwirtschaft. Zu den Unterstützern zählen prominente Branchenvertreter wie der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), der Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen (GdW), der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) sowie zahlreiche kommunale, genossenschaftliche und mittelständische Wohnungs- und Immobilienunternehmen.
NHW: „Klimaschutz auf dem jetzigen Pfad ist nicht bezahlbar“
Zu den Unterstützern der Initiative zählt die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte|Wohnstadt (NHW). Deren Leitender Geschäftsführer Dr. Thomas Hain erklärt: „Wir könnten die Investitionen als sozial orientiertes Wohnungsunternehmen ökonomisch nicht stemmen. Die damit verbundenen Mietsteigerungen bergen sozialen Sprengstoff, der den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gefährdet.“ Hain rechnet vor, dass der Klimaschutz auf dem jetzigen Pfad für sozial orientierte Wohnungsunternehmen nicht zu finanzieren sei. Die NHW verlange im Durchschnitt eine Netto-Kaltmiete von 6,77 Euro pro Quadratmeter. Zur Erreichung der Klimaschutzziele mittels Wärmedämmung seien bis 2045 Investitionen in Höhe von siebeneinhalb Milliarden Euro notwendig; das Unternehmen könne jedoch maximal 1,4 Milliarden aufbringen. Auf dem von der Wissenschafts-Initiative vorgeschlagenen neuen Pfad (Schwerpunkt auf Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung, moderate Dämmung) reduziere sich der Investitionsbedarf auf etwa 3,5 Milliarden Euro. „Auch diese Summe können wir aus eigenen Mitteln nicht bezahlen; es geht nicht ohne staatliche Förderung“, so NHW-Chef Thomas Hain. Aber das Geld, das auf dem neuen Pfad ausgegeben würde, hätte einen größeren Effekt auf die Emissionen. Auf dem neuen Pfad blieben im Gebäudebetrieb 2045 fünf Kilogramm CO2 pro Quadratmeter und Jahr; am Ende des aktuell beschrittenen, teuren Pfades würden immer noch 17 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter und Jahr ausgestoßen.
Ein wesentlicher ökonomischer Effekt: die deutlich größere Portfoliodurchdringung hilft nicht nur der Bestandsentwicklung, sie bringt auch mit sich, dass am Ende mehr Geld als bisher in den Bestand investiert werden kann. Es reduzieren sich also nicht nur die Ausgaben, sondern es steigt auch das zur Verfügung stehende Investitionsbudget. Dadurch reduziert sich der Abstand zwischen Leistbarem und dem Budget für Klimaneutralität auf den Faktor 1,5.
Initiative: „Weitere Investitionen in die Dämmung haben keinen Effekt“
Die Initiatoren des Kurswechsels in der Klimapolitik für den Gebäudesektor: „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Seit Jahren ist der Befund der Wissenschaft eindeutig. Wir sparen trotz hoher Mittelaufwendungen für Sanierungen kein CO2 im Gebäudesektor mehr ein. Deshalb registrieren wir aus unseren Netzwerken, also der Wissenschaft, aber auch der Politik und von Unternehmen, sehr großes Interesse und massive Unterstützung für unsere Ideen. Wir müssen nun den Mut aufbringen, umzusteuern. Dann werden wir nicht nur unsere Klimaziele im Gebäudesektor erreichen, sondern auch einen enormen Innovationsschub im Bausektor auslösen“, so die Initiatoren.
Redaktion (allg.)

◂ Heft-Navigation ▸