5. Fachkongress der Initiative Wohnen.2050

Der Wohnungswirtschaft hilft keine U-Wert-Olympiade

Klimaneutralität ist für die Wohnungswirtschaft nicht finanzierbar? Der 5. Fachkongress der Initiative Wohnen.2050 in Darmstadt hat bei den 320 Teilnehmern den Eindruck hinterlassen, dass man das auch anders sehen kann. Über einen Kurswechsel, der Mut macht.

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Moderiert von Ulrike Trampe, Editor-at-large DW Die Wohnungswirtschaft (li.), diskutierten (v.li.): Dr. Alexander Renner, Bundeswirtschaftsministerium; Nina Neumann, EU-Kommission; Prof. Dietmar Walberg und Prof. Elisabeth Endres, beide Gründer der Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor; Lothar Fehn Krestas, Bundesbauministerium, sowie GdW-Präsident Axel Gedaschko. Bild: Walter Vorjohann
Moderiert von Ulrike Trampe, Editor-at-large DW Die Wohnungswirtschaft (li.), diskutierten (v.li.): Dr. Alexander Renner, Bundeswirtschaftsministerium; Nina Neumann, EU-Kommission; Prof. Dietmar Walberg und Prof. Elisabeth Endres, beide Gründer der Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor; Lothar Fehn Krestas, Bundesbauministerium, sowie GdW-Präsident Axel Gedaschko. Bild: Walter Vorjohann

Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) und Vorstandsvorsitzender der Initiative Wohnen.2050 (IW.2050), eröffnete den ​

5. Fachkongress der IW.2050 im „Darmstadtium“ mit über 320 Teilnehmer. Tag eins war eine offene Kooperationsveranstaltung mit dem GdW und der Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor. Sein Appell zum Start: „Klimaschutz ist in der Realität angekommen – jetzt geht es ums Machen, nicht mehr ums Ob. Wir müssen mit Maß und Mitte an die aktuellen Herausforderungen herangehen, nicht ideologisch, sondern ganz pragmatisch. Weder Aktionismus noch Stillstand bringen uns weiter. Wir brauchen den neuen Fokus auf die CO2-Reduktion. Es ist höchste Zeit, diesen neuen Weg zu beschreiten!“ Klimaschutz und Finanzierbarkeit müssten Hand in Hand gehen – mit dem klaren Schwerpunkt Kosten-Nutzen-Balance. Ein weiterer Aspekt: Die Mieter stehen nach wie vor im Vordergrund – sozialer Anspruch und ökologische Verantwortung gehörten zwingend zusammen.

Dialog statt Distanz

Lebendiges Networking mit Entscheidern und Machern aus Politik, Praxis und Wissenschaft prägte die Veranstaltung ebenso wie spannende Diskussionsrunden und vertiefende Einblicke mit breit gefächerten Themen – unter anderem von der Wärmewende, zu ESG, CSRD, CO2-Reduktion oder Finanzierung. Als besonders wertvoll eingestuft wurde das Format „WoWi meets Politik und Wissenschaft“, das die Möglichkeit zum intensiven Gedankenaustausch förderte. Die Devise: Gemeinsam realistische und wirtschaftlich tragfähige Lösungen zur Klimaneutralität finden. Die Nähe zu den Referenten und Diskussionsteilnehmern sowie die Vielfalt der Perspektiven, die dieser 5. Fachkongress bot, wurde als Brückenschlag zwischen Regulatorik und berufspraktischer Ebene sehr geschätzt.

Mittelmaß als neue Exzellenz

Große Zustimmung fanden die Vorträge von Prof. Elisabeth Endres und Prof. Dietmar Walberg, beide Mitgründer der Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor. Tenor: Auf dem Weg zur Klimaneutralität hilft der Wohnungswirtschaft keine U-Wert-Olympiade, sondern das Sanieren mit Maß und Mitte. „Es ist nicht immer die gesamte Bilanz entscheidend und es muss nicht immer Effizienzhausstandard 55 sein. Das Ziel ist CO2-Einsparung kann auch über Einzelmaßnahmen erreicht werden.

Der Einbau einer Wärmepumpe – ohne weitere Sanierungsmaßnahmen – kann daher maßvoll sein“, erläuterte Prof. Endres aus ihrer Praxiserfahrung. Klimaneutrale Wärmeversorgung sei möglich – mit realistischen Alternativen zu teuren Hüllstandards. Prof. Walberg verwies auf weitere Herausforderungen wie Klimaresilienz, demografischer Wandel und Ressourcenschutz. Insgesamt müssten sowohl die Bestandssanierung wie auch die Weiterentwicklung von Förderungen zukünftig deutlich sozialer gedacht werden.

Zum Informationsaustausch rund um die Nachhaltigkeit trug auch Nina Neumann, EU-Kommission Energieeffizienz, bei. Sie gab in ihrem Impulsvortrag aktuelle Einblicke in die Revision der EU-Gebäuderichtlinie EPBD. „Wir müssen Gebäude aus der schlechtesten Energiezone herausbekommen. Die Installation einer Wärmepumpe ermöglicht das“, so Neumann. Priorität habe für die EU-Entscheider dabei das Thema „erschwingliches Wohnen“.

Der Kurswechsel ist Grund zu Optimismus

Tag zwei startete mit einer motivierenden Begrüßung durch Dr. Thomas Hain, Leitender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe NHW und stellvertretender Vorstand IW.2050. Hain sieht Anlass für Optimismus, denn Förderung und Regulatorik würden offensichtlich auf die CO2-Emissionen ausgerichtet. Schon jetzt sei der Einfluss der Initiative der fünf Professoren und der Branchenverbände auf die Politik sichtbar. Der Kurswechsel versetze die Nassauische Heimstätte in die Lage, bis 2025 statt 50 Prozent nunmehr 75 Prozent der Bestandsimmobilien sanieren zu können.

Langfristige Verträge können Baukosten deutlich senken

Klaus Leuchtmann, Vorstandsvorsitzender der EBZ – Europäisches Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft stellte in seinem Impulsvortrag fest, dass die Bauwirtschaft in den vergangenen 35 Jahren keinerlei Produktivitätsfortschritt gemacht habe. Während andere Branchen kontinuierlich zulegten, bewege sich das Bauwesen seit 1991 im Minus. Die Gründe seien vielfältig: überbordende Regulierungen, eine zu geringe Standardisierung und oftmals fehlende Digitalisierung – um nur einige zu nennen. Gerade deshalb gelte es, lösungsorientiert zu agieren und beispielsweise Gespräche mit Bauunternehmen und Herstellern zu führen sowie neue Formen der Zusammenarbeit zu suchen. Mit langfristigen Partnerschaften, Innovationsklauseln und Planungssicherheit seien Kostensenkungen bis zu 20 Prozent zu erzielen. Mut zur Veränderung laute auch hier die Maxime.

Reduzierte Dämmvarianten machen das Rennen

Inspirierend auch die übrigen acht Fokus-Sessions zu verschiedenen Themen – alle mit hohem Praxisbezug. Darunter ein Modellprojekt mit Schwerpunkt Kreislaufwirtschaft der Gesellschaft für Grund- und Hausbesitz, Heidelberg (GGH): Gleiche Gebäude aus den 1950er-Jahren, im Reallabor auf verschiedene Standards saniert, begleitet von der TU München mit Auswertungen in Bezug auf CO2-Einsatz, inklusive grauer Energie und Kostenvergleich in Bezug auf eingesparter Tonne CO2. Das Ergebnis: Nicht die Sanierung auf EH55 macht das Rennen, sondern eine reduzierte Dämmungsvariante mit WDVS aus Holzfasern, Dämmung der Kellerdecke und Glastausch der Fenster.

Resümee: der Paradigmenwechsel gelingt

Für Felix Lüter, geschäftsführender Vorstand der IW.2050, wurde der Gordische Knoten beim diesjährigen 5. Fachtreffen endlich zerschlagen: „Für unsere Branche erfolgt ein echter Paradigmenwechsel zum Schwerpunkt CO2-Reduktion. Das macht es für viele konkreter.

Die Finanzierungslücke zwischen Leistbarem und Erforderlichem zum Erreichen der Klimaneutralität wird durch den Fokus auf die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung deutlich kleiner.“ Lüter forderte alle auf „noch mutiger zu werden“ und weiter in Einzelschritten und -projekten voranzugehen. Noch mehr Erfahrungen und der Austausch darüber brächten alle gemeinsam weiter.

Paradigmenwechsel für bezahlbaren Klimaschutz

Im vergangenen Jahrzehnt hat Deutschland 545 Milliarden in Gebäudedämmung und Haustechnik investiert, ohne dass der Energieverbrauch wirklich gesenkt werden konnte. Fünf Wissenschaftler aus den Fachbereichen Architektur und Ingenieurwesen rufen in einem Manifest zum Kurswechsel auf – und finden damit zunehmend Gehör. Die „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ stellt fest, dass ein stärkerer Fokus auf CO2-Reduktion – und nicht allein auf Energieeinsparung durch Dämmung – das Ziel der Klimaneutralität bei gleichzeitig bezahlbarem Wohnen erreichbar machen könne. Mit dem Praxispfad CO2-Reduktion würden die im Vergleich zum heutigen Szenario benötigten Fördermittel um fast zwei Drittel gesenkt, von jährlich 50 auf 18 Milliarden Euro.

Bei Fortsetzung der bisherigen Gebäudeeffizienzsteigerung durch Dämmung müssten jährlich 263 Milliarden Euro in Gebäude investiert werden. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 seien lediglich 60 Milliarden Euro in die Gebäudeertüchtigung geflossen. Auf dem von der Initiative vorgeschlagenen Praxispfad CO2-Reduktion würden Wohngebäude moderat saniert und mit erneuerbarer Energie versorgt. Die Gesamtkosten beziffern die Wissenschaftler auf jährlich 96 Milliarden Euro.

So sollte der Kurswechsel aussehen

Emissionsfreie Wärmeversorgung: Fossile Energieträger müssen zügig durch emissionsarme Technologien wie Wärmepumpen und die Nutzung industrieller Abwärme ersetzt werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien auf Quartiersebene wird hierbei priorisiert wie bilanzielle Ansätze auf der Ebene von Gebäudeflotten und Quartieren im Allgemeinen und hier insbesondere die gebäudeübergreifende bilanzierbare Nutzung von Solarenergie.

Maßvolle Sanierung: Statt kostspieliger überzogener Sanierungstiefen fordern die Experten eine Sanierung, die sich an der Lebensdauer der Bauteile orientiert und unnötige Kosten vermeidet.

Effiziente Wärmepumpen-Nutzung: Moderne Wärmepumpen sind bereits für teilsanierte (ab EnEV 2002) oder moderat sanierte Gebäude geeignet, was den Sanierungsdruck mindert und trotzdem eine klimaschonende Wärmeversorgung ermöglicht.

Förderung von Bestandserhalt und Kreislaufwirtschaft: Neubauten sollen strengen Emissionsgrenzen entsprechen, während der Erhalt bestehender Gebäude die Nutzung grauer Energie maximiert und Abfall reduziert. (Red.)

Heike Schmitt

Heike Schmitt
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Artikel Der Wohnungswirtschaft hilft keine U-Wert-Olympiade
Seite 22 bis 23
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