Wissenschaftler fordern Kurswechsel

„Der Klimaschutz im Gebäudesektor ist gescheitert“

Im vergangenen Jahrzehnt hat Deutschland 500 Milliarden in Gebäudedämmung und Haustechnik investiert, ohne dass der Energieverbrauch wirklich gesenkt werden konnte. Fünf Wissenschaftler aus den Fachbereichen Architektur und Ingenieurwesen rufen in einem Manifest zum Kurswechsel auf. Der GdW ist der Initiative für eine andere Klimapolitik bereits beigetreten.

Fordern einen Kurswechsel: Prof. Dietmar Walberg (v.li.), Prof. Dirk Hebel, Prof. Elisabeth Endres und Prof. Werner Sobek. Foto: Axentis/Lopata
Fordern einen Kurswechsel: Prof. Dietmar Walberg (v.li.), Prof. Dirk Hebel, Prof. Elisabeth Endres und Prof. Werner Sobek. Foto: Axentis/Lopata

Renommierte Wissenschaftler aus den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen haben in Berlin ein Manifest für eine kosteneffiziente und sozial verträgliche Klimapolitik im Gebäudesektor vorgestellt. Darin kritisieren sie die seit vielen Jahren einseitige Fokussierung auf immer höhere Energieeffizienzstandards, die immer teurere Dämmmaßnahmen zur Folge haben, und fordern einen politischen Richtungswechsel. „Die historisch gewachsene, alleinige Fokussierung auf Energieeinsparung im Gebäudesektor ist gescheitert“, stellen die Wissenschaftler fest. Sie fordern ein Umsteuern: Statt kostspieliger Sanierungen der Gebäudehülle eine möglichst schnelle Umstellung auf eine Wärmeversorgung durch emissionsfreie Energieträger.

Die Gründerin und die Gründer der Initiative

Die „Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ wurde gegründet von Prof. Elisabeth Endres, Professorin an der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften der TU Braunschweig, Prof. Manfred Norbert Fisch, emeritierter Professor der Fakultät Architektur der TU Braunschweig, Prof. Dirk Hebel, Professur für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Prof. Werner Sobek, emeritierter Professor an der Universität Stuttgart und Prof. Dietmar Walberg, Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Lübeck.

„Zwei Drittel aller Mehrparteienhäuser lassen sich mit Wärmepumpen heizen“

Die Wissenschaftler definieren fünf Kernpunkte für klimapolitisches Handeln. Demnach soll die Wärmeversorgung möglichst schnell auf emissionsfreie Energieträger umgestellt und von kostspieligen Sanierungstiefen der Gebäudehülle Abstand genommen werden. Etwa Zwei Drittel aller Mehrfamilienhäuser seien bereits teilsaniert oder wurden nach Einführung der Energieeinspar-Verordnung (EnEV 2002) gebaut. Diese Gebäude seien in der Regel für den Einsatz von Wärmepumpen geeignet. Die oft zu hörende Meinung, dass vor dem Einbau einer Wärmepumpe die Heizkörper ausgetauscht werden müssten oder eine Fußbodenheizung eingebaut werden müsse, sei eine Fehleinschätzung wie umgesetzte Beispiele zeigten. Darüber hinaus solle die politische Regulierung stark vereinfacht und auf einen CO2-Emissionsreduktionspfad abgestellt sowie der Erhalt von Bestandsgebäuden gefördert werden.

Warum die derzeitige Strategie im Gebäudesektor gescheitert ist

Im Manifest fassen die Wissenschaftler ihre in jahrelanger Forschung erlangten Erkenntnisse zusammen. Sie unterstreichen, dass ein stärkerer Fokus auf CO2-Reduktion – und nicht allein auf Energieeinsparung durch Dämmung – das Ziel der Klimaneutralität bei gleichzeitig bezahlbarem Wohnen erreichbar machen könne. „Mit unserem Praxispfad CO2-Reduktion senken wir die im Vergleich zum heutigen Szenario benötigten Fördermittel um fast zwei Drittel, von jährlich 50 auf 18 Milliarden Euro.“

„Damit zeichnen wir ein realistisches Szenario für die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor, weil mit unserem Weg die knappen Ressourcen im Finanzbereich, aber auch im Bausektor sinnvoller eingesetzt werden“, sagt Prof. Manfred Norbert Fisch. „Zudem berücksichtigen wir mit unserem Ansatz auch die Treibhausgasemissionen, die durch den Bau der Bestandsgebäude bereits entstanden sind bzw. jene, die durch Neubau noch entstehen würden“, sagt Prof. Dirk Hebel. Und Prof. Werner Sobek ergänzt: „Wir müssen den CO2-Emissionen einen angemessenen Preis geben. So können wir den Weg zur Erreichung des Klimaziels realistischer planen und sozial gerechter gestalten“.

Die aktuellen Ansätze, die sich auf maximale Energieeffizienz und umfassende Sanierungsmaßnahmen stützten, seien weder finanzierbar noch klimawirksam genug, folgert das Manifest der Wissenschaftler. „Was wir benötigen, ist kein blindes Streben nach höchster Energieeffizienz, sondern eine praxisorientierte Politik, die auf die Senkung der Treibhausgasemissionen abzielt“, sagt Prof. Elisabeth Endres.

„Wir fordern Wissenschaftler und Vertreter aus der Wirtschaft auf, den Diskurs mit uns zu führen und sich dieser Initiative anzuschließen”, ergänzt Prof. Dietmar Walberg.

GdW ist bereits Mitglied in der Initiative „Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“

Der GdW Bundesverband der deutschen Wohnungswirtschaft mit seinen rund 3.000 Mitgliedsunternehmen, die rund sechs Millionen Mietwohnungen bewirtschaften, ist der Initiative bereits beigetreten. Der Verband fordert die politischen Entscheidungsträger auf, die kommende Bundestagswahl als Chance für einen neuen Ansatz zu nutzen. „Ein Kurswechsel in der Klimapolitik ist zwingend notwendig, um eine ökonomisch machbare, sozial gerechte und ökologische Wende im Gebäudesektor zu schaffen“, sagt GdW-Präsident Axel Gedaschko. „Es gilt, praxisorientierte Lösungen zu fördern, die die Klimaziele erreichbar machen und die sozialen Belastungen für Mieter und Vermieter in Grenzen halten“.

Der Einsatz des GdW für einen Kurswechsel in der Klimapolitik hat zwingende Gründe. In seiner Rede auf dem Tag der Wohnungswirtschaft in Berlin warnte Axel Gedaschko jetzt eindringlich vor einer finanziellen Überforderung der sozial orientierten Wohnungsunternehmen nach der Zinswende und einer Baukostenseigerung von über 45 Prozent in nur vier Jahren. Gedaschko stellte in seiner Rede fest: „Der Klimaschutz im Gebäudebestand, so wie wir ihn derzeit machen, ist eine Mission Impossible.“ Dafür sieht Gedaschko als Hauptursache „die dogmatische Fokussierung auf die absolute Energieeinsparung am Einzelgebäude. Nur ein klares Umsteuern von immer mehr Energieeffizienz hin zu einer klaren CO2-Betrachtung gewährleiste jetzt noch bezahlbares Wohnen und die Erreichung der Klimaschutzziele, so der GdW-Präsident. Von diesem Standpunkt aus unterstützt der GdW die fünf Kernforderungen im Manifest der fünf Wissenschaftler.

Paradigmenwechsel für mehr Klimaschutz

1. Emissionsfreie Wärmeversorgung: Fossile Energieträger müssen zügig durch emissionsarme Technologien wie Wärmepumpen und die Nutzung industrieller Abwärme ersetzt werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien auf Quartiersebene wird hierbei priorisiert wie bilanzielle Ansätze auf der Ebene von Gebäudeflotten und Quartieren im Allgemeinen und hier insbesondere die gebäudeübergreifende bilanzierbare Nutzung von Solarenergie.

2. Maßvolle Sanierung: Statt kostspieliger überzogener Sanierungstiefen fordern die Experten eine Sanierung, die sich an der Lebensdauer der Bauteile orientiert und unnötige Kosten vermeidet.

3. Effiziente Wärmepumpen-Nutzung: Moderne Wärmepumpen sind bereits für teilsanierte (ab EnEV 2002) oder moderat sanierte Gebäude geeignet, was den Sanierungsdruck mindert und trotzdem eine klimaschonende Wärmeversorgung ermöglicht.

4. Einführung eines Emissionsminderungspfads: Statt unübersichtlicher Regelungen plädieren die Wissenschaftler für einen verbindlichen Emissionsminderungspfad bis 2045, der klare Reduktionsziele für Gebäudeemissionen setzt und durch eine unabhängige Emissionsagentur überwacht wird.

5. Förderung von Bestandserhalt und Kreislaufwirtschaft: Neubauten sollen strengen Emissionsgrenzen entsprechen, während der Erhalt bestehender Gebäude die Nutzung grauer Energie maximiert und Abfall reduziert. (Red.)

Das komplette Manifest können Sie hier herunterladen.

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