Zukunftsmarkt Wohnungswirtschaft

 

Im Wohnungsbau werden Bestandsmodernisierung und Anpassung an neue und veränderte Bedürfnisse vor allem älterer Menschen in den nächsten zwei Jahrzehnten absolut im Vordergrund stehen:

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Bauatmosphäre: Deubau-Einblicke
Bauatmosphäre: Deubau-Einblicke

Allein die 4.800 Wohnungsunternehmen und -genossenschaften bewirtschaften in Deutschland 15.6 Mio. Eigentums- und vermietete Wohnungen (40 % des Bestandes); die Immobilienverwalter 3.5 Mio. Eigentums- und 2.0 Mio. Mietwohnungen und eine große Anzahl von statistisch nicht erfassten Gebäuden privater Unternehmen, der öffentlichen Hand sowie von Stiftungen, Kirchen und anderen Organisationen.

Lediglich ein Prozent (400.000 Wohnungen) des Gesamtbestandes von derzeit 40 Mio. Wohnungen können als „barrieregerecht“ oder „barrierefrei“ bezeichnet werden.

75 % des Wohnungsbestandes und wahrscheinlich auch des übrigen Immobilienbestandes im Bereich der Sozialen Infrastruktur sind älter als 25 Jahre und genügen längst nicht mehr heutigen Anforderungen. Jährlich werden 100 Mrd. € in die Modernisierung und Sanierung des Wohnungsbestandes investiert – während das Neubauvolumen in 2006 nur noch 30 % aller Investitionen im Wohnungsbau beträgt.

In seiner im vergangenen Jahr veröffentlichten Schätzung des kommunalen Investitionsbedarfes bis 2020 konstatiert das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU), dass der kommunale Ersatz- und Erweiterungsbedarf (weitgehend Modernisierung) 90 % und der Nachholbedarf (überwiegend Neubau) 10 % des gesamten Investitionsbedarfs ausmachen dürfte.

Insgesamt verdeutlichen diese Zahlen, dass in der Wohnungswirtschaft und bei den Trägern der Sozialen Infrastruktur ein umfangreiches und ökonomisch sehr relevantes Umsatzvolumen, das durch Planer, die Bauzuliefer-Industrie und mittelständische Bauunternehmen unbedingt erschlossen bzw. ausgeschöpft werden müsste, vorhanden ist.

In keiner Branche ist die Zukunft – trotz der kleineren oder auch größeren „Leuchtfeuer“ (oder Strohfeuer?) der letzten Jahre –  wahrscheinlich so unsicher und ungewiss wie im Planen, Bauen, Managen und Finanzieren von Häusern und Anlagen für den Staat, die Gesellschaft und die Wirtschaft.

Sechs Megatrends prägen – auch im Zusammenhang mit der Nationalen Stadtentwicklungspolitik – mehr als alle anderen die Gegenwart und mit Sicherheit auch die nahe und fernere Zukunft im Planen und Bauen:

  1. die Bewältigung der weltweit nicht überwundenen Finanz- und Wirtschaftskrise und der noch nicht absehbaren Auswirkungen auf die Realwirtschaft,
  2. die unbedingt notwendige Energieeffizienzsteigerung vor dem Hintergrund des Klimaschutzes und –wandels als Basis für mehr Nachhaltigkeit im Bauen,
  3. die noch längst nicht erkennbaren Folgen der demographischen Entwicklung,
  4. die Aufteilung unseres Landes in Wachstums- und Schrumpfungsregionen,
  5. die Sicherung der kommunalen technischen und sozialen Infrastruktur und
  6. der weiter wachsende Flächenbedarf im Wohnungsbau.

Alles Gebaute soll „nachhaltig“ und „dauerhaft“ sein, Werte schaffen, wenig in der Erstinvestition und noch weniger im Betrieb bzw. im Lebenszyklus kosten und – natürlich – wieder verwendbar und „flexibel“ in der Nutzung sein. Es entsteht – als Konsequenz aus der gegenwärtigen Lage – fast der Eindruck, als ob – vor allem auch mit der Zertifizierung von Häusern und Quartieren - im Planen und Bauen das Perpetuum mobile entdeckt oder erfunden werden sollte.

Denn: Die vierte Haut, die Umwelt, unsere Erde, leidet wie noch nie zuvor, ist nicht nur in ihrer Existenz gefährdet, sondern wird weiterhin – trotz besseren Wissens – von inkompetenten und renditesüchtigen Akteuren in großen Teilen rücksichts- und verantwortungslos ausgebeutet und zerstört.

Auswirkungen
Der demographische Wandel beeinflusst schon gegenwärtig Umfang und Struktur der gesamten Wirtschaft und Gesellschaft. Er kann und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit über die größenmäßige Entwicklung von innovationsfreudigen bzw. –schwachen Bevölkerungsgruppen und Regionen mittelbar auch Einfluss auf die Innovationsfähigkeit in der Wirtschaft und damit auf den technischen Fortschritt haben, sofern die gegenwärtig geltenden Bedingungen unverändert bleiben.

Der demographische Wandel stellt besonders die Kommunen – und damit auch die Wohnungswirtschaft und die Träger der Sozialen Infrastruktur - vor neue Aufgaben, da sich die Folgen auf alle Handlungsfelder auswirken. Das betrifft Politikfelder wie Schule, Verkehr, Gesundheit, Altenhilfe, Kindergärten, technische Infrastruktur etc. Durch die zurückgehenden Bevölkerungszahlen sind besonders die kommunalen Finanzen betroffen. Doch bisher fehlen in vielen Städten noch strategische Konzepte und politisch abgestimmte Ziele zu der Frage, wie die Folgen des demographischen Wandels bearbeitet werden können. Zwar gibt es in vielen Kommunen mittlerweile Stabsstellen „Demographische Entwicklungsplanung“, um die Bevölkerungsentwicklung bei allen städtischen Planungen berücksichtigt zu können. Es fehlen aber nach wie vor Konzepte und demographiepolitische Ziele zu den folgenden Themen: Integration von Zuwanderern, Bildung, Familienpolitik, Wohnen, Gesundheit und Wirtschaft.

Darüber hinaus fehlen Verfahren, wie diese Ziele in Verwaltung und Politik bearbeitet werden können. Und es sind nur wenige Projekte initiiert und bekannt, mit denen nicht nur bei Bürgern, sondern vor allem auch bei Fachleuten aus der privaten (Bau-) Wirtschaft Interesse geweckt worden ist.

Paradigmenwechsel?
In den letzten 30 Jahren haben die weltweiten Umweltprobleme und die Wiederentdeckung der energetischen Dimension die Auffassungen über das Bauen nachhaltig verändert. Die Probleme sind der Teil der Gesamtsicht, des ganzheitlichen Denkens geworden und  - in einer Zeit gewaltiger Umbrüche und Herausforderungen ungeahnten Ausmaßes – für die Zukunft des Bauens, für das Erkennen der Wirkungszusammenhänge im gestörten Kreislauf der Natur von zentraler Bedeutung.

Vor dem Hintergrund der großen weltweiten ökonomischen und ökologischen, sozialen und kulturellen Krisen und Veränderungen muss die Gestaltung der gebauten Umwelt neue Konturen gewinnen; zumal in Deutschland

fast 40 % der erzeugten Primärenergie in Gebäuden und

50 % der benötigten Rohstoffe für die Errichtung und den Umbau von Gebäuden verbraucht werden.

Nahezu drei Viertel dieser Energie könnte allein durch bauliche Maßnahmen eingespart werden. Deshalb hat das Nachhaltige Bauen bei der Gestaltung der künftigen Lebenswelt eine herausragende Bedeutung.

Gleichwohl ist die Resonanz auf die heutigen Probleme und die in den nächsten Jahrzehnten zu erwartenden drastischen gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen noch relativ gering, obwohl gerade Architektur und Städtebau als Spiegelbild und Abbild herrschender Wertvorstellungen von dieser Herausforderung des Denkens besonders betroffen sein müssten:

einerseits, weil das Bauen in seiner schlimmsten Ausprägung schon immer zu krisenhaften Situationen beigetragen hat;

andererseits, weil Architekten und andere Planer häufig genug die wirtschaftlichen und sozialen Nöte ihrer Zeit aufgegriffen haben, Träger von Innovation und auch Wegbereiter geistig-kultureller Wenden gewesen sind.

Herausforderungen

Eine Analyse der Verhältnisse, Abhängigkeiten und Rahmenbedingungen muss mit dem Versuch beginnen, Antworten auf die wichtigsten Fragen zu finden:

Häuser, in denen Wohnungen sind, können einer einzelnen Person oder einer einzelnen Gesellschaft gehören. Es gibt jedoch auch Häuser, die in Wohnungseigentum aufgeteilt sind und bei denen jede einzelne Wohnung einem einzelnen Eigentümer gehört - diese Wohnung...

Wie und wo werden und wollen die Menschen in Deutschland in Zukunft wohnen und arbeiten?

Diese einfache Frage spiegelt – so der Zukunftsforscher Karl-Heinz Steinmüller – die ganze Komplexität unserer Gesellschaft. Spannend ist es auch deshalb, über die Zukunft des Bauens und Wohnens nachzudenken, weil sich auf diesem Gebiet gesellschaftliche Veränderungen mit technologischen Innovationen, ökonomische Restriktionen mit ökologischen Anforderungen treffen. Und: Wir leben in einer Zeit, in der selbst der eher konservative Bereich des Bauens von Häusern in erhebliche Bewegung geraten ist. Die Triebkräfte für diese Veränderungen sind vielfältiger Natur. Sie reichen vom demographischen Wandel mit einer Alterung der Bevölkerung und anhaltender Migration über soziale Spaltungstendenzen, die tief in alle Quartiere greifen, bis hin zu den Wirkungen der Globalisierung, beispielsweise dem Verkauf von ganzen Wohnanlagen zu günstigen Preisen an global agierende Investmentfonds. Obwohl diese Trends oft bis ins statistische Detail bekannt sind, bleiben zahlreiche Fragen offen:

Was sind die wirklichen Ansprüche der unterschiedlichen Bevölkerungs- und vor allem der immer größer werdenden Seniorengruppen an Komfort, Unterstützung beim selbstständigen Leben, Einbindung in Gemeinschaften?

Werden Investmentfonds und andere Gesellschaften, die in großem Stil Wohnungen und Unternehmen aufgekauft haben, eher nur des raschen Profits wegen auf die jeweils einfachste Lösung, die Verkauf für fast jeden Preis heißt, setzen oder – im Sinn mittel- und  langfristiger Wertbeständigkeit – auf baukulturelle und soziale Qualitäten achten?

Wie muss heute die Flächenaufteilung von Wohnungen und Arbeitsräumen konzipiert werden, wenn sich die Funktionen der Räume verändern, beispielsweise mehr und mehr Menschen auch in den eigenen vier Wänden arbeiten wollen oder müssen, informationstechnisch vernetzt werden sollen oder Kochen zu einer hobbymäßig zelebrierten Freizeitbeschäftigung wird?

Und wenn wir, bedingt durch einen immer häufigeren Wechsel des Arbeitsortes und eine wachsende Anzahl biografischer Brüche, nicht mehr drei oder vier Mal im Leben umziehen, sondern ein Dutzend Mal? Müssen dann nicht auch die Wohnungen viel flexibler, anpassungsfähiger an veränderte Bedürfnisse, kurzum: „lernfähig“ gestaltet werden – mit veränderbaren Grundrissen, rasch modernisierbarer Technik?

Die individuellen Wünsche gehen weit auseinander, aber eines steht fest: Die Technik muss sich leicht und bequem nutzen lassen, im Normalfall völlig unaufdringlich sein, der Aufwand für das Konfigurieren der Systeme muss vernachlässigbar sein. Nur eine unsichtbare Technik ist eine gute Technik.

Der Weg in die Zukunft ist allerdings stets von Unsicherheiten geprägt. Nicht alle Visionen, nicht alle Innovationen werden sich durchsetzen. In der Geschichte des Bauens und Wohnens wurden schon manche Luftschlösser entworfen, die schließlich an den ökonomischen und sozialen Realitäten scheiterten oder einfach die Bedürfnisse der Nutzer nicht trafen. Denn stets hat der Nutzer das letzte Wort. Wer ihn in Entwurfs-, Planungs- und Gestaltungsprozesse einbezieht, verfügt deshalb über gute Karten – und schlicht über die besseren Pläne. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Aber wie schrieb Antoine de Saint-Exupéry: „Unsere Aufgabe ist es nicht, die Zukunft vorherzusehen, sondern sie zu ermöglichen.“ Und das trifft für die Baubranche und den Wohnungsbau mehr noch als für andere Bereiche zu.

Fazit
Planen, Bauen, Managen, Finanzieren - im Zeitalter der Globalisierung können sich viele mittelständische Büros und Unternehmen nur noch dann behaupten, wenn sie ihre Kern- und Nebenkompetenzen sowie ihre Teamfähigkeit und Kooperationsbereitschaft nachhaltig unter Beweis stellen können.

Bei der Planung und Abwicklung von Bauvorhaben darf sich der Architekt weder als Alleskönner noch als Generalist oder Spezialist betrachten; gefragt sind die Dirigenten des Planungs- und Bauprozesses, die zwar nicht alle Partituren und Instrumente ihrer Mitspieler beherrschen müssen, sie aber sehr wohl aufeinander abstimmen und integrieren können müssen, damit ein Entwurf nicht nur ausgeführt werden kann, sondern als gemeinsam errichtetes Bau-Werk breite Anerkennung findet und als Beitrag zur Förderung der Planungs- und Baukultur identifiziert wird.

Carl Steckeweh, Geschäftsführer PENTAPOLIS – Netzwerk StadtBauWirtschaft

Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan

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