Der Sozialstaat produziert Desintegration und Verlierer

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Die für ihre penetrante Uneinigkeit viel gescholtene Ampel-Regierung hat die Leistungen des Sozialstaates massiv ausgebaut. Sie erweiterte Anfang 2023 den Empfängerkreis und die Höhe des Wohngeldes und im August hat sie eine weitere Erhöhung um 15 Prozent für Anfang 2025 beschlossen. Mindestlohn und Bürgergeld wurden ebenfalls deutlich angehoben. Ein weiteres Geschenk an Millionen Bürger ist das 49-Euro-Ticket. Abermilliarden des Sozialstaates, die zur sozialen Befriedung wenig bis gar nichts beitragen; im Gegenteil: Mangelnde Lebenszufriedenheit und aggressives Selbstmitleid großer Bevölkerungsteile führen zum Erstarken autoritärer, demokratiefeindlicher Parteien. Bedenklich ist auch die dysfunktionale Wirkung dieser Steuergelder. Die Milliarden für eine zweifelhafte Subjektförderung – jedenfalls in der erreichten Höhe – fehlen dem Staat auf Seiten, wo er wirklich fühlbare Verbesserungen bewirken könnte, im Wohnungsbau und beim Ausbau der Infrastruktur.

Dysfunktional wirken die Milliarden für das 49-Euro-Ticket. 90 Prozent der Besitzer dieser billigen Deutschlandkarte sind Pendler, die vorher bereits teurere Monatskarten nutzten. Die Idee, Autofahrer von Bus und Bahn zu überzeugen, ist gescheitert, aber die Unterfinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs hat sich verstärkt.

In der gegenwärtigen Höhe wirkt auch das Bürgergeld dysfunktional, mit jeder Erhöhung verfestigt sich die Abhängigkeit. Gemäß des Nationalen Bildungsberichts haben allein im Jahr 2022 52.300 Jugendliche die Schulen ohne einen Abschluss verlassen, das waren 6,9 Prozent des Jahrganges – und die Zahl steigt kontinuierlich. Nach wie vor hängt der Bildungserfolg in Deutschland von der sozialen Herkunft ab. Nur 32 Prozent der Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien erhalten eine Gymnasialempfehlung, aus privilegierten Elternhäusern sind es 78 Prozent. Ein Drittel der Kinder sind von einer der folgenden drei Risikolagen betroffen: Armut, Bildungsferne, alleinerziehende Eltern. Bei Kindern mit Migrationshintergrund sind es 60 Prozent. Mit Milliardenaufwand produziert der Sozialstaat Desintegration und Verlierer. Wäre es nicht besser, einen Teil der Bürgergeldmilliarden dauerhaft in frühkindliche (Sprach-) Erziehung und den personellen Ausbau der Bildungseinrichtungen zu investieren?

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schreibt vor, dass zu Prozessen, bei denen personenbezogene Daten verarbeitet werden, der Verantwortliche Verfahrensverzeichnis führen muss. Insbesondere bei einer Prüfung durch die Datenschutzbehörden muss der Verantwortliche...

Dysfunktional wirken sich die Milliarden aus, die der Staat für Wohngeld und die Kosten der Unterkunft auszahlt. Nach Berechnungen des Pestel-Instituts in Hannover, das sich gewiss nicht durch soziale Kälte auszeichnet, waren die Sozialausgaben für das Wohnen 2023 fünfmal so hoch wie die Förderung für den Neubau von Sozialwohnungen; 20 Milliarden Euro standen hier gut vier Milliarden gegenüber. Durch diese Segnungen treibt der Sozialstaat die Mieten in den Hotspots zusätzlich in die Höhe. Denn die Jobcenter müssen fast jede Mietererhöhung akzeptieren, sollen die Empfängerhaushalte nicht in die Obdachlosigkeit rutschen. In absurden Höhen spielen sich diese Hilfen nach Berechnung des Pestel-Instituts in München ab. Hier lag 2023 die von den Job-Centern gezahlte Miete bei den Kosten der Unterkunft mit 19,40 Euro pro Quadratmeter rund 6,60 Euro – und damit mehr als 50 Prozent – über der Münchner Durchschnittsmiete.

Wir können uns glücklich schätzen – kein System erwirtschaftet so viel Geld für die soziale Umverteilung wie die soziale Marktwirtschaft. Aber der Sozialstaat sollte Milliarden dauerhaft umschichten in den Wohnungsbau, in Bildung und soziale Betreuung. Das hätte Wirkung auf die Menschen und den Zusammenhalt.

Thomas Engelbrecht

Thomas Engelbrecht
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