Mehr Wohnungsbau auf grüner Wiese zulassen
Das 30-Hektar-Ziel ist ein umweltpolitisches Ziel, das in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland 2002 festgelegt wurde und im Klimaschutzplan 2016 erneuert wurde. Es besagt, dass in einem ersten Schritt die tägliche Inanspruchnahme bisher unbebauter Flächen für Siedlungs- und Verkehrsbauten bis 2030 auf maximal 30 Hektar zu reduzieren ist. Heute werden täglich rund 55 Hektar Landfläche für Baumaßnahmen aller Art erschlossen. Im Durchschnitt der Jahre 1993 bis 2003 lag der Flächenverbrauch nach Angaben des Umweltbundesamtes noch bei 120 Hektar pro Tag. Um Grünland zu erhalten gilt beim Wohnungsbau das Nachhaltigkeitsprinzip „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“. Bis zum Jahr 2050 soll die Bebauung von Grünland durch „Flächenrecycling“ auf null gebracht werden, in dem nur noch Flächen für Siedlungs- und Verkehrsflächen in Anspruch genommen werden, die bereits vorher genutzt wurden.
Acht Verbände der Bau- und Wohnungswirtschaft haben Studie in Auftrag gegeben
Acht Verbände der Bau- und Wohnungswirtschaft stellen dieses Nachhaltigkeitsziel der Bundesregierung nun in Frage und betten ihre Forderung nach mehr Bauland in eine vom InWIS-Institut in Bochum angefertigte wissenschaftliche Untersuchung ein. Ein zentrales Ergebnis der Studie, die unter anderem von der Bundesarchitektenkammer, dem Deutschen Baugewerbeverband sowie von BfW und GdW beauftragt wurde, lautet: Allein durch die Innenentwicklung von Städten könne der Wohnungsbedarf in Deutschland nicht gedeckt werden. Studienleiter Prof. Torsten Bölting mahnt: Während die Bevölkerungszahlen in vielen Regionen steigen und der Bedarf an Wohnungen zunimmt, seien die Potenziale der Innenentwicklung durch Baulückenschluss und Umnutzung begrenzt, schwer mobilisierbar und häufig zu teuer. Die Autoren der Studie „Wohnungsbau braucht mehr Fläche“ fordern eine „ehrliche und ideologiefreie“ Diskussion über den Zielkonflikt zwischen Wohnraumbedarf und ökologischen Zielen. Nur auf ausreichend Flächen lasse sich „bauen, bauen, bauen“, wie es Bundeskanzler Friedrich Merz in seiner Regierungserklärung angekündigt habe.
Wesentliche Ergebnisse der Studie
Die Nutzungsstruktur der Gesamtfläche in Deutschland: Aktuell würden nur vier Prozent der verfügbaren Flächen in Deutschland für das Wohnen genutzt. Der Anteil des Wohnungsbaus am täglichen Zuwachs der Siedlungs- und Verkehrsfläche betrage weniger als 50 Prozent.
Begrenzte Potenziale der lnnenentwicklung: Nach Berechnungen des BBSR (2022) könnten theoretisch etwa 84.400 Hektar für die lnnenentwicklung genutzt werden, zuzüglich von weiteren knapp 15.OOO Hektar baureifem Land. Jedoch sei nur etwas mehr als die Hälfte davon kurzfristig mobilisierbar – und das insbesondere in Regionen mit geringer Nachfrage.
Zunehmender Wohnraumbedarf: Prognosen gehen von jährlich rund 370.000 bis 4OO.0OO neuen Wohnungen aus, die bundesweit benötigt werden, um den Bedarf zu decken. Bereits jetzt bestünden aber vor allem in Metropolen und wachstumsstarken Regionen enorme Angebotslücken; dieser Bedarf stehe den gerade dort nicht ausreichenden lnnenentwicklungspotenzialen gegenüber.
Flächenbedarf: Um den Bedarf zu decken, müssten – je nach angesetzter Bebauungsdichte – täglich zwischen 23 und 42 Hektar neue Wohnbauflächen bebaut werden. Damit seien das 30-Hektar-Ziel und erst recht das Netto-Null-Ziel 2050 faktisch nicht erreichbar, wenn man berücksichtige, dass darunter auch noch alle Flächen für Verkehr sowie für gewerbliche Nutzungen fallen.
Einige Forderungen aus der Studie
Außenentwicklung (auch) zulassen: Außenentwicklung sollte nicht kategorisch unterbleiben, sondern im Rahmen einer modernisierten Regionalplanung als Potenzial zur Behebung der Wohnungskrise gesehen werden.
lnnenentwicklung vereinfachen: Die Realisierung der lnnenentwicklung sei mit vielen Hürden behaftet. Dazu zählten neben strukturellen Hemmnissen, wie der individuellen Ziele von Eigentümern auch hausgemachte Probleme, wie aufwändige Gutachten und Verfahren. Diese Planungs- und Genehmigungsprozesse sollten vereinfacht und beschleunigt werden.
Anrechnung von Wohnbauland überprüfen: Wohnbauland werde mit Blick auf die 30-bzw. Null-Hektar-Ziele genauso behandelt wie der Bau von Straßen oder Gewerbeobjekten. Dabei ließen sich ökologische Ziele teilweise auch mit dem Bau von Wohnungen kombinieren. Wohnbauland in bestimmter Qualität könnte daher aus den Flächensparzielen ausgeklammert werden.
Nachverdichtung, Aufstockung und Umnutzung: Die realistischen Potenziale dieser Strategien würden teils überschätzt, weshalb andere Strategien der Flächenentwicklung zurückgestellt würden. Das sei nicht hilfreich für den Wohnungsbau.
Die InWIS-Studie „Wohnungsbau braucht (mehr) Fläche steht Ihnen weiter unten zum kostenlosen Download zur Verfügung.
Thomas Engelbrecht
