Planen und Bauen mit dem digitalen Zwilling

Bauerlebnis im 3D-Kino

Der Softwarehersteller Sofistik hat sich in Nürnberg ein neues Bürogebäude mit BIM planen und bauen lassen. Die zukünftigen Räumlichkeiten machte der Bauherr frühzeitig in einer virtuellen Realität erlebbar.
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Virtueller Rundgang zur Prüfung der Haustechnik: In der „Cave“ am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart kam das ganze Projektteam zusammen. Bild: Wolff & Müller
Virtueller Rundgang zur Prüfung der Haustechnik: In der „Cave“ am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart kam das ganze Projektteam zusammen. Bild: Wolff & Müller

Die Sofistik AG, ein Hersteller von BIM-, CAD- und FEM-Software für Bauingenieure, hat mit dem Bauunternehmen Wolff & Müller ein dreigeschossiges Bürogebäude für ihren Standort Nürnberg gebaut. Die intensive Abstimmung aller Beteiligten in der Frühphase des Projektes, ihre Zusammenarbeit im gleichen (BIM-)Datenraum und ein virtueller Rundgang während der Bauphase haben entscheidend zur Planungs-, Termin- und Kostensicherheit beigetragen. Wie genau Building Information Modeling (BIM) und Virtual Reality zum Einsatz kamen und welche Vorteile diese Methoden in den einzelnen Planungs- und Bauphasen hatten, wird im Folgenden beschrieben.

BIM ab Leistungsphase 4

Das neue Bürogebäude der Sofistik AG ist ein Massivbau aus Stahlbeton mit einer Bruttogeschossfläche von 2.700 Quadratmetern (netto: ca. 1.000 qm). Der Baukörper gliedert sich in ein Untergeschoss, aufgeteilt in Technikräume und Tiefgarage, ein fremdvermietetes Erdgeschoss und zwei Obergeschosse mit den Büros des Softwareunternehmens.

Für Thomas Fink, den Vorstandsvorsitzenden der Sofistik AG, stand von Beginn an fest: Der Neubau soll schon früh, ab der Genehmigungsplanung (Leistungsphase 4), mit BIM realisiert werden. Als Anbieter von Bausoftware ist Fink von den Vorteilen des digitalen Planens und Bauens fest überzeugt und wollte auch als Bauherr Vorreiter sein. Deshalb suchte er für das neue Bürogebäude gezielt nach einem Generalübernehmer, der viel BIM-Erfahrung mitbringt und den Bauherren kompetent durch das Projekt begleitet.

Vorbereitungen für BIM

Um den Baubedarf zu konkretisieren, trafen sich alle Beteiligten Ende 2016 zu zwei Workshops. Außer dem Bauherrn, seinen Beratern und dem Bauunternehmen nahmen auch die Fachplaner bereits an den Workshops teil. Gemeinsam einigten sich die Beteiligten auf ein sogenanntes „Big Closed BIM“-Projekt. Dabei steht „Big BIM“ für die fachübergreifende Zusammenarbeit am virtuellen Modell und „Closed BIM“ für die Nutzung derselben Software – so lassen sich Schnittstellenprobleme bei der Datenübertragung vermeiden.

Fachübergreifende Zusammenarbeit am Modell

Das Architekturbüro Wabe-Plan, die Tragwerksplaner Boll und Partner und die Brandschützer Oehmke und Herbert erstellten in der Cloud von Wolff & Müller ein gemeinsames Modell, auf das alle in Echtzeit Zugriff hatten. Die Architekten nutzten das Modell zur Genehmigungs- und Ausführungsplanung. Die Tragwerksplaner nutzten es zum Beispiel, um Lastabtrag und Aussteifungen zu berechnen und die statischen Nachweise zu erbringen. Auch der Brandschutz wurde am Modell geplant. Nur die TGA-Fachplaner arbeiteten mit einer anderen Software an einem gesonderten Modell, das jedoch mit dem Referenzmodell verknüpft war. So hatte jeder Beteiligte den aktuellen Planungsstand des anderen im Blick.

Eine Expertin beim Bauunternehmen übernahm die Rolle der BIM-Managerin und BIM-Gesamtkoordinatorin. Sie überprüfte die Datenmodelle in regelmäßigen Abständen auf Kollisionen zum Beispiel zwischen Tragwerk und Gebäudetechnik, die dann in Jour-Fixe-Terminen mit den Planern besprochen und geklärt werden. Auch in der Kalkulationsphase war das BIM-Modell sehr hilfreich: Wolff & Müller konnte anhand der umfangreichen im Modell hinterlegten Daten, zum Beispiel Dimensionen, Aufbau und Materialien der Bauteile, die Mengen sehr exakt ermitteln und die einzelnen Gewerke präzise ausschreiben. Auch Baupartner nutzten das BIM-Modell in ihrem Bereich, zum Beispiel die Firma Doka Schalungstechnik, um die Schalung für den Beton zu planen.

BIM auf der Baustelle

Anfang Mai 2017 wurde das Baugesuch eingereicht. Den ersten Spatenstich für ihr neues Bürogebäude in Nürnberg feierte die Sofistik AG im darauffolgenden Juli. Auf der Baustelle kam das Modell vor allem bei Baubesprechungen mit den Baupartnern zum Einsatz: Am 3D-Modell ließen sich Details viel einfacher visualisieren und klären als mit herkömmlichen 2D-Plänen.

Virtueller Durchgang in der Höhle

Dank BIM und Virtual Reality konnte der Bauherr sein Gebäude schon ein Jahr vor der Fertigstellung virtuell betreten und alle Details inspizieren. Ermöglicht hat das die sogenannte Cave (Cave Automatic Virtual Environment) am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Die Cave (deutsch: Höhle) ist ein Raum, in dem mehrere Menschen eine dreidimensionale virtuelle Welt im Maßstab 1:1 erleben können. Mithilfe eines 3D-Projektionssystem wurde das BIM-Modell des Bürogebäudes auf eine 5,5 Meter lange und 3,4 Meter hohe Wand und die vier umgebenden Seiten projiziert. Das BIM-Modell enthielt die Planungen mehrerer Gewerke: Architektur, Tragwerksplanung, Elektro, Sanitär, Heizung und Lüftung. Einige Räume waren bereits exemplarisch möbliert. Auch die Gebäude in der Umgebung wurden schematisch modelliert. Wie bei 3D-Filmen im Kino erhielt jeder Betrachter eine 3D-Brille. Das Bild folgte in Echtzeit den Bewegungen des Trägers, etwa wenn er sich bückte und unter einen virtuellen Tisch blickte. Mit dieser Technik konnte das Team verschiedene Bereiche und Gewerke des Modells überprüfen.

Spannend für den Bauherrn war beispielsweise, die Blickbeziehungen nach innen und nach außen zu prüfen und genau nachzuvollziehen, was der einzelne Mitarbeiter von seinem Schreibtisch aus sehen wird. Auf diese Weise wurde deutlich, wo noch nachgebessert werden muss: Zum Beispiel war der Regenwasserablauf zu nah über dem Zugangsweg platziert und wurde verlegt. Und auch die Baustellenteams nutzten das virtuelle Modell intensiv, um etwa komplizierte Montageaufgaben zu besprechen und zu klären.

Modellbasierte Treppenplanung

Ein Novum bei diesem BIM-Projekt war die modellbasierte Planung der Treppe. Der Bauherr hatte sich eine ganz besondere Konstruktion gewünscht: Die Stäbe des Geländers und die Begrenzung des Treppenhauses sollten aus Bewehrungsstahl hergestellt und der Stahl an den Läufen und Podesten mit Muffen verbunden werden. Entsprechend hoch waren die Anforderungen an den Metallbauer, eine Treppe dieser Geometrie herzustellen und passgenau einzubauen. Zur Begeisterung des Bauherrn nutzte die Firma Willi Fink Metallbau das BIM-Modell, um die Treppe zu visualisieren, zu begutachten und freigeben zu lassen. Die modellbasierte Betrachtung half, die eine oder andere Unstimmigkeit zu erkennen und zu klären, sodass die Treppe schließlich erfolgreich realisiert werden konnte. Ende Mai 2019 konnte die Sofistik AG ihr neues Bürogebäude beziehen und am 6. Juni dessen Fertigstellung feiern.

Fazit und Ausblick

Sowohl der Bauherr als auch das Planungs- und Bauteam konnten bei diesem Projekt wertvolle praktische Erfahrungen mit BIM sammeln und viel lernen. Alle Beteiligten sind sich einig, dass BIM entscheidend zu einer frühzeitigen Planung und einer sehr guten Kommunikation beigetragen hat. Sehr positiv war auch, dass die Brandschutzplanung komplett am Modell erfolgte und dass sich BIM bei der Planung der aufwendigen Treppe so gut bewährte.

Auch der virtuelle Durchgang in der Cave war für alle Beteiligten sehr beeindruckend und lehrreich. Aus Sicht von Wolff & Müller war das Projekt vor allem deshalb ein Meilenstein, weil BIM explizit vom Bauherrn gefordert wurde. Wie gut Bauherren über die Methode informiert sind und deren Vorteile für sich nutzen wollen, entscheidet darüber, ob sich BIM in der Baubranche durchsetzt. Es liegt also am Faktor Mensch – alle anderen Faktoren wie Software, Prozesse, Richtlinien und Standards lassen sich einfacher realisieren.

Ein weiteres Ziel für künftige Projekte ist, außer dem As-planned-Modell auch ein sogenanntes As-built-Modell zu erstellen. Das ist ein detailgenauer digitaler Zwilling des fertigen Gebäudes samt aller eingebauter Technik. Noch sind diese Modelle wenig nachgefragt, obwohl Bauherren stark davon profitieren. Sie können das As-built-Modell zum Beispiel fürs Facility Management nutzen, etwa um Reinigungskosten oder den Energiebedarf von Räumen zu berechnen, und auch für die Planung späterer Umbauten. So wirken die Vorteile von BIM weit über die Fertigstellung hinaus in die lange Betriebsphase von Gebäuden.

Zeynep Kaplan

Zeynep Kaplan
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Artikel Bauerlebnis im 3D-Kino
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