Anspruchsvolle Planung und Umsetzung eines Planetariums

Faszinierende Welt der Sterne

Der futuristische Gebäudekomplex „ESO Supernova Planetarium & Besucherzentrum“ mit einzigartigem Innenleben bietet durch seine äußeren Formen einen spektakulären Anblick.

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Der Baukörper des Planetariums bildet zwei umeinander tanzende Sterne eines Doppelsternsystems ab und stellt den Zustand kurz vor deren Explosion dar. Der dabei beginnende Massenaustausch der beiden Sterne zeigt sich in der aufbrechenden Außenhülle des Gebäudes. Bild: European Southern Observatory
Der Baukörper des Planetariums bildet zwei umeinander tanzende Sterne eines Doppelsternsystems ab und stellt den Zustand kurz vor deren Explosion dar. Der dabei beginnende Massenaustausch der beiden Sterne zeigt sich in der aufbrechenden Außenhülle des Gebäudes. Bild: European Southern Observatory

Das Gebäude in Form eines Doppelsternsystems beherbergt eine moderne Bildungseinrichtung im Hochschul- und Forschungszentrum in Garching bei München und vermittelt die faszinierenden Welten von Astronomie und Astrophysik. Es handelt sich bei der äußeren Gestaltung um das Sinnbild einer bevorstehenden Sternenexplosion, einer Supernova zweier Sterne. Der Entwurf des signifikanten Gebäudes mit 30.000 Kubikmetern Bruttorauminhalt stammt von Bernhardt + Partner Architekten aus Darmstadt. Das Schalungskonzept sowie die Schalungselemente für die gestalterischen Finessen der Gebäudehülle lieferte die Münchner Niederlassung der Deutschen Doka Schalungstechnik GmbH. Die Ausführung wurde realisiert von Grossmann Bau GmbH & Co.KG.

Den Sternen näherkommen

Das Gebäude verknüpft in seiner Symbolik zwei Kerne, die sich jeweils aus einer Innen- und einer Außenschale zusammensetzen. Im ersten Sternenkern befindet sich ein Planetarium, das die Besucher in die Weiten des Universums entführt. Der zweite Stern wird von einer gigantischen Glaskuppel überspannt und zeigt den Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre mit einer interaktiven Ausstellung auf 2.200 Quadratmetern Fläche.

Schenkung der Klaus Tschira Stiftung

Das Gebäude ist eine Schenkung der Klaus Tschira Stiftung gGmbH (KTS) an die Europäische Südsternwarte (ESO). Die Stiftung gehört zu den großen gemeinnützigen Stiftungen Europas und wurde 1995 ins Leben gerufen – von dem Physiker Klaus Tschira, einem Gründer des Softwarekonzerns SAP. Das faszinierende Bauwerk soll der astronomischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit dienen – wissenschaftliche Erkenntnisse und die neuesten Technologien der ESO werden hier vermittelt.

www.klaus-tschira-stiftung.deViele Skizzen und Grafiken – aber kein Modell

Das Gebäude ist die architektonische Abbildung eines astronomischen Phänomens. Entsprechend komplex gestalteten sich die Planung und Realisierung des Bauwerks: Die imposante rund geformte Silhouette stellte enorme Anforderungen an die Planung und schließlich die Bauausführung. Aufgrund der geometrischen Komplexität wurde der komplette Rohbau – von der ersten digitalen Skizze bis hin zur Schalungsplanung – mittels eines parametrischen 3D-Modells dargestellt und bearbeitet. Bei der parametrischen Modellierung wird eine 3D-Geometrie Schritt für Schritt entwickelt bis schließlich ein ganzheitliches Gebäudemodell entsteht.

Im Entwurfs- und Realisierungsprozess spielt die Parametrik eine große Rolle: Runde Formen, konkave Wände und schräge Ebenen verlangten auch bei der Gebäudeplanung der ESO Supernova nach einer ungewöhnlichen Herangehensweise. So wurde das Projekt schon im Vorentwurf mit allen raumbildenden Elementen parametrisch aufgesetzt. Es folgte die Entwicklung und Integration des Rohbaus, der Gebäudetechnik, des Ausbaus und der Gebäudehülle in dasselbe 3D-Modell.

„Die Geometrie des Baukörpers wird heute nicht mehr händisch modelliert, sondern mit Hilfe einer Software grafisch programmiert“, berichtet der beteiligte Planungskoordinator Dipl. Ing. Benjamin Bockstette. „Im Gegensatz zum herkömmlichen Zeichnen oder Modellieren von Bauteilen, bei dem wir am Ende ein fertiges Objekt vor uns haben, steht beim parametrischen Ansatz der iterative Prozess der Entstehung im Vordergrund.“ sagt er.

Intensive Zusammenarbeitaller Experten …

Alle Bauteile sind in einem Netzwerk miteinander verknüpft, so dass innerhalb des Bauvorhabens Änderungen an einem Objekt bzw. Bauteil zur Aktualisierung anderer Objekte führen.

Um ein Gesamt-Modell nicht immer wieder neu erstellen zu müssen, wurde der Gebäudekomplex an 3D-Modellen entwickelt. Damit konnten während der Entwicklungsphase viele kreativ unterschiedliche Varianten auf ihre Tauglichkeit getestet, Veränderungen implementiert und Anpassungen vorgenommen werden.

Allein für die aufwändigen Schalpläne wurde ein eigener digitaler Workflow entwickelt, der die gesamten Außen- und Innenschalen in 2D-Plänen für die spätere Ausführung auf der realen Baustelle abbildete. So ließ sich jedes der 200 Schalungselemente in einer isometrischen Darstellung inklusive Beschriftung, Abwicklung der inneren und äußeren Mantelfläche, mit den Schnitten und den komplizierten Anschlüssen automatisch generieren.

... durch geteilte eine Programmierungsumgebung

Die Zusammenarbeit der Architekten mit den beteiligten Ingenieuren von Bollinger+Grohmann aus Frankfurt, Wien und München erwies sich als erfolgreiche Partnerschaft. Der Hauptfokus lag bei diesem Projekt für die Experten bei den Themenfeldern BIM-Prozesse und BIM-Parametrik.

„Während der Planungs- und Bauzeit hatten wir eine Vielzahl von Herausforderungen zu bewältigen“, berichtet Dr. Ing. Heiko Trumpf, projektbeteiligter Niederlassungsleiter von Bollinger+Grohmann München. Insbesondere die komplexe Geometrie der tragenden Bauteile, die zu integrierenden Versorgungsschächte und die Anschlüsse mussten präzise koordiniert und geplant werden.

Dies gelang im Wesentlichen durch die mit allen weiteren beauftragten Experten geteilte Programmierungsumgebung und die Verlinkung zwischen Gebäudegeometrie und Gebäudeinformation. Auf diese Weise arbeiteten Architekten, Ingenieure, Bauunternehmung und Fassadenbauer fortwährend Hand in Hand.

„Nur durch die Einbindung in die entsprechende CAD-Software lassen sich schnelle qualitative und quantitative Rückschlüsse zur Modifikation der Tragstruktur und zu Bauzuständen ziehen. Von der ersten Skizze bis zur Schalungsplanung haben wir alle an einem Modell gearbeitet.“ sagt Trumpf.

Die interdisziplinäre Kommunikation und der Austausch zwischen den einzelnen Gewerken erfolgten ausschließlich über die 3D-Objekte im CAD-Plan mit entsprechenden Parametern, Attributen und Kommentaren. „Wir haben aber dieses interdisziplinäre Projekt im Wesentlichen auch deshalb stemmen können, weil die involvierten Planer und die ausführenden Unternehmungen sofort an einem Strang gezogen haben. Die parametrisch sehr komplexen Inhalte und Aufgabenfelder wurden bei uns sogar intern auf verschiedene Standorte – Frankfurt, Wien und München – verteilt“, ergänzt Heiko Trumpf. „Das gelang, weil wir mit allen anderen Planern schnell als eingespieltes Team unsere Kompetenzen bündeln konnten – wir haben uns regelrecht die Bälle zugespielt. Ein unschätzbarer Vorteil und schließlich der Garant für den Erfolg – Teamarbeit ist hier entscheidend.“

Gemeinsames 3D-Modell

Große Bedeutung hat der Datenaustausch zwischen Planer und den Experten auf der Baustelle: Einerseits können diese jederzeit mit spezifischen Koordinatenangaben zur Lagebestimmung einer Achse versorgt werden, andererseits werden die Ergebnisse der digitalen 3D-Aufmaße anhand des Gebäudemodells überprüft und analysiert. Dabei gewonnene Erkenntnisse fließen in den weiteren Planungsverlauf ein. Um die geometrisch komplexen Formen der Bauteile mit höchster Präzision fertigen zu können, erfolgte die Planung und Herstellung der Schalungs-Elemente und der Fassade direkt aus dem Datensatz des 3D-Modells.

Die Tragwerksplaner produzierten ihre Schalpläne direkt mit Hilfe des Models, wie auch der Schalungshersteller seine Schalungselemente. Gesonderte Abwicklungen hätten zu einem erheblichen Informationsverlust geführt.

Schalungstechnische Standardlösung nicht realisierbar

Damit die Bauarbeiten in Garching starten konnten, entwickelten die Schalungsexperten von Doka ein technisch ausgefeiltes Konzept. Aufgrund der besonderen Formen des Gebäudes war eine schalungstechnische Standardlösung nicht realisierbar. Es mussten Sonderschalungen entworfen und angefertigt werden. Das wirtschaftliche Konzept von Doka beinhaltete die umfangeiche 3D-Planung sowie die Montage und Demontage der Elemente inklusive der gesamten Logistik. Für das Schalungsunternehmen eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, da die Sonderschalungen aus rund 7.800 Quadratmetern bestehen.

Heute zeigt sich das Bauwerk mit der geschwungenen Fassadenform je nach Sonnenlichteinstrahlung und Tageszeit wie ein Kunstwerk aus dem All. Es ist aus allen Blickwinkeln gesehen ein technologisches Highlight und eine faszinierende Pforte zum Universum. Mehr Infos:www.supernova.eso.org/germany

Architektur: Bernhardt + Partner Architekten GmbH, Darmstadt,www.bp-da.deBauherr: ESO - European Organisation for Astronomical Research in the Southern Hemisphere

Eine Schenkung der: Klaus Tschira Stiftung gGmbH, Heidelberg

Funktion:Forschung und Wissen/Büro u. Verwaltung/Besucherzentrum

Projektleitung: Axel Müller

Planung: Benjamin Bockstette, Thomas Mrokon, Marcel Fuckel, Nick Körber

Tragwerksplanung: Bollinger + Grohmann Ingenieure,ww.bollinger-grohmann.deSchalungsplanung: Doka Niederlassung München Anwendungstechnik Maisach,www.doka.com

Kooperation und Projektsteuerung: Schumann Projektsteuerung, Darmstadt

Ausführende Baufirma: Grossmann Bau GmbH & Co. KG, Rosenheim

BGF: 7.307 m²

BRI: 30.026 m³

Nutzfläche: 3.700 m²

Ausstellungsfläche: 2.192 m²

Planetariumskuppel: Durchmesser 14 Meter, Höhe: 17,40 Meter

Eva Mittner

Eva Mittner
freie Journalistin
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Artikel Faszinierende Welt der Sterne
Seite 38 bis 39
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