Wer im Internet die Homepage der Wohnungsbaugenossenschaft Laatzen aufruft, den begrüßt ein Intro mit Aufnahmen der zwei prominentesten Häuser des Unternehmens. Ihre Bekanntheit verdanken sie zwei riesigen Graffitis, die sich jeweils über eine Fläche von 125 Quadratmetern ausbreiten. Auf einer Seite flattern drei überdimensionale Blaumeisen durch einen sommerlichen Wald, ein Gebäude weiter dominiert ein imposantes Eichhörnchen das Bild (Fotos S. 14). „Immer wieder halten Passanten an und machen Fotos, die Graffiti sind stadtbekannt“, berichtet Martin Stegen, Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft, die die Wandbilder vor gut zwei Jahre beauftragt hat. Von den Mietern habe man dazu reichlich positives Feedback erhalten und könne sich gut vorstellen, künftig solche Wandwerke für weitere Häuser zu beauftragen.
Ähnliche Erfahrungen dürfte man ebenso in vielen anderen Wohnungsunternehmen gemacht haben. Denn professionell umgesetzt sorgen die sogenannten Murals in Städten quer durch Deutschland für auffällige Hingucker, vor denen Menschen immer wieder stehen bleiben, um sie eingehend zu betrachten und sich für ein Selfie zu positionieren. Motive aus dem Jugendstil in Berlin, riesige knallrote Mohnblumen, die eine Fassade in Oberbayern ausfüllen, in Brandenburg eine Kommode, hinter deren Türen eine Seenlandschaft hervorlugt oder ein haushoher Seemann mit Pfeife im Mund und einem Smartphone in der Hand, der einen Hinterhof im Hamburger Schanzenviertel zur Attraktion macht. „Gut gemachte Graffiti können zum kreativen Branding eines Gebäudes avancieren und werden zum Markierungspunkt in urbanen Quartieren“, weiß Markus Hillegaart von der Cottbusser Fassadengestaltungsfirma Strauss & Hillegaart. Die Firma bringt seit gut 30 Jahren eindrucksvolle Bilder an die Wände von Wohnhäusern und Unternehmenszentralen.
Neben einigen Agenturen gibt es zahlreiche selbstständige Graffiti-Künstler, die ebenfalls auf Bestellung Kunst am Bau kreieren. „Wir realisieren gut 50 Projekte jährlich, nicht wenige darunter für Wohnungsunternehmen“, berichtet Marcus Dörr, der vor 25 Jahren die Agentur Artmos4 mit Hauptsitz in Offenbach am Main aufgebaut hat: „Die Beweggründe unserer Auftraggeber sind unterschiedlich, einige möchten die Attraktivität der Immobilie verbessern, andere im Zuge von Sanierungsmaßnahmen den Bewohnern eine Mieterhöhung versüßen.“
Kunstvolle Wandbilder genießen Respekt bei Sprayern
Street-Art am Gebäude wartet noch mit weiteren Vorteilen auf: Technisch anspruchsvolle Graffiti beeindrucken nicht nur Passanten und machen ein Haus einzigartig, manch eines schafft es sogar in den Reiseführer der Stadt. „Die Bewohner sind ohnehin stolz, in solch einem Gebäude zu wohnen und identifizieren sich oft stark damit“, so Hillegaart. Sie durchbrechen die Gleichförmigkeit etwa in Plattenbausiedlungen und drücken Quartieren einen kreativen Stempel auf, bringen Farbe in die Straße und erzeugen eine frische und originelle Atmosphäre. „Zudem genießen kunstvolle Wandbilder den Respekt anderer Sprayer und bieten einen gewissen Schutz vor wilden Sprühattacken.“ Es gelte der Ehrenkodex, dass gutgemachte Graffiti nicht übersprüht werden dürften.
„Bei Mitmach-Aktionen oder Work-Shops mit Kindern können die Ergebnisse verständlicherweise nicht immer eine hohe Qualität erreichen, solche Bilder rahmen wir dann mit Motiven von uns“, erläutert Dörr.
Hochwertige Farben bleichen lange nicht aus
Vor stupidem Vandalismus sind aber auch die beeindruckendsten Werke nicht gefeit, deshalb versehen sie die Fassadengestalter, wenn es der Kunde wünscht, zumindest im Erdgeschoss mit einem Anti-Graffiti-Lack. Dieser ermöglicht ein einfaches Säubern beschmierter Bereiche. Ein UV-Lack verhindert zudem, dass die Sonne die Farben mit der Zeit ausbleicht. Lichtechte Farben würden aber ohnehin lange halten. „Mit hochwertigen Farben bleibt ein Graffito dann nicht selten 20 Jahre schön“, versichert Dörr. Die erste Auftragsarbeit seiner Firma stamme aus dem Jahr 1997 und sehe nach wie vor gut aus.
Für die Wohnungsbaugenossenschaft Laatzen stand nicht der Schutz vor unerwünschten Sprayern an erster Stelle, „da haben wir andere Objekte, die stärker betroffen sind als unsere Häuser Bei der Mühle“, berichtet Stegen. Bereits zuvor befanden sich an den Fassaden, an denen jetzt das Eichhörnchen und die Blaumeisen prangen, großflächig gemalte Bilder.
Im Zuge einer Modernisierung der Bauten wollte man wieder einen besonderen Blickfang schaffen – ein Geschenk an die Mieter zum 95-jährigen Unternehmensjubiläum. Die Idee, diesmal Graffiti zu beauftragen, verfestigte sich dann im Zuge einer geplanten Dach- und Fassadensanierung der Gebäude, für die ohnehin ein Gerüst aufgestellt werde musste – welches auch die Profi-Sprayer für die Murals benötigten. Auf den Graffiti-Künstler Patrik Wolters, der aus Garbsen bei Hannover kommt und in der Szene unter BeNeR1 bekannt ist, stieß Stegen in einer Fernsehreportage. Von den vier Riegeln wurden letztendlich die beiden Stirnseiten in der Mitte besprüht. 200 Sprühdosen setzten Wolters und sein Kollege für jede Hauswand ein. Die anderen beiden giebelseitigen Fassaden, die weniger gut von der Straße aus zu sehen sind, erhielten einen schlichten weißen Anstrich.
Fassadenmotive haben oft Bezug zum Umfeld des Gebäudes
„Oft haben Graffiti einen gewissen Bezug zum Umfeld oder zum Auftraggeber“, schildert Marcus Dörr von der Agentur Artmos4. So auch in Laatzen in der Straße Bei der Mühle; hier sollten die Waldsujets mit Blaumeisen und Eichhörnchen eine Verbindung zum nahegelegenen Landschaftsschutzgebiet schaffen. In Berlin wiederum schweben auf einer von Artmos4 gestalteten Fassade im zweiten Stock eines Berliner Eckhauses zwei Frauen des Jugendstils, umgeben von Weinblättern und Maiglöckchen. Im Erdgeschoss ranken eher modern gehaltene Sonnenblumen und Blätter. „Das Gebäude stammt aus der Jugendstil-Epoche, in Anlehnung an diese Zeit haben wir das Motiv entwickelt“, führt Dörr aus. Sonst würden in Berlin auch gerne die Skyline der Hauptstadt an die Wand gebracht, in Hamburg hingegen Maritimes oder der dort berühmte Wasserträger mit Zylinderhut. „Wir verstehen uns als Dienstleister und versuchen immer, die Wünsche der Kunden einzubeziehen, haben natürlich aber auch eigene Ideen“, so Dörr.Nach einem Vorgespräch werden aus den Ansätzen mehrere Entwürfe entwickelt und präsentiert. So hält man es auch bei Strauss & Hillegaart: „Manchmal ist es einfach nur ein Halbsatz, den wir aufgreifen oder leiten daraus Szenerien ab“, berichtet Hillegaart. Am Ende müsse sich das Motiv zudem ins Umfeld einfügen. Entsprechend bezieht er genauso die umliegende Landschaft mit ein, wie verschiedene Sichtachsen und den Lichteinfall im Verlauf des Tages. Dafür inspiziert sein Team den Ort, an dem das Mural entstehen soll, auch aus weiter entfernten Blickwinkeln und von Nebenwegen aus.
Insgesamt dauere die Planung in der Regel ein bis zwei Monate. Die Ausführung selbst benötigt dann meist nur noch zwei Wochen bis zu einem Monat. Immer wichtig: Das Bild muss schon von weitem seinen Wow-Effekt entfalten und darf deshalb nicht zu kleinteilig sein. „Und steht ein Baum vor der Fassade, versuchen wir ihn in das Bild zu integrieren“, erzählt Hillegaart. Wie etwa bei einer Arbeit für die brandenburgische Kommunale Wohnungsgesellschaft Senftenberg, die die Fläche über einem Durchgang der Wohnanlage einnimmt und ein überdimensionales Aquarium zeigt, in dem zwei Goldfische schwimmen. Die Regenrinne, mit der das Wasserbecken abschließt, mutet wie eine Metallleiste im Bild an.
Hinter dem Wohnblock liegt übrigens ein See. Deshalb stand schnell fest, dass Wasser thematisch eine Rolle spielen sollte.
Menschen sollen mit einem Lächeln vor Graffiti innehalten
Der künstlerische Anspruch ist über die vergangenen Jahrzehnte gestiegen. „Früher war es eigentlich fast schon egal, was auf die Fassade kam. Heute werden Graffiti meist humorvoll, hintersinnig und künstlerisch umgesetzt, sie sollen ja Aufmerksamkeit erregen“, so Dörr. Zu dunkel oder gar negativ sollte es nicht sein. „Wer möchte schon tagtäglich auf ein dystopisches Bild oder ein Horrorszenarium blicken.“ Besser sei es, wenn die Menschen mit einem Lächeln vor dem Graffiti innehalten.Ohnehin verboten sind pornografische, rassistische, extremistische oder gewaltverherrlichende Inhalte.
Farben werden auf Fassadenmaterial abgestimmt
Die Fassade selbst eignet sich aber fast immer. „Je feiner der Putz, desto detailreicher können wir allerdings arbeiten“, erklärt Hillegaart. Und ältere Fassaden müssten vorher manchmal wassergestrahlt und grundiert werden. Beton wiederum brauche eine sogenannte Hydrophobierung, um so zu verhindern, dass die Oberfläche durch eindringende Feuchtigkeit dunkel wird. Selbst Klinker komme in Frage, dann gehen die Sprayer frei nach dem Prinzip „Malen nach Zahlen“ vor und tragen die Farbe Stein für Stein auf. „Welche Farbe wir verwenden, hängt von der gewünschten Optik und von der Oberfläche ab“, sagt Hillegaart. So eignet sich für ein Wärmedämmverbundsystem etwa vor allem Acrylfarbe auf Wasserbasis – und diese vom Hersteller des Systems, damit die Gewährleistung greift. „Hier nutzen wir möglichst hellere Tönen, da dunkle weitflächig aufgetragene Farben zu stark aufheizen und das Dämmsystem beschädigen würden“, sagt Dörr. Bei einem mineralischen Untergrund hingegen passt mineralische oder Silikatfarbe, auf einer Metallfassade wiederum Lackfarbe.
Die Preise für ein Graffito werden pro Qua-dratmeter berechnet – und können stark variieren. Je nachdem, wie groß und wie aufwendig das Mural gestaltet werden soll, ob die Fassade vorab behandelt und ein Gerüst oder eine Hebebühne aufgestellt werden müssen. „Im Schnitt bewegen sich die Preise zwischen 100 und 200 Euro pro Quadratmeter, bei besonders detailreichen Graffiti können es aber auch schon mal 400 Euro pro Quadratmeter werden“, berichtet Hillegaart. Die Wohnungsbaugenossenschaft Laatzen hat einen niedrigen fünfstelligen Betrag für ihre beiden Graffiti bezahlt. „Das war es uns wert, die Gebäude sind jetzt einzigartig und entfalten eine ganz besondere Strahlkraft“, so Stegen. Und das dank der Homepage weit über die Grenzen von Laatzen hinaus.
Bettina Brüdgam
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