Mietwohnungsbestand

Gefährliche soziale Unwucht

Zwischen 2011 und 2019 sank der Anteil geförderter Mietwohnungen um durchschnittlich 21 Prozent, trotz der Verdreifachung des Neubauvolumens. Das Problem lasse sich nur mit privaten Investoren lösen, stellt das Investmentunternehmen Wertgrund Immobilien AG fest.

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 Bild: Pixelio Rainer Sturm
Bild: Pixelio Rainer Sturm

Es existieren viele Haushalte mit geringem Einkommen

Das ergab die Studie „Gefördertes Wohnen“, die von WERTGRUND in Auftrag gegeben wurde. In Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Analyseunternehmen bulwiengesa wurden auf Grundlage von Angebot und Nachfrage insgesamt 26 Städte in Deutschland analysiert. Ziel der Studie war es, Standorte zu identifizieren, die in den nächsten Jahren das größte Ungleichgewicht hinsichtlich geförderter Wohnungen aufweisen.

Die Studie zeige: Es existieren viele Haushalte mit geringem Einkommen, wobei das Angebot an gefördertem Wohnraum im unteren Preissegment die Nachfrage nicht bedienen kann. Rund 21 Prozent der Haushalte haben ein Nettoeinkommen von 1.600 Euro und weniger im Monat. Etwa sieben Prozent der Haushalte, im Mittel aller Städte, verfügen über weniger als 1.000 Euro netto im Monat. Der Anteil geförderter Wohnungen am Mietwohnungsbestand liegt durchschnittlich bei 9,4 Prozent.

Unterschied besonders deutlich in Dresden und Leipzig

In Dresden und leipzig die Anteile geförderter Mietwohnungen bei unter 0,2 Prozent bei einem gleichzeitig sehr hohen überdurchschnittlichen Anteil an Geringverdienerhaushalten von 25 Prozent in Dresden und 30 Prozent in Leipzig. Ein Grund für den geringen Bestand an geförderten Mietwohnungen ist der Verkauf kommunaler Bestände Anfang der 2000er-Jahre. Die dabei schrittweise und kostspielige Rekommunalisierung sowie die spät einsetzende Förderung von Wohnraum verstärken diesen Zustand vor allem in Ostdeutschland. Der Bedarf an Sozialwohnungen steigt z.B. auch in Norddeutschland (Bremen und Kiel) und in Nordrhein-Westfalen (Dortmund, Duisburg, Bochum und Essen).

Sozialwohnungsbestände schrumpfen weiter

Die Studie zeige, dass in 23 der 26 analysierten Städte die Bestände an Sozialwohnungen geschrumpft sind. Im Mittel der untersuchten Städte nahmen die Sozialwohnungsbestände um rund 21 Prozent im Zeitraum von 2011 bis 2019 ab. Am stärksten waren die Verluste in den Städten Leipzig (–90 Prozent), Dresden (–89 Prozent), Berlin (–37 Prozent) und Kiel (–36 Prozent). Nur in Mainz (+9,6 Prozent) und Münster (+7,1 Prozent) waren Zuwächse bei geförderten Wohnungen zu beobachten.

Dieser Effekt werde durch Neubau oder Zukauf zwar gedämpft, das reiche aber nicht aus, um der negativen Entwicklung entgegenzusteuern. Lediglich in Berlin werde bis 2025 mit einem Anstieg an gefördertem Wohnraum um circa acht Prozent gerechnet, um den Bestand an Sozialwohnungen über 100.000 Einheiten zu halten. In Nordrhein-Westfalen sind die prognostizierten Rückgänge in Bochum mit –28 Prozent am geringsten und in Bonn mit –60 Prozent am stärksten. Das föderale System, insbesondere die Föderalismusreform von 2006, sorge für starke regionale Unterschiede, da die Zuständigkeit der sozialen Wohnraumförderung bei den Ländern liegt. Hinzu kommen unterschiedliche kommunale Förderprogramme.

Private Investoren errichten 55 Prozent der geförderten Wohnungen

In der Privatwirtschaft werde ESG-konformes Investieren wichtiger. Die Asset-Klasse „Geförderte Wohnungen“ werde perspektivisch bis 2025 für institutionelle Investoren interessanter, da sie in allen Städten an Bedeutung gewinnt. Aufgrund der Quotenregelung seien aktuell etwa 26 Prozent geförderte Wohnungen an Gesamtmietwohnungen in der Pipeline.

„Private Investoren errichten mehr 55 Prozent der geplanten Wohnungen in diesem Segment und stellen somit neben kommunalen Akteuren den wichtigsten Investorentyp dar. Die Ergebnisse unserer Untersuchung zeigen deutlich, dass die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum eine Mammutaufgabe ist, die sich auch aus historischen Fehlern wie der Privatisierung kommunaler Wohnbestände ergibt. Nur in gemeinsamer Anstrengung von privaten und kommunalen Unternehmen lässt sich diese Aufgabe stemmen“, erläutert André Adami, Bereichsleiter Wohnen bei der bulwiengesa AG.

Die Wichtigkeit privater Investoren zeige sich zum Beispiel in den Städten Hannover, Regensburg und Köln: Dort gebe es mit mehr als 40 Prozent einen sehr hohen Anteil geförderter Mietwohnungen in der Pipeline, die Anbieterstruktur zeige einen Mix aus kommunalen, privaten und teilweise genossenschaftlichen Anbietern, wobei der Fokus stark bei privaten Projektentwicklern liege. In den Städten Berlin, Bochum und Duisburg gebe es eine starke Konzentration auf kommunale Unternehmen im Neubau geförderter Wohnungen, wobei die Anteile geförderter Wohnungen dort im Vergleich geringer sind. Perspektivisch werden zwischen 2021 und 2025 circa 61 Prozent aller geförderten und freifinanzierten Mietwohnungen durch private Investoren geschaffen. Kommunale Unternehmen haben einen Anteil von 32 Prozent, Genossenschaften von 7 Prozent, weitere Anbieter wie Kirchen sind nur in Bonn vorhanden (0,3 Prozent).

IB Bau fordert eigenständiges Bauministerium

Unterdessen hat der Bundesvorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, mit Blick auf die viel zu geringe Zahl an Sozialwohnungen ein eigenständiges Bundesministerium für Bauen nach der Bundestagswahl im September gefordert. Der Wohnungsbau müsse künftig einen anderen Stellenwert am Kabinettstisch bekommen. So habe es in der Amtszeit von Bundesminister Horst Seehofer (CSU) nicht etwa mehr, sondern deutlich weniger der dringend benötigten Sozialwohnungen gegeben. „Der Schwund ist enorm: 43.000 Sozialwohnungen sind bundesweit in den vergangenen fünf Jahren vom Markt verschwunden – und zwar Jahr für Jahr. Das macht rechnerisch alle 12 Minuten eine Sozialwohnung, die in Deutschland verlorengeht. Mittlerweile haben wir die Marke von 1,1 Millionen Sozialwohnungen unterschritten. Von zehn Mieterhaushalten, die einen Wohnberechtigungsschein bekommen könnten, hat heute nur einer die Chance, auch tatsächlich in einer Sozialwohnung zu wohnen“, rechnet Feiger vor und beruft sich dabei auf eine Auswertung des Pestel-Instituts (Hannover) auf der Grundlage amtlicher Statistiken.Ende der 1980er-Jahre habe es noch vier Millionen Sozialwohnungen gegeben – allein in der alten Bundesrepublik. Dann sei die Abschaffung der Gemeinnützigkeit gekommen. Für diese müsse es jetzt ein „Comeback“ geben. (Red.)

Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan
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