Bürgerbeteiligung

Partizipation online

Beteiligungsformate via Internet sind im Kommen – auch bedingt durch die Covid-Pandemie. Die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt entwickelt daher neue digitale Werkzeuge für Partizipationsprozesse in der Stadtentwicklung und der Mieterkommunikation.
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Virtuelle Mieterversammlung in Frankfurt Sachsenhausen: 
Planungsdezernent Mike Josef spricht via Internet mit den Bewohnern der Fritz-Kissel-Siedlung. Bild: NHW/Marc Strohfeldt
Virtuelle Mieterversammlung in Frankfurt Sachsenhausen: 
Planungsdezernent Mike Josef spricht via Internet mit den Bewohnern der Fritz-Kissel-Siedlung. Bild: NHW/Marc Strohfeldt

Ein kleiner Film mit dreidimensionalen Animationen zeigt, wie Bürger und Bürgerinnen in Zukunft an Planungsprozessen in ihrer Stadt teilhaben – und wie Demokratie so praktisch umgesetzt wird. Über 8.000 Drohnenaufnahmen waren für das 3D-Modell des Stadtentwicklungsgebietes nötig, plus diverse Animationen. Das Video findet sich auf www.zukunft-gustavsburg.de. Dort können die Anwohner des Stadtteils interaktiv Anregungen und Vorschläge, aber auch Kommentare und Kritik hinterlassen. Die Experten der ProjektStadt – unter dieser Marke bündelt die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) ihre Stadtentwicklungskompetenzen – rechnen mit reger Resonanz. Bereits in den ersten Tagen verzeichneten sie überdurchschnittlich viele und fundierte Beiträge. Bürgermeister Thies Puttnins-von Trotha: „Wir sehen es als Chance, dass die ProjektStadt und unsere Kommune als Pilotstandort gemeinsam ein Tor für digitale Bürgerbeteiligungen aufgestoßen haben. Besonders spannend ist für uns Politiker, dass wir durch das barrierefreie Online-Beteiligungsformat mit vielen verschiedenen Zielgruppen die Zukunft von Gustavsburg gestalten können.“

Analoge Bürgerbeteiligung allein reicht nicht mehr

Das 3D-Modell ist Teil des neuen Online-Beteiligungsformats „ProjektStadt Digital“, das die NHW derzeit entwickelt. Monika Fontaine-Kretschmer, Geschäftsführerin der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW), resümiert den ersten Einsatz des neuen Werkzeugs: „Die Ergebnisse des Pilotversuchs sind sehr vielversprechend. Wir sehen uns in der Verantwortung, eine Verschiebung der Beteiligungsvorgänge voranzutreiben. Wir erweitern damit unsere Möglichkeiten, Bürger in Planungsprozesse einzubinden, um ein sehr wichtiges Medium.“

Marion Schmitz-Stadtfeld, Leiterin Integrierte Stadtentwicklung und für die Entwicklung des 3D-Modells verantwortlich, ergänzt: „Die Reichweite analoger Bürgerbeteiligungen muss zunehmend kritisch betrachtet werden. Unsere Ambition ist es, den Kommunen smarte und niedrigschwellige Lösungen für eine fruchtbare und heterogene Partizipation der Bewohner anzubieten.“ Die Stadt Ginsheim-Gustavsburg hatte die ProjektStadt damit beauftragt, ein Integriertes Städtebauliches Entwicklungskonzept (ISEK) zu erarbeiten. Die Webseite www.zukunft-gustavsburg.de ist Teil der Bürgerbeteiligungsstrategie, die den umfangreichen Prozess begleitet. Vorangegangen war ein Workshop, bei dem sich bereits viele Bewohner mit Anregungen und Ideen zur Umgestaltung ihres Stadtteils einbrachten.

Projektleiterin Vera Neisen ist davon überzeugt, dass der netzbasierte Dialog „ein noch breiteres Spektrum an Meinungen und Ideen“ erbringen werde als vergleichbare analoge Veranstaltungen. Zielgruppen wie Jugendliche oder im Alltag stark in Beruf und Familie Eingebundene nutzten eher das Online-Angebot, da es mehr deren Zeitkontingent und Medienverhalten entspreche. Die ProjektStadt setze daher immer unterschiedliche Kanäle und Formate ein, sowohl via Internet als auch klassische Angebote.

Bürgerforum im Internet

Ein weiteres Beispiel: Nicht weniger als 116 Ideen, 109 Kommentare und 186 Bewertungen sind das stolze Ergebnis der Internet-Plattform www.friedberg-mitmachen.de. Sie ersetzte ein wegen der Pandemie ausgefallenes Bürgerforum, denn die Bevölkerung sollte trotz Kontaktbeschränkung in die Arbeit am Konzept für die Konversion der ehemaligen amerikanischen Militäransiedlung Ray Barracks intensiv einbezogen werden. Bürgermeister Dirk Antkowiak zieht Bilanz: „Das ist ein wertvoller Input für die weiteren Planungen und zeigt, dass den Friedbergern die Zukunft unseres Kasernengeländes am Herzen liegt. Durch ihr Mitwirken machen sie den Planungsprozess zu einem lebendigen Dialog.“

In Corona-Zeiten sind Bürgerversammlungen, Foren, Diskussionsveranstaltungen, Workshops und Stadtteil-Spaziergänge nicht möglich. Friedberg hingegen ist, dank Internet, dennoch einen großen Schritt weitergekommen. Marius Reinbach, verantwortlicher Projektleiter der ProjektStadt, kommentiert: „Die Zahlen belegen eindeutig, dass trotz Corona ein virtueller Dialog zwischen Stadt und Bürgerschaft entstanden ist.“ Dazu beigetragen hat natürlich, dass der gesamte Prozess kurzfristig umstrukturiert wurde: Das Projektteam entwickelte kurzfristig parallele, analoge „Mitmachmöglichkeiten“ wie etwa die Nutzung städtischer Litfaßsäulen und die Schaltung eines Anrufbeantworters.

Seit 2007 liegt das ehemalige Militärareal im Süden der Wetterauer Kreisstadt brach. Mit seinen 74 Hektar bietet das Gelände jedoch viel Potenzial, das die Kommune nun entfalten will. Deshalb hatte sie die Bauland-Offensive Hessen (BOH) mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Das Kasernenareal soll sich in ein gemischt genutztes Quartier verwandeln – mit dem Schwerpunkt bezahlbares Wohnen. Geplant sind zudem ein Elvis-Presley-Museum, ein Hotel, Einzelhandel, eine Sporthalle, ein neuer Feuerwehr-Stützpunkt, Kindertagesstätten, eine Grundschule sowie die Erweiterung des Campus der Technischen Hochschule Mittelhessen.

Modulares System erlaubt schnelle Reaktion

Dank des Kooperationspartners wer denkt was GmbH aus Darmstadt, der auch für „ProjektStadt-Digital“ in Ginsheim-Gustavsburg Komponenten geliefert hat, konnten die Stadtentwickler in Friedberg eine schnelle Lösung zur Partizipation via Internet umsetzen. In nur vier Wochen Konzeptions- und Entwicklungszeit stand die Plattform www.friedberg-mitmachen.de im Netz. Kernstück ist eine sogenannte Open Crowd Map. Auf diesem beschreibbaren Stadtplan kann der Nutzer innerhalb des Gebietes Marker setzen, Ideen formulieren, kommentieren und mit anderen Interessenten über die Vorschläge diskutieren.

Zudem sind dort die wesentlichen Informationen über das Vorhaben, das Gelände und die bislang diskutierten Planungen dargestellt. Theresa Lotichius, Geschäftsführerin der wer denkt was GmbH, zum Projekt in Friedberg: „Digitale Lösungen benötigen Vorbereitung. Jedoch kam uns in der Krise sehr zugute, dass wir ein modulares System anbieten und die Anpassung der Systeme mit unserer jahrelangen Erfahrung schnell umsetzen können.“

Transparenz entscheidend für den Erfolg

Über den Erfolg einer interaktiven Bürgerbeteiligung entscheiden verschiedene Parameter. Markus Eichberger, Leiter des Unternehmensbereichs Stadtentwicklung, erläutert: „Zunächst einmal fordert der Nutzer die vollständige Transparenz über den Ablauf. Der Bürger will heute nicht mehr nur wissen, was entschieden wird, sondern auch wie.“ Die Menschen seien oft erst dann bereit zum Mitmachen, wenn sie die „Beteiligungs- und Rückkopplungsmöglichkeiten“ im Verlauf des Verfahrens genau kennen. Noch wichtiger aber sei die Dokumentation des Prozesses. Die Nutzer wollen immer wieder nachvollziehen, wie bisherige Ergebnisse entstanden sind. Eichberger: „Wir sprechen hierbei von einem ,Beteiligungsgedächtnis‘.“

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schreibt vor, dass zu Prozessen, bei denen personenbezogene Daten verarbeitet werden, der Verantwortliche Verfahrensverzeichnis führen muss. Insbesondere bei einer Prüfung durch die Datenschutzbehörden muss der Verantwortliche...

Mieterinformation via Live-Stream

Aber nicht nur als Partizipationsmedium bei Stadtentwicklungsprozessen leistet das Internet wertvolle Dienste. Im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen will die NHW auf vorhandene Wohngebäude in der Fritz-Kissel-Siedlung ein bis zwei neue Stockwerke in Holzmodul-Bauweise aufsetzen. 82 neue Wohnungen sollen auf diese Art in citynaher Lage entstehen. Der Leiter des Frankfurter NHW-Servicecenters, Wolfgang Koberg, erläutert: „Wir wollen unsere angestammten Mieter bestmöglich informieren und ihre Meinung hören.“

Daher schaltete das größte hessische Wohnungsunternehmen im August eine eigens eingerichtete Webseite frei: www.fritz-kissel-siedlung.de.

Mieterbeteiligung via Youtube

Über einen Link konnten die Bewohner per Live-Stream an zwei aufeinanderfolgenden virtuellen Mieterversammlungen teilnehmen. Holger Lack, Leiter des Regionalcenters Frankfurt, zeigt sich zufrieden mit der regen Mieterbeteiligung via Youtube: „Wir haben hiermit eine sehr gute Alternative gefunden.“

Während der Veranstaltungen konnten die Mieter ihre Anliegen direkt per Mail einsenden. „Erwartungsgemäß drehten sich die meisten Fragen um den Ablauf der Baumaßnahmen, um mögliche Einschränkungen sowie Lärmbelästigungen und natürlich darum, ob der Bau Auswirkungen auf die Höhe der Mieten hat.“ Die Servicecenter-Mitarbeiter beantworteten diese Fragen. Viele Informationen zu den Baumaßnahmen finden sich jetzt auch auf der Webseite unter der Rubrik FAQ. Beispiele: Durch die leichte Modulbauweise kann die NHW das neue Stockwerk schnell errichten, Störungen sind dadurch auf ein Minimum beschränkt. Mehr noch: Die Bewohner profitieren sogar. Im Zuge der Aufstockung lässt die Wohnungsgesellschaft Wohnungstüren und Abwasserleitungen erneuern, Fassaden werden neu gestrichen. Und natürlich, so hebt Koberg hervor: „Der Quadratmeterpreis für unsere Mieter ändert sich dadurch nicht.“

Robert Schmauß

Robert Schmauß
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Seite 20 bis 22
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