„Wir raten für die Zukunft zu verstärkter Kooperation“

Michael Neitzel ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Forschungs- und Wissenstransferinstituts InWIS im Europäischen Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (EBZ). Die IVV sprach mit dem Diplom-Ökonomen über drängende Fragen der Wohnungswirtschaft.

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"Trotz der historisch niedigen Zinsen sehen Bauinvestoren hohe Risiken, weil die Einkommen in vielen Regionen für auskömmliche Mieten zu niedrig sind", so Michael Neitzel, Foto: EBZ
"Trotz der historisch niedigen Zinsen sehen Bauinvestoren hohe Risiken, weil die Einkommen in vielen Regionen für auskömmliche Mieten zu niedrig sind", so Michael Neitzel, Foto: EBZ

Teilen Sie die Ansicht, dass in deutschen Ballungsräumen eine neue Wohnungsnot entsteht?
In Ballungsregionen wie München, Stuttgart, im Rhein-Main-Gebiet, in Köln und Hamburg existiert etwas, das man als „neue“ Wohnungsnot bezeichnen kann. Das hat eine andere Qualität, als die Wohnungsnot, die wir aus den Wirtschaftswunderjahren der alten Bundesrepublik kennen. Heute haben wir es mit einem lokal begrenzten und regional sehr unterschiedlichen Phänomen zu tun. Wir können feststellen, dass sich bei günstigen Wohnungen eine Knappheit entwickelt und in diesem Segment deutliche Preissteigerungen erkennbar sind. Wenn wir von Wohnungsknappheit sprechen, heißt das nicht, dass man innerhalb dieser Ballungsräume keine Wohnungen mehr anmieten kann, aber es gibt Verdrängungseffektive aus den Citylagen in die Randbereiche. Wir haben in einer Studie unseres Instituts festgestellt, dass in München Auszubildende in der City kaum bezahlbaren Wohnraum finden. Sie müssen in Randgemeinden ausweichen mit längeren Arbeitswegen. Bestimmten Gruppen werden Zugänge zum Wohnungsmarkt verbaut.

Die Zinsen sind auf einem historischen Tiefstand und es herrscht Angst vor der Geldentwertung. Warum wird nicht mehr gebaut?
Auch diese Frage muss man differenziert betrachten. Es gibt Regionen, in denen sich Neubauten lohnen, das sind wiederum die prosperierenden Ballungsräume. Hier leben Zielgruppen, mit denen sich auskömmliche Mieten erzielen lassen, die für einen Investor interessant sind. Trotz der historisch niedrigen Zinsen müssen wir für viele andere regionale Märkte feststellen, dass die dort vorherrschenden Zielgruppen Neubauten in größerem Umfang nicht zulassen. Dazu gehören Teile des Ruhrgebiets, Ostdeutschland, aber auch Gebiete in Niedersachsen oder Bayern. Natürlich gibt es auch dort Kunden, die 8 € Miete und mehr zahlen können. Das erlaubt aber nicht Neubauten im großen Stil, sondern Einzelprojekte an bestimmten Standorten. Die Zinsentwicklung ändert nichts an den grundlegenden, wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in einzelnen Regionen, die nicht passen.

Wir haben also eine starke Parzellierung des Marktes …
Es besteht eine regionale Segmentierung, teilweise sogar innerhalb von Stadtbezirken, in denen Neubau betrieben werden kann, weil es Zielgruppen gibt, die sich höhere Mieten leisten können. Im Ruhrgebiet leben Kundengruppen, die bereit sind Mieten von 8 €, 8,50 €, manchmal bis 10 € zu zahlen. Dennoch sind Investoren angesichts der gestiegenen Baukosten und der EnEV-Anforderungen nicht in der Lage anzubieten; das ist vielen zu risikoreich.

Was sollte der Staat tun, um den Wohnungsbau für einkommensschwache Zielgruppen zu intensivieren?
Da gibt es leider nur die klassischen Maßnahmen. Der Staat müsste sich verstärkt am sozialen Wohnungsbau und am Ankauf von Belegungsrechten beteiligen, wobei Letzteres für Investoren nur bedingt interessant ist. Die andere Variante wäre die klassische Subjektförderung, z. B. über das Wohngeld. Es ist eine Glaubensfrage, wie man agieren will. Da wir in vielen Regionen eher ein mengenmäßiges Problem haben, müsste man den Neubau ankurbeln.

Gibt es empirische Belege dafür, dass die EnEV-Ordnungspolitik zu einer sozialen Schieflage führt?
In der Regel ist es nicht möglich, eine energetische Sanierung warmmietenneutral durchzuführen, weil die rein energetischen Baukosten beim Effizienzhaus-100-Standard zwischen 350 und 430 € liegen. Das muss refinanziert werden durch eine Mietsteigerung von 2,10 € bis 2,40 €, was sich häufig nicht realisieren lässt. Haushalte im untersten Einkommensfünftel haben eine Wohnkostenbelastung für Warmmiete von 48 % des Einkommens. Wenn die eine Mieterhöhung nach Modernisierung von 50 bis 60 Cent bekommen oder ein Energiepreisanstieg stattfindet, dann werden diese Haushalte überproportional stärker belastet. Das kann zu einer Segregation von einkommensschwachen Haushalten führen, die sich weder energetisch sanierten Wohnraum noch höhere Energiepreise leisten können. Das ist ein großes Dilemma.

Wie kann dieser Zielgruppe geholfen werden?
Da gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen kann man energetische Maßnahmen stärker subventionieren entweder über die bestehenden KfW-Förderprogramme oder durch Zuschussprogramme zur Abfederung der energetischen Sanierungskosten. Zum anderen kommt schnell die Frage der steuerlichen Förderung von energetischer Sanierung ins Spiel.

Einzelne Wohnungsunternehmen haben damit begonnen, in Eigenregie Wärme und Strom zu produzieren. Ist das ein Konzept für die Zukunft?
Hier kann die Wohnungswirtschaft vermutlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen kann sie die Energieversorgung im Quartier kostengünstig sicherstellen, weil die gleichzeitige Produktion von Wärme und Strom zu Effizienzvorteilen führt. Zum anderen muss von Fall zu Fall weniger in die Gebäudehülle investiert werden. Das mag ein Geschäftsmodell sein, mit dem sich Wohnungsunternehmen refinanzieren. Ich denke, das ist ein Baustein in einem Konzept für die Energieversorgung von Quartieren. Ich bin mir nicht sicher, ob das flächendenkend umgesetzt wird. Es ist ein zukunftsfähiges Konzept, es hat eine Berechtigung, aber wir können noch nicht sagen, ob bald in jedem Quartier auf diese Weise Energie erzeugt wird.

Sollte es verstärkte Anstrengungen in der Forschung zur Entwicklung kostengünstiger Baumaterialien und Dämmstoffe geben?
Das brauchen wir unbedingt. Wenn Investitionen in Dämmung, in Fenster oder Lüftungsanlagen aktuell zu teuer sind, es aber allgemeines Ziel ist CO2-Ausstoß zu reduzieren, dann werden diese Investitionen immer interessanter je niedriger die anfänglichen Aufwendungen sind. Bei Bauprozessen sind wir noch nicht am Ende der Lernkurve. Wenn Fensterauskleidungen kostspielig nachgearbeitet werden müssen, nachdem ein WDVS aufgebracht wurde, birgt der Bauprozess noch Einsparmöglichkeiten.

Sind Ihnen unternehmerische Konzepte bekannt, die Sie als besonders zukunftsstark einschätzen?
Wir glauben dass Wohnungsunternehmen im Jahr 2020 in einem lokalen Umfeld stärker miteinander kooperieren werden. Einmal zum Erfahrungsaustausch, dann auch um Einkaufsvorteile zu erreichen oder um bei internen Diensten voneinander zu profitieren. Wir sehen bei einigen Genossenschaften, dass frei werdende Vorstandsposten nicht wieder besetzt werden, weil die Aufgaben im Rahmen von Kooperationen durch den Vorstand einer anderen Genossenschaft übernommen werden.


Das Interview führte: Thomas Engelbrecht

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Redaktion (allg.)

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