Geht doch: Serielles Sanieren sozialverträglich
Überdurchschnittlich viele Haushalte mit niedrigem Einkommen wohnen zur Miete in fossil beheizten und unzureichend gedämmten Gebäuden mit hohen Energieverbräuchen. Laut der aktuellen dena-Studie „Soziale Aspekte der Gebäude-Energiewende” geben Geringverdiener teilweise mehr als 40 Prozent ihres Budgets für Wohnkosten aus. Diese Haushalte sind besonders stark von steigenden Energiekosten belastet und vielfach auf staatliche Heizkostenzuschüsse angewiesen. Dementsprechend begrenzt sind die finanziellen Spielräume für Wohnungsunternehmen, die energetische Modernisierung durch Mietanpassungen zu refinanzieren. Hier eröffnet das serielle Sanieren nach dem Energiesprong-Prinzip neue Perspektiven in der klima- und sozialverträglichen Bestandssanierung.
Ziel: Unterm Strich nicht mehr als vorher
Das innovative Konzept setzt auf vorgefertigte Fassaden-, Dach- und Technikmodule, die auf der Baustelle nur noch montiert werden müssen. Ineffiziente Gebäude lassen sich so schneller und wirtschaftlicher energetisch modernisieren. Als angestrebtes Ziel soll der klimaneutrale NetZero-Standard dafür sorgen, dass Wohnraum für die Bewohner bezahlbar bleibt und sich die Investition für Eigentümer trotzdem rechnet. Photovoltaikmodule auf dem Dach und bei höheren Gebäuden auch Teilen der Fassade erzeugen im Jahresdurchschnitt so viel regenerative Energie, wie die Bewohner für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom benötigen. Im Idealfall wird die Modernisierungsumlage durch hohe Energieeinsparungen und dauerhaft günstigen Mieterstrom ausgeglichen. Trotz Erhöhung der Kaltmiete soll die finanzielle Belastung der Mieterinnen und Mieter unterm Strich nicht höher sein als vorher. Ob die Rechnung aufgeht, zeigt ein Blick auf bereits realisierte Pilotprojekte.
Köln-Zollstock: Beim zweiten Projekt soll Miete nach Sanierung geringer sein
Der Pilot der Wohnungsgenossenschaft am Vorgebirgspark (WGaV) eG ist das erste Projekt in der deutschen Energiesprong-Historie, das den ambitionierten Effizienzhausstandard 40 EE erreicht hat. Nach der seriellen Sanierung spart das Gebäude nicht nur 90 Prozent Energie ein, es erzeugt mit seiner leistungsstarken Photovoltaikanlage im Jahresdurchschnitt sogar mehr regenerative Energie als die Bewohnerinnen und Bewohner für Heizung, Warmwasser und Strom benötigen. Der Energieverbrauch reduzierte sich von 201 kWh/m²/a auf minus 10 kWh/m²/a. Das Kölner Beispiel macht deutlich, welche Energiesprünge im Bestand möglich sind.
Das Projekt ist das Ergebnis einer Kooperation regionaler Partner. Die ganzheitliche Sanierungslösung wurde vom Architekturbüro Zeller Kölmel konzipiert, vom Energiebüro vom Stein technisch sowie bauphysikalisch geplant und von Korona Holz & Haus ausgeführt. Die Gesamtkosten der energetischen Modernisierung betrugen 1,9 Millionen Euro. Davon wurden 876.000 Euro über das BEG-Programm des Bundes und 235.000 Euro über das Interreg-Programm der EU gefördert. Vor der Sanierung betrug die durchschnittliche Kaltmiete in der Schwalbacher Straße 24/26 rund 5 Euro pro Quadratmeter, hinzu kamen Heizkosten von 84 Cent je Quadratmeter. Nach der Sanierung hat sich die Kaltmiete auf 6,50 Euro erhöht, die Heizkosten reduzierten sich auf 34 Cent. Für eine 60 Quadratmeter große Wohnung bedeutet dies unterm Strich eine Mieterhöhung von 350,40 Euro auf 410,40 Euro im Monat. Berücksichtigt werden muss dabei, dass im Zuge der seriellen Sanierung teilweise auch die Bäder und Küchen erneuert wurden und sich der Wohnkomfort damit erhöht hat. „Aufgrund langfristiger Verträge hatten wir bei diesem Objekt extrem günstige Gaspreise, sodass die Mieterinnen und Mieter hier rein kostenmäßig noch nicht profitiert haben“, erklärt Thomas Meißner, Vorstand der WGaV. Aufgrund der guten Erfahrungen plant Meißner derzeit ein zweites serielles Sanierungsprojekt in unmittelbarer Nachbarschaft. Bei den drei fünfgeschossigen Mehrfamilienhäusern in der Schwalbacher Straße 49-53 soll die Rechnung diesmal für die 30 Mietparteien aufgehen.
Mönchengladbach: Modernisierungsumlage niedriger als erwartet
Im ersten Energiesprong-Reallabor in Deutschland leistete das Wohnungsunternehmen LEG gemeinsam mit den Baupartnern B&O, ecoworks, Fischbach, Saint-Gobain pre.formance und Renowate Pionierarbeit. In Mönchengladbach ließ der zweitgrößte deutsche Wohnungskonzern in kleinem Maßstab erproben, was im Großen funktionieren soll. Ziel des Reallabors ist die Entwicklung eines seriellen Sanierungskonzeptes, das es ermöglicht, jährlich rund drei Prozent des 166.000 Wohnungen umfassenden Bestands klima- und sozialverträglich zu sanieren. Dazu wurden im Stadtteil Hardt 19 baugleiche Mehrfamilienhäuser aus den 1950er Jahren mit 111 Wohnungen und einer Gesamtfläche von 6.000 Quadratmeter zeitversetzt von fünf Gesamtlösungsanbietern nach unterschiedlichen seriellen Sanierungsansätzen auf den klimaneutralen NetZero-Standard gebracht. Der Energieverbrauch der in die Klasse „Worst Perfoming Buildings” fallenden Gebäude reduziert sich dadurch von 250 kWh/m² auf weniger als 50 kWh/m².
Mieter Günter Steinhoff wohnt seit 25 Jahren mit seiner Familie in der Siedlung. Im Juli 2023 besuchte Wirtschaftsminister Habeck das Quartier, um sich vor Ort einen Eindruck des innovativen Modernisierungskonzepts zu verschaffen und mit den beteiligten Akteuren zu sprechen – darunter auch Günter Steinhoff, der die Sanierung grundsätzlich gut findet: „Etwas Staub und Krach hat es hin und wieder schon gegeben, aber im Vergleich zu einer konventionellen Sanierung hielt sich das im Rahmen.“ Den positiven Effekt der neuen Gebäudehülle merkt er nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer. „An heißen Hochsommertagen heizt sich das Gebäude nicht mehr so stark auf wie früher.“
Beim Ministerbesuch erklärte LEG-Vorstand Dr. Volker Wiegel, dass die Durchschnittsmiete von 6,43 Euro pro Quadratmeter durch die Modernisierungsumlage zwar um zwei Euro steigen wird, die Nebenkosten durch hohe Energieeinsparungen aber um die gleiche Summe sinken werden.
Günter Steinhoff zahlt für seine 50 Quadratmeter große Wohnung nach der Sanierung einen Euro pro Quadratmeter mehr, was er absolut okay findet. Die LEG ist damit 50 Prozent unter der angekündigten Mieterhöhung geblieben. Für Günter Steinhoff und seine Familie dürfte die Rechnung aufgehen.
Frankfurt-Ostend: Sozialverträglich und solidarisch
Geplant von Architekt Kay Künzel, gebaut von Holzbau Kappler und finanziert von der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz wurden an einem siebengeschossigen Apartmenthaus in Frankfurt-Ostend nahezu alle nachhaltigen Innovationen umgesetzt, die der serielle Sanierungsbaukasten zu bieten hat. Rund vier Millionen Euro investierte der Eigentümer in das energetische Update des in die Jahre gekommenen 1960er-Jahre-Baus. Gefördert wurde das mit KfW-Mitteln in Höhe von zwei Millionen Euro. Neben der seriellen Sanierung erhöhen neue Bäder, Küchen, Holzfußböden, Balkone und ein Fahrstuhl für weitere zwei Millionen Euro den Wohnkomfort.
Das Projekt überzeugt nicht nur architektonisch und energetisch. Es ist auch in sozialer Hinsicht ein vorbildliches Gegenmodell zu den Gentrifizierungstendenzen in stark nachgefragten Großstädten. Für Architekt Kay Künzel sind die sozialethischen Aspekte des Projekts besonders wichtig: „Wir wollen, dass Wohnraum für alle bezahlbar bleibt und es zu keinen sanierungsbedingten Kündigungen kommt.“ Um auch einkommensschwächeren Mieterinnen und Mietern das Weiterwohnen in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen, wurde unter Einbindung aller Parteien nach einem sozialverträglichen Weg für die zukünftige Mietpreisgestaltung gesucht – und eine ebenso ungewöhnliche wie vorbildliche Lösung gefunden. Alle Bewohner erhielten einen neuen Mietvertrag zu einer Warmmiete, die der alten entsprach plus einer variablen Summe, die von ihnen selbst festgelegt wurde. „Wir haben die Bewohner gefragt, was sie an Zusatzkosten für die neuen Bäder, Küchen und Balkone akzeptieren würden. Die Pointe war, dass ihnen der zusätzliche Komfort sogar mehr wert gewesen wäre, als wir uns getraut hätten, an Mietanpassung vorzuschlagen“, so Kay Künzel. Ein Mieter leistet sogar freiwillig einen höheren Beitrag, damit die ältere Dame unter ihm weniger bezahlen muss. Ein schönes Beispiel für gelebte Solidarität.
Witten: Ab dem dritten Projekt sparen die Mieter sogar
In Witten hat die Vonovia einen Wohnkomplex aus drei- bis achtgeschossigen Mehrfamilienhäusern mit einer besonders innovativen Lösung für 15,6 Millionen Euro seriell saniert. Neben Photovoltaikanlagen auf den Dächern und Teilen der Fassade unterstützt die intelligente Solarwabenfassade von GAP Solution die positive Energiebilanz. Das ausgeklügelte Dämmsystem ermöglicht es, den Energiebedarf alleine über die Gebäudehülle um bis zu 90 Prozent zu reduzieren. Nach der Sanierung, die im Herbst abgeschlossen sein wird, verbessern sich die Gebäude von Energieeffizienzklasse E auf A+, der Energieverbrauch sinkt von 145 kWh/m2 auf 26 kWh/m2.
Die Mieter der 112 Wohnungen werden nach der Sanierung eine Modernisierungsumlage von zwei Euro pro Quadratmeter zahlen, auf der anderen Seite aber rund 1,60 Euro an Energie- und Warmwasserkosten einsparen. Die Mehrbelastung beträgt also 40 Cent pro Quadratmeter. „Das Energiesprong-Prinzip ist ein guter Ansatz, um Gesamtkosten überschaubar zu halten und gleichzeitig bewusst den Klimaschutz in den Vordergrund zu stellen sowie die Energiewende voranzubringen“, sagt Samuel Paulsen, Produktmanager für die serielle Sanierung bei Vonovia. Beim ersten seriellen Sanierungsprojekt in Bochum habe man Warmmietenneutralität erreicht. Das Projekt in Witten sei aufgrund der Höhe, Kubatur sowie der besonderen Sanierungslösung deutlich anspruchsvoller. Derzeit plane man Projekte, bei denen die Bewohner unterm Strich sogar eine geringere Warmmiete zahlen werden als vorher.
Wohnungswirtschaft: Serieller Sanierungsbonus gibt Rückenwind
Im Vergleich zur konventionellen energetischen Modernisierung eröffnet das serielle Sanieren erheblich mehr Kostensenkungspotenziale. In Kombination mit Förderprogrammen auf Bundes- und Landesebene ergibt sich daraus ein wirtschaftlich tragfähiges Finanzierungsmodell für die Wohnungswirtschaft. Ziel des Energiesprong-Prinzips ist es, dass sich Sanierungsinvestitionen größtenteils über eingesparte Energie- und Instandhaltungskosten refinanzieren. Hinzu kommen weitere kostensenkende Faktoren, wie eine schnellere Umsetzung, Planungssicherheit, höhere Qualität, Eingesparte CO2-Kosten und die Wertsteigerung der Immobilie. Perspektivisch werden die Kosten für serielle Sanierungslösungen durch Digitalisierung, Prozessoptimierung, Automatisierung und Skaleneffekte weiter sinken. Mit dem seriellen Sanierungsbonus im Rahmen der Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG) sind serielle Sanierungslösungen bei deutlich schnellerer Umsetzung bereits heute auf dem Kostenniveau konventioneller energetischer Modernisierungen. Die Förderung besteht aus zinsvergünstigten Krediten von bis zu 150.000 Euro pro Wohneinheit, die ein bis zwei Prozentpunkte unter den marktüblichen Zinskonditionen liegen. Hinzu kommen Tilgungszuschüsse, die sich im günstigsten Fall auf 45 Prozent summieren können, was einer Förderung von 67.000 Euro pro Wohneinheit entspricht.
Obwohl die Kostensenkungspotenziale längst noch nicht ausgeschöpft sind, ist das Ziel der Warmmietenneutralität beim seriellen Sanieren bereits heute in greifbarer Nähe. Der innovative Modernisierungsansatz ist kein Patentrezept für den gesamten Gebäudebestand. Aber er kann rund 30 Prozent aller Mehrfamilienhäuser schnell und wirtschaftlich fit für die klimaneutrale Zukunft machen – und die in ihnen wohnenden Menschen dauerhaft vor steigenden Energiepreisen schützen.
Mehr zum seriellen Sanieren nach dem Energiesprong-Prinzip unter
Ariane Steffen
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