Energiesprong setzt zum großen Sprung an
Noch zwei Zentimeter höher!“, ruft der Arbeiter auf der Baustelle der Feuerwache Charlottenburg-Nord am Berliner Nikolaus-Groß-Weg. Vier Arbeiter sind damit beschäftigt, das an einem Kran hängende, rund eine Tonne schwere und 4,90 Meter hohe Fassadenelement aus Holz an die richtige Stelle zu befördern. Das Besondere daran: Das Element ist inklusive Dämmung, Fenstern, Lüftung und Sonnenschutz im Werk vorgefertigt und per Tieflader auf die Baustelle transportiert worden. Jetzt werden innerhalb weniger Wochen 86 dieser vom Holzbauspezialisten Sieveke produzierten Fassadenelemente montiert – als zentraler Teil der energetischen Sanierung, der die 1963 bis 1965 als Stahlbetonskelettbau errichtete Feuerwache derzeit unterzogen wird.
Neue Außenhaut für Feuerwache, Verwaltungsbau und Grundschule
Einen Einblick in das Sanierungsprojekt bot eine Energiesprong-Tour, die die Deutsche Energie-Agentur (dena) in Berlin durchführte. Sie ermöglichte die Besichtigung von drei abgeschlossenen und einem laufenden Vorhaben, bei denen das Prinzip der seriellen Sanierung zum Tragen kommt. Dabei wurde deutlich, dass der in Deutschland seit 2018 verfolgte Energiesprong-Ansatz (das niederländische Wort bedeutet auf Deutsch Energiesprung) nicht mehr allein auf Wohngebäude beschränkt ist, sondern sich auch für Nichtwohngebäude eignet. Mit vorgefertigten Elementen saniert wird nämlich nicht nur die Feuerwache in Charlottenburg-Nord: Auch das Verwaltungsgebäude des Tierparks Friedrichsfelde und eine Grundschule im Berliner Stadtteil Marienfelde sind auf serielle Weise energetischertüchtigt worden.
Die Ausdehnung des Energiesprong-Ansatzes auf weitere Gebäudetypen (neben Nichtwohngebäuden auch Ein- und Zweifamilienhäuser sowie höhergeschossige Gebäude) ist eines der Ziele der dena, wie Vertreterinnen und Vertreter des bundeseigenen Unternehmens im Rahmen der Veranstaltung ausführten. Ein Schwerpunkt bleibt jedoch das Wohnungssegment, mit dem Energiesprong startete. Im Fokus standen dabei ursprünglich Mehrfamilienhäuser mit einfacher Kubatur und mindestens 1.000 Quadratmeter Wohnfläche, wie sie vor allem in den 1950er bis 1970er Jahren in großer Zahl errichtet wurden. Mittlerweile lassen sich laut dena aber auch Gebäude, die Erker oder andere Vorsprünge aufweisen, mit vorgefertigten Elementen energetisch sanieren. Denkmalschutz bleibt allerdings ein Ausschlusskriterium.
Verdoppelung der Sanierungsquote braucht standardisierte Prozesse
Welches Potenzial diese Sanierungsmethode hat, betonte auf der Berliner Veranstaltung Kristina Zimmermann, Themenbereichsleiterin Serielle Sanierung bei der dena. Um die Sanierungsquote auf jährlich zwei Prozent zu verdoppeln, brauche es „standardisierte, digitale Prozesse“, die mit einem 3D-Scan und darauf aufbauend einem digitalen Zwilling arbeiteten, sagte die dena-Vertreterin. Auf diese Weise entstehe im Idealfall ein Net-Zero-Gebäude, das über das Jahr gesehen so viel Energie erzeuge, wie es verbrauche. Das Ganze erfolgt laut Zimmermann „so minimalintensiv wie möglich“, sodass die Nutzer in der Regel während der Arbeiten im Gebäude bleiben können.
58 Sanierungsprojekte sind fertiggestellt und 175 befinden sich in Planung
Nachdem Energiesprong anfänglich nur langsam Fahrt aufgenommen hatte (vgl. IVV 5/2023), scheint jetzt der Durchbruch in Sicht. Laut Kristina Zimmermann sind bisher 58 Projekte mit 430 Wohneinheiten fertiggestellt worden und weitere 26 Vorhaben mit 870 Wohneinheiten in Umsetzung. Im Planungsstadium befinden sich 175 Projekte mit insgesamt rund 10.200 Wohnungen. Damit hat die serielle Sanierung eine erhebliche Dynamik bekommen – noch im Oktober letzten Jahres bezifferte die dena die Zahl der in Planung befindlichen Vorhaben auf 146.
Vorläuferprojekt in Berlin-Tempelhof
Eine überraschende Erkenntnis der Berliner Veranstaltung ist, dass bereits vor elf Jahren ein Vorläuferprojekt der seriellen Sanierung realisiert wurde: In der Burgemeisterstraße 21 im Berliner Stadtteil Tempelhof ließ 2012/13 die Büroma-Apart Apartmentvermietung GmbH (heute Mavo Hospitality) aus Esslingen ein 1967 errichtetes, sechsgeschossiges Apartmenthaus mit vorgefertigten Elementen energetisch sanieren. Das Gebäude umfasst nach Angaben des Architekten Joachim Hildebrandt, der damals mit seinem Büro Hildebrandt Lay die Bauleitung innehatte, 1.900 Quadratmeter Wohnfläche und 40 möblierte Apartments, die in der Regel für kürzere Zeit vermietet werden. Saniert wurden allerdings nur 1.100 Quadratmeter Fläche mit 28 Apartments, da ein nachträglich errichteter Bauteil ausgenommen blieb.
Zum Einsatz kamen damals Holzfertigteil-Elemente, die von der Weissenseer Holz-System-Bau GmbH aus dem österreichischen Greifenburg geliefert und inklusive Aluminiumfenster montiert wurden. Die Montage erfolgte nicht mit einem Kran, sondern mittels dreier Hubsteiger und damit ohne Gerüst. Obwohl das Gebäude damals noch nicht digital vermessen wurde, passten die Elemente vor Ort perfekt, wie Hildebrandt sagt. Einzige Ausnahme war ein Element unter dem Dach, das individuell angepasst werden musste. Die Sanierung erfolgte in unbewohntem Zustand und dauerte ein halbes Jahr. Dabei entfielen jedoch nur wenige Wochen auf die Fassadenerneuerung. Deutlich zeitaufwendiger war die anschließende Innensanierung der Apartments, die ursprünglich gar nicht geplant war, aber wegen des unerwartet hohen Schmutzaufkommens erforderlich wurde.
Herausforderung Brandschutz
Als größte Herausforderung bezeichnet Hildebrandt im Rückblick den Brandschutz. Die Außenfassade besteht denn auch nicht aus Holz, sondern aus Pressspan-Platten, was aus Brandschutzgründen (das Objekt gehört zur Gebäudeklasse 5) erforderlich war. In energetischer Hinsicht bestand das Ziel darin, den Endenergieverbrauch zu halbieren und Passivhausstandard zu erreichen. Ein Monitoring des Energieverbrauchs erfolgte allerdings nicht.
Eine weitere Herausforderung war laut Hildebrandt, dass das Gebäude nicht in all seinen Teilen gemäß den Plänen errichtet worden war. Deshalb, so der Architekt, sei eine intensive Auseinandersetzung mit dem Bestand vor Beginn der Sanierungsarbeiten erforderlich gewesen. Dafür habe die Methode den großen Vorteil gehabt, dass sie eine Vergrößerung der Wohnfläche ermöglicht habe. Denn die Planer des Stuttgarter Büros Schaller + Sternagel Architekten schlugen die Balkone, die von den temporären Bewohnern nur wenig genutzt wurden, den Apartments zu.
Für Arnold Flaschberger, Technischer Leiter der Weissenseer Holz-System-Bau GmbH, liegt ein weiterer Vorteil dieser Sanierungsmethode darin, dass die Eigentümer schneller wieder Mieteinnahmen haben. Allerdings könne man beim Tempelhofer Projekt mit seiner komplizierten Kubatur streng genommen nicht von serieller Sanierung sprechen, räumt Flaschberger ein. Es habe sich vielmehr um eine Sanierung mit vorgefertigten Elementen gehandelt.
Blaupause für kommunale Bestandsgebäude
Zurück zur Feuerwache in Charlottenburg-Nord. Nur vier Wochen dauerte dort die Erneuerung der Gebäudehülle. Nach der Sanierung reduziert sich der Energiebedarf den Berechnungen zufolge um 255.000 kWh pro Jahr, und der jährliche CO2-Ausstoß sinkt um 53 Tonnen. Ein einmaliges Projekt soll das nicht bleiben, heißt es bei der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), die für die Entwicklung und Bewirtschaftung der landeseigenen Gebäude in der Hauptstadt zuständig ist. Die BIM setze „auf nachhaltige Baustoffe und innovative Verfahren“, sagt Martin Sowinski, Mitglied der BIM-Geschäftsleitung. „Dazu gehören auch zukunftsweisende Themen wie das serielle Sanieren.“
Damit könnte das Berliner Projekt Vorbildcharakter für andere Nichtwohngebäude haben. Aufgrund ihrer einfachen Gebäudekubatur eigneten sich Feuerwachen, Polizeidienststellen, Schulen, Kindergärten und Sporthallen besonders gut für das serielle Sanieren, lässt sich Uwe Bigalke, Teamleiter Serielles Sanieren bei der dena, in einer Pressemitteilung zitieren. „Insofern kann die Feuerwache in Charlottenburg-Nord zur Blaupause für die energetische Modernisierung kommunaler Bestandsgebäude in Deutschland werden.“ Auch wenn das nicht immer ganz reibungslos ist: Beim Besichtigungstermin auf der Energiesprong-Tour mussten jedenfalls die Bauarbeiter mehrmals die Motorsäge zur Hand nehmen, bis sich das vorgefertigte Element endlich passgenau an der richtigen Stelle befand.
Christian Hunziker
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