Serielles Sanieren im Kreislauf gedacht

Fassadenelemente als unerschöpfliche Materialquelle

40 Prozent der CO2-Emissionen, 50 Prozent des Rohstoffverbrauchs und 60 Prozent des Abfalls in Deutschland gehen auf das Konto der Bauwirtschaft. Höchste Zeit, Bauen neu zu denken: weg von linearer Verschwendung und hin zu zirkulärer Verwendung. Serielles Sanieren kann sich zum Katalysator für die Kreislaufwirtschaft entwickeln.

Der im t-lab der TU Kaiserslautern entwickelte Konusadapter ernöglicht den einfachen Rückbau der verbauten Elemente. Foto: TU Kaierslautern
Der im t-lab der TU Kaiserslautern entwickelte Konusadapter ernöglicht den einfachen Rückbau der verbauten Elemente. Foto: TU Kaierslautern

Serielles Sanieren kombiniert digitale Planung mit automatisierter Vorfertigung und standardisierten Prozessen. Auf diese Weise lassen sich mit weniger Fachkräften mehr Gebäude in kürzerer Zeit fit für die klimaneutrale Zukunft machen. Kreislauffähigkeit ist beim seriellen Sanieren kein Muss, perspektivisch aber ein großes Plus. Denn nach zirkulären Prinzipien geplante Fassadenmodule können am Ende des Lebenszyklus als Materialdepot für neue serielle Sanierungsprojekte dienen. Jedes Bauteil, das in Serie produziert und damit tausendfach repliziert wird, stellt die Weichen in eine abfallintensive oder ressourcenschonende Zukunft. Doch wie kreislauffähig ist der innovative Sanierungsansatz bereits heute und welche Herausforderungen müssen auf dem Weg in die Zirkularität noch gemeistert werden?

Massenfertigung als Multiplikator

Ein Blick in die Produktion von Eco-Timber im thüringischen Heiligenstadt: Hier leitet Uwe Klingebiel eines der größten und modernsten Abbundzentren in Mitteldeutschland. Beim Rückbau eines Standardmoduls zeigt sich, wo es hakt. Die einzelnen Schichten des Fassadenmoduls sind mit Breitrücken-Klammern verbunden. Eine der gängigsten Verbindungsmethoden, die schnell geht, preiswert ist und eine hohe Auszugsfestigkeit aufweist. Der große Nachteil: Die Klammern lassen sich nicht lösen, sodass das Fassadenmodul beim Rückbau zerstört werden muss. Rückbaubare Module sind prinzipiell möglich, bislang aber noch mit hohen Kosten und großem Aufwand verbunden. „Eine Konstruktion, die man vernünftig auseinanderbauen und in einzelnen Schichten sauber voneinander trennen kann, wäre ein Riesenhebel. Denn in der seriellen Sanierung multipliziert sich das Ganze. Wenn das richtig Fahrt aufnimmt und Module zigfach gebaut werden, hätten wir eine nahezu unerschöpfliche Materialquelle“, so die Einschätzung von Uwe Klingebiel.

 Kreislaufgerechte Verbindungen

Damit seriell gefertigte Fassadenmodule am Ende des Lebenszyklus zu Materiallagern für die nächste Generation von Fassadenmodulen werden können, müssen sie nach den Prinzipien des Designs for Disassembly geplant werden. Konkret bedeutet dies, dass der Rückbau und die spätere Wiederverwertung von Bauteilen, Komponenten und Materialien bereits in der Entwurfsphase berücksichtigt wird. Wie dies idealtypisch aussehen kann, wird an der TU Kaiserslautern erforscht. Mit dem t-lab für Holzarchitektur und Holzwerkstoffe hat die Universität eine Ideenschmiede für kreislauffähiges Bauen geschaffen. Koordiniert von Viktor Poteschkin leisten Forscher, Lehrer und Studenten im nordrhein-westfälischen Diemerstein Pionierarbeit in Sachen Zirkularität. „Wenn man ein Gebäude kreislauffähig planen und bauen möchte, muss man bereits heute auf die Verbindungstechnik achten. Es müssen Verbindungen eingesetzt werden, die sich auch in 50, 80 oder 100 Jahren einfach lösen lassen. Das gilt sowohl für die verbauten Materialien als auch für der Verbindung der Module untereinander“, erläutert Poteschkin.  Die am Institut entwickelten Ringknoten und Konusadapter zeigen, wie sich Holzbauteile stabil verbinden und leicht wieder auseinandernehmen lassen. Derartige Innovationen zeigen, wie sich kreislaufgerechtes Bauen durch kluge Konstruktionen gezielt vorantreiben lässt.

Zirkularität als neue Normalität

Die Wiederverwendungsquote der verbauten Ressourcen in Deutschland liegt derzeit bei gerade einmal sieben Prozent. Das will das Berliner Start-up Concular mit seinem Geschäftsmodell ändern. Das Unternehmen hat ein Ökosystem für zirkuläres Bauen aufgebaut, das Bestandsgebäude digitalisiert, ökobilanziert und Re-Use-Materialien über den firmeneigenen Online-Shop weitervermittelt. Bislang ist die gesamte Baubranche mit all ihren Regularien, Normen und Vorschriften auf den Neubau ausgerichtet. Das führt zu teilweise absurden Konsequenzen: Sobald ein Bauteil ausgebaut wird, ohne dass ein Abnehmer gefunden ist, gilt es nach dem Gesetz als Abfall und muss weggeworfen werden. Dabei sprechen die Vorteile der Wiederverwertung für sich. Die Verkäufer sparen Abrisskosten und verdienen mit ihrem vermeintlichen Müll sogar Geld. So wird aus einem Kostenfaktor in der Bilanz ein positiver Wert. Die Käufer bekommen aufgearbeitete Produkte mit Garantie, die bis zu 20 Prozent günstiger als Neuware und schneller verfügbar sind. Last but not profitiert auch die Umwelt, weil der Ressourcenverbrauch sinkt. „Die EU-Taxonomie, der ab 2025 verpflichtende Gebäuderessourcenpass und die Versicherung für wiederverwendete Materialien sind zentrale Hebel, um das zirkuläre Bauen auf breiter Ebene voranzutreiben“, macht CEO Dominik Campanella deutlich.

Re-Use rechnet sich

Im Holzbauunternehmen Derix ist Zirkularität Bestandteil des Geschäftsmodells. Derix ist eines der ersten Unternehmen am Markt, das sich zur Rücknahme gebrauchter Bauteile verpflichtet. Basis dafür bilden das sogenannte „Re-use Planning“ sowie ein hoher Grad an Digitalisierung, Vorfertigung und Standardisierung. Ziel ist es, bis zu 60 Prozent der Bauteile wiederzuverwenden und die restlichen 40 Prozent in die Kaskadennutzung zu bringen. Derix-Geschäftsführer Markus Steppler sieht darin nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile: „Da gebrauchte Bauteile deutlich günstiger sind als neue, eröffnet uns die Wiederverwendung Wettbewerbsvorteile. Und auch für unsere Auftraggeber ist die Rücknahme ein großer Mehrwert. Sie erhalten für ihre ausgedienten Bauteile eine Vergütung, haben aber auch die Möglichkeit, einen Restwert für ihr Gebäude anzusetzen.“ Um den Anteil rückbaubarer Verbindungen in der Baubranche zu erhöhen, hat Steppler einen einfachen Tipp: Man müsse das Thema einfach mal in die Ausschreibung aufnehmen. Man werde vermutlich verblüfft sein, wie viele Hersteller dann eine Rücknahme anbieten würden.

Module komplett wiederverwendbar

Werksbesuch bei GAP Solutions im oberösterreichischen Dimbach. Das Familienunternehmen zählt zu den Vorreitern der seriellen Sanierung. Für Johann Aschauer, der mit seiner Tochter Martina gerade den Generationswechsel in der Geschäftsführung einleitet, ist ein verantwortungsvoller Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen ein zentrales Thema. Vor rund 30 Jahren hat Firmengründer Aschauer eine ganzheitliche Sanierungslösung entwickelt, um Bestandsgebäude kreislauforientiert, ökologisch und nachhaltig zu dekarbonisieren. Die patentierte, mehrfach ausgezeichnete Solarwaben-Fassade benötigt keine komplizierte Technik, sondern funktioniert nach einfachen physikalischen Prinzipien. Durch ihre ausgeklügelte Struktur wärmen die in der Glasfassade integrierten Zellulosewaben im Winter und kühlen im Sommer. Zu den Kunden von GAP Solutions zählen große Wohnungskonzerne wie Vonovia oder Wiener Wohnen.
Die End-of-Life-Simulation zeigt, dass sich ein zwölf Meter langes und drei Meter hohes Modul innerhalb von zwei Stunden komplett in seine Einzelteile zerlegen lässt. Alle Schichten sind sauber voneinander trennbar und somit kreislauffähig. Übrig bleibt ein kleiner Haufen Klebestreifen, die die Solarwaben in der Holzrahmenkonstruktion fixieren. „Eigentlich ist es gar nicht notwendig, die Fassadenmodule am Ende des Lebenszyklus in ihre Einzelteile zu zerlegen. Man kann sie nach der Demontage auch an anderer Stelle wieder aufbauen“, betont Johann Aschauer. Da es sich um vollständige Wände handelt, könnten die ausgedienten Fassadenelemente auch als Second-Hand-Module für den kostengünstigen Neubau eingesetzt werden. So würden Bestandsbauten zu Materiallagern für neue Gebäude.
Noch sind nicht alle seriellen Sanierungsansätze zu einem so hohen Grad kreislauffähig wie bei GAP-Solutions. Aber Wissenschaft und Wirtschaft zeigen mit Konstruktions- lösungen, Materialpässen, Gewährleistungsgarantien und Rücknahmesystemen wie der Weg in die zirkuläre Zukunft aussehen kann.

Ariane Steffen

Ariane Steffen
Autorin, Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena)
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