Lob für GroKo-Ziele, aber große Zweifel an Umsetzbarkeit

„Der Wohnungsmangel ist sozialer Sprengstoff“

Die SPD-Basis hat abgestimmt; es kommt erneut zu einer Großen Koalition. Damit gilt auch das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel, 1,5 Millionen Wohnungen bis 2021 bauen zu wollen. Branchenvertreter loben die Absicht, hegen allerdings große Zweifel an der Realisierbarkeit. In der Wohnungsfrage stecke sozialer Sprengstoff.

Die Baukonjunktur brummt, dennoch klafft zwischen Angebot und Nachfrage in vielen Zentren eine immer größere Lücke. FOTO: K.SABOTKE
Die Baukonjunktur brummt, dennoch klafft zwischen Angebot und Nachfrage in vielen Zentren eine immer größere Lücke. FOTO: K.SABOTKE

Die scheidende Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) wies öffentlich immer wieder darauf hin, dass in der vergangenen Legislaturperiode eine Million Wohnungen gebaut worden seien und die Trendwende bei den Genehmigungen und Fertigstellungszahlen erreicht worden sei.

ZIA: Ernüchternde Zahlen bei Wohnungsbaugenehmigungen*

Branchenvertreter hingegen erkennen eine Lücke von einer Million bezahlbarer Mietwohnungen und sind beunruhigt angesichts des Rückgangs der Baugenehmigungen von rund 10 Prozent auf 340.000 im Jahr 2017. Auf dem 10. Wohnungsbau-Tag versammelten sich Anfang Februar Vertreter der Wohnungswirtschaft, der Bauwirtschaft, Mieterbund und Wissenschaftler, um Alarm zu schlagen. Zwar habe der Wohnungsbau im Jahr 2017 wahrscheinlich die Marke von 300.000 Einheiten erreicht, das sei aber kein Grund zur Entwarnung, denn ein Abbau des Wohnraumdefizits sei damit nicht erreicht worden. Zwischen Angebot und Nachfrage klaffe eine immer größere Lücke, auch angesichts einer Zuwanderung von 450.000 Menschen. Wissenschaftler sehen einen enormen Mangel an Sozialwohnungen. In den Großstädten hätten zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Haushalte auf dem Papier Anspruch auf eine Sozialwohnung, tatsächlich seien bundesweit aber nur sechs Prozent aller Mietwohnungen Sozialwohnungen.

Das Verbändebündnis Wohnungsbau hält 400.000 Neubauwohnungen pro Jahr für notwendig, davon 80.000 Sozialwohnungen und 60.000 im bezahlbaren Mietenbereich. Wozu dieses Land fähig ist, zeigt ein Blick zurück. 1995 wurden 600.000 Wohnungen fertiggestellt. Von diesem Niveau sind wir heute weit entfernt, weil Bauland fehlt. Die Baulandpreise haben sich seit 1995 um 170 Prozent erhöht. In Großstädten machten machten die Grundstückskosten bei einem Wohnungsneubau im Schnitt bereits knapp 20 Prozent der gesamten Investitionskosten aus. Trotz aller Beschwörungen und Appelle – auch im Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen – hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) gerade mal 13 Grundstücke verbilligt an Kommunen abgegeben, erklärte der scheidende Bau-Staatssekretär Gunther Adler (SPD. Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkotten forderte eine Große Koalition zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, alle Ebenen des Staates müssten endlich an einem Strang ziehen. Die Branchenverbände loben die Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau durch den Bund und erwarten von den Ländern ein finanzielles Engagement in gleicher Höhe.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) warb für mehr seriellen Wohnungsbau, damit ließen sich Kosten und Bauzeiten reduzieren. Diese Wirkung kann serielles Bauen allerdings nur entfalten, wenn sich alle Landesbauminister endlich auf eine einheitliche Musterbauordnung für Typenhäuser einigen. Das aber wird vermutlich ein frommer Wunsch bleiben. Die geschäftsführende Bauministerin Barbara Hendricks erinnerte daran, dass es seit 50 Jahren den Entwurf einer Musterbauordnung gebe, auf den sich die Länder nicht verständigen können.

Kommunen könnten mehr Bewegung im Bau schaffen

Tübingens Oberbürger Boris Palmer (Grüne) bezeichnete die Stellplatzverordnung als „Schwachsinn“. Tübingen habe die Zahl der pro Wohnung vorgeschriebenen Parkplätze auf 0,3 zurückgeschraubt; in manchen Städten liege sie bei 1,5. Das spare 30.000 Euro Baukosten pro Wohnung, denn in der Stadt können Parkplätze nur in enorm teuren Tiefgaragen entstehen. Ähnlichen Entscheidungsspielraum wünscht Palmer sich zum Beispiel auch bei der Auslegung der Brandschutzbestimmungen.

Bei der Einigung auf den Koalitionsvertrag im Januar hatten Union und SPD einen ersten Ressortzuschnitt vorgenommen. Die Zuständigkeit für Wohnungs- und Städtebau soll vom Umwelt- ins Innenministerium umziehen. CSU-Chef Horst Seehofer ist als Minister für Innere Sicherheit, Bauen und Heimat vorgesehen. Das Verbändebündnis Wohnungsbau bewertet diese Verschiebung von Zuständigkeiten positiv. Namentlich Mieterbund-Direktor Siebenkotten sieht das Bauressort in einem starken Innenministerium gut aufgehoben. Vor der Bundestagswahl hatte die Branche noch ein eigenes Bauministerium auf Bundesebene gefordert.

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* "Wir brauchen mehr Mut auf Seiten der Politik"  - Stimmen aus den Verbänden

Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, wurden im Jahr 2017 in Deutschland 7,3 Prozent oder 27.300 weniger Baugenehmigungen von Wohnungen insgesamt erteilt als im Jahr 2016. Damit sei die Zahl der genehmigten Wohnungen erstmals seit 2008 niedriger als im jeweiligen Vorjahr, nachdem die Zahlen von 2008 bis 2016 kontinuierlich gestiegen waren. Bei den Wohngebäuden mit drei oder mehr Wohnungen sei das Niveau im Vergleich zum Vorjahr gehalten worden.

„Insbesondere die Stagnation bei den Mehrfamilienhäusern zeigt in die falsche Richtung“, sagt Dr. Andreas Mattner, Präsident des ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss, Spitzenverband der Immobilienwirtschaft. „Diese insgesamt ernüchternden Zahlen müssen die Politik aufhorchen lassen. Wir brauchen mehr Mut auf Seiten der Politik. Wir haben jetzt endlich das Kabinett, das sich dieser Fehlentwicklung mit den richtigen Maßnahmen annehmen kann. Dazu zählen vor allem die schnelle Umsetzung der Baulandoffensive, schnellere Grundstücksvergaben, Baugenehmigungsverfahren und neue Anreize für den Wohnungs- und Nichtwohnungsbau.“

Für den GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen liegt die Lösung des Problemes fehleneder Wohnungen hier: "Die serielle und standardisierte Bauweise muss gefördert und dazu eine bundesweit gültige bauliche Zulassung für diese Gebäude geschaffen werden", sagte der GdW-Chef. So kann man Kapazitätsengpässen entgegenwirken. Die Wohnungswirtschaft erwartet in den nächsten Wochen die Ergebnisse des europaweiten Wettbewerbs zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung für serielles Bauen.

Insgesamt stehe die Wohnungswirtschaft bereit, gemeinsam mit dem neuen Ministerium für Inneres, Bau und Heimat und mit den Partnern aus dem Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen weiterhin tatkräftig an diesem Ziel mitzuwirken. 

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