Das Verbändebündnis Soziales Wohnen (Mitglieder sind unter anderem die Caritas, der Deutsche Mieterbund, die Industriegewerkschaft Bau, der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel und die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau) hat beim Pestel-Institut in Hannover und dem Bauforschungsinstitut ARGE des Landes Schleswig-Holstein eine Studie zur Lage auf dem sozialen Wohnungsmarkt in Auftrag gegeben. Die Autoren fordern eine „soziale Neujustierung für das Bauen und Wohnen in Deutschland“ und sprechen von einem „chronischen Burnout“ des sozialen Wohnungsmarktes. Der Zensus von 2022 habe bestätigt, das 550.000 Wohnungen – vor allem bezahlbare Wohnungen und Sozialwohnungen – fehlten. Aktuelle Tendenz: steigende Nachfrage bei gleichzeitigen Absturz der Neubautätigkeit. Das Land benötige bis 2030 zwei Millionen Sozialwohnungen (aktueller Stand: rund eine Million); jährlich müssten 210.000 neue Sozialwohnungen geschaffen werden, durch Neubau, Modernisierung und den Ankauf von Belegungsrechten.
Der Chef-Ökonom des Pestel-Instituts, Matthias Günther, begründet den steigenden Bedarf an Sozialwohnungen. In den kommenden Jahren gingen Hunderttausende Babyboomer in Rente, von denen viele in schlecht bezahlten Jobs beschäftigt waren. Diese Gruppe könne sich die „K.O.-Mieten“ auf dem Wohnungsmarkt nicht leisten und sei von Altersarmut bedroht. Die frei werdenden Arbeitsplätze könnten nur wiederbesetzt werden durch eine hohe Zahl an Zuwanderern, die allerdings nur dann nach Deutschland kommen würden, wenn man ihnen bezahlbare Wohnungen anbietet. Der Mangel an Arbeitskräfte, so die Mahnung von Matthias Günther, sei schon heute ein Grund für die Wachstumsschwäche der deutschen Volkswirtschaft.
Neubau schrumpft trotz steigender Bundesförderung
Die zerbrochene Ampelregierung hatte sich 2021 das Ziel gesetzt, jährlich 100.000 neue Sozialwohnungen zu bauen. Tatsächlich habe die Ampelkoalition die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau der Länder deutlich aufgestockt: von jeweils einer Milliarde Euro in den Jahren 2020 und 2021 auf zwei Milliarden Euro 2022, 2,5 Milliarden Euro 2023 und 3,15 Milliarden Euro im Jahr 2024. Überraschend sei das Ergebnis: Die Zahl der fertiggestellten Sozialwohnungen ist gesunken. 2023 habe es Förderzusagen für 23.115 Einheiten gegeben. Das seien weniger Zusagen für den Sozialwohnungsbau gewesen als im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2022. Kein Wunder, dass damit auch keine Trendumkehr beim Bestand an Mietsozialwohnungen geschaffen wurde. Mit 1.072.266 Wohneinheiten lag deren Zahl Ende 2023 um 29.240 Einheiten geringer als 2021 – im Jahr der letzten Bundestagswahl.
Die Forderungen des Verbändebündnisses
Um den Druck von den Mietmärkten zu nehmen und das Ziel von zwei Millionen zusätzlichen Sozialwohnungen zu schaffen schlagen die Wissenschaftler und das Verbändebündnis unter anderem folgende Maßnahmen vor:
- Die Bund-Länder-Förderung müsse langfristig auf elf Milliarden Euro jährlich aufgestockt werden. Diese Summe solle im Grundgesetz verankert und von der Schuldenbremse ausgenommen werden.
- Die Baukosten können dauerhaft reduziert werden durch die Absenkung des Baustandards auf das gesetzliche Mindestmaß. Nach Erkenntnissen der ARGE Kiel sei dieser Qualitätsstandard für 2.720 Euro pro Quadratmeter zu erstellen, während die heute üblicherweise vereinbarten zivilrechtlich vereinbarten Standards 4.080 Euro pro Quadratmeter kosteten.
- Da die Bundesländer schon heute an der Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit stünden, sollte für alle Bauleistungen im sozialen Wohnungsbau ein ermäßigter Umsatzsteuersatz von sieben Prozent (statt 19 Prozent) erhoben werden.
Deutschland braucht Sozialwohnungen mit dem Label ‚gut und günstiger‘
Das Verbändebündnis kritisiert, Deutschland baue „Premium-Sozialwohnungen“. Es gehe in guter Qualität auch deutlich günstiger, erklärt Prof. Dietmar Walberg, Chef des Kieler Bauforschungsinstituts ARGE. Konkret gehe es um den Gebäudetyp E – E wie einfach oder experimentell. „In Schleswig-Holstein wird so bereits gebaut. Und das ‚E‘ steht dabei längst für ein erleichtertes und erfolgreiches Bauen“, so Walberg.
Das Team der ARGE habe eine Fülle von Bauprojekten begleitet und analysiert. Das Ergebnis sei verblüffend: „Die reinen Baukosten bei Sozialwohnungen lassen sich um bis zu einem Drittel senken. Unterm Strich würde die bisherige vom Staat gezahlte Fördersumme von gut 3.200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche sogar ausreichen, um damit den Bau von Sozialwohnungen komplett zu finanzieren. Alles, was Sozialwohnungen darüber hinaus kosten, geht in ‚Nice-to-have-Extras‘“, so Prof. Dietmar Walberg.
Wo im Wohnungsbau gespart werden kann
Dazu zählen nach ARGE-Angaben zum Beispiel zu viel Wand- und Deckenstärken, dreifach verglaste Fenster, überzogener Klima- und Lärmschutz, Kellerräume und auch Tiefgaragenplätze. Wichtig dabei sei, dass „der Sozialwohnungsbau im Sparmodus die geltenden Bauvorschriften auf Punkt und Komma berücksichtigt und gleichzeitig noch einen Beitrag zur Baukultur leistet“. Er funktioniere in der Baupraxis und liefere vor allem auch guten Wohnkomfort. Walberg warnt deshalb vor einer „Weiter-so-Förderung“.
Der ARGE-Chef nennt dazu ein konkretes Förderlimit: So lässt sich nach Berechnungen des Bauforschungsinstituts eine Sozialwohnung für rund 2.920 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche bauen. Für diese reinen Baukosten wären dann lediglich nur noch 1.840 Euro pro Quadratmeter an Fördergeld nötig. Dazu kämen allerdings noch die Grundstückskosten. „Hier ist es entscheidend, dass die Kommunen deutlich mehr günstiges Bauland für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen als bislang“, so Prof. Walberg.
Sein Fazit: „Deutschland muss anfangen, das Label ‚gut & günstiger‘ auf seine Sozialwohnungen zu kleben. Das spart Geld. Und mit weniger Förder-Euro pro Sozialwohnung lassen sich vor allem deutlich mehr Sozialwohnungen bauen.“
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Redaktion (allg.)

