Gebäudekühlung ohne Klimaanlagen

Die Vorteile der Schattenwirtschaft

Spätestens 2050 wird der weltweite Kühlbedarf den Heizbedarf übersteigen – wegen der Klimaerwärmung. Doch wie lassen sich Gebäude am besten kühlen? Effizient geht das nur, wenn man erst gar keinen großen Kühlbedarf entstehen lässt, die Wärme also draußen bleibt. Wie das im Idealfall funktioniert, haben Wissenschaftler untersucht.

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Beim Neubau des Hessischen Finanzministeriums in Wiesbaden wurde der Passivhausstandard gewählt, da dieser auch einen guten sommerlichen Wärmeschutz bietet. Eine Überhitzung wird unter anderem durch eine automatisierte Dachlüftung vermieden. Bild: Frank Urbansky
Beim Neubau des Hessischen Finanzministeriums in Wiesbaden wurde der Passivhausstandard gewählt, da dieser auch einen guten sommerlichen Wärmeschutz bietet. Eine Überhitzung wird unter anderem durch eine automatisierte Dachlüftung vermieden. Bild: Frank Urbansky

Bereits heute zeigt sich der Klimawandel in Deutschland deutlich: Laut dem Deutschen Wetterdienst (DWD) stieg die Anzahl der Tage, an denen die Temperatur im mittel zu hoch waren, deutlich an. Waren es in den 1960er-Jahren noch durchschnittlich 28 Tage, an denen die Temperatur über 25 Grad Celsius lag, stieg die Zahl bis 2007 auf durchschnittlich 40 Tage an. In den kommenden Jahrzehnten wird dieser Wert sehr wahrscheinlich auf 58 bis 69 Tage ansteigen. Auch die Anzahl der heißen Sommertage mit Temperaturen über 30 °C hat stark zugenommen.

Stephan Schlitzberger vom Ingenieurbüro Hauser (IBH), der im Auftrag der Repräsentanz Transparente Gebäudehülle (RTG) entsprechende Simulationen durchführte, warnt davor, dass der aktuelle Gebäudebestand nicht auf diese Entwicklung vorbereitet ist und viele Gebäude im Sommer zunehmend überhitzen werden.

Wie wichtig der sommerliche Wärmeschutz, so der Fachbegriff, ist, hat auch die Regierung erkannt. Im August 2023 beriet Bundesbauministerin Klara Geywitz mit Vertreterinnen und Vertretern aus Städten (Dresden, Potsdam, Jena, Frankfurt am Main, Mannheim und Nürnberg) über Hitzeschutzmaßnahmen. Diskutiert wurden Gebäude- und Freiraummaßnahmen, mehr Grünflächen, Schwammstädte und die bauliche Auflockerung. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen entwickelt eine Hitzeschutzstrategie.

Städte heizen sich auf

Besonders dicht besiedelte Stadtteile mit wenig Grün, Schatten und Freiflächen heizen sich tagsüber stark auf und kühlen nachts kaum ab, was gesundheitliche Probleme verursacht. Dies betrifft vor allem Kleinkinder, Ältere, Obdachlose und Menschen, die im Freien arbeiten. Die eingeladenen Städte stellten ihre Maßnahmen vor. Diese sollen nun beispielhaft für die zu erarbeitende Strategie dienen.

Doch was bedeutet das für Bauherren, Verwalter und Betreiber von Immobilien?

Die Wissenschaft beschäftigt sich schon viel länger mit dem Problem, so die Hochschule Luzern mit ihrer Studie „Bereit für den Klimawandel? Handlungsempfehlungen für Bauherrschaften und Planende“ von 2021. In diesem Projekt standen zwei Hauptziele im Fokus: Erstens sollen Bauherren für den Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels sensibilisiert und bei Entscheidungen für Neubau- und Sanierungsprojekte unterstützt werden. Zweitens wurde ein Instrument für Architekten und Planer entwickelt, das Empfehlungen für den frühen Entwurfsprozess bietet und bei der Abwägung von solaren Gewinnen, Tageslichtversorgung und Überhitzungsschutz hilft.

Unterschiedliche Szenarien prognostizierten in der Schweiz einen Anstieg der jahreszeitlichen Durchschnittstemperatur um 3,3 bis 5,4 Grad Celsius bis zum Ende des 21. Jahrhunderts. Daher, so die Autoren, sei eine zukunftsorientierte Planung unverzichtbar, um einen angenehmen Wohnkomfort und effizienten Betrieb von Gebäuden über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu gewährleisten.

Ein Fokus lag auf der Abwägung von solaren Wärmegewinnen im Winter, der Vermeidung von Überhitzungsproblemen im Sommer und einer ausreichenden Tageslichtversorgung im Inneren des Gebäudes – sowohl heute als auch in der Zukunft.

Acht Handlungsempfehlungen

Die Schweizer Wissenschaftler leiten daraus acht Handlungsempfehlungen für Planer und Bauherren ab.

Umgebung und Standort als zentrale Faktoren: Bei der Gestaltung von Gebäuden steht das Planungsteam immer vor unterschiedlichen Ausgangssituationen. Standort und Umgebung sind vorgegeben und können nicht direkt beeinflusst werden. Die Anpassung des Gebäudes an diesen Kontext ist entscheidend für Energieeffizienz, thermischen Komfort und visuelle Behaglichkeit.

Geschoss- und fassadenspezifische Planung: Schattenspendende Elemente wie Nachbargebäude, Bäume und Berge beeinflussen den Entwurf maßgeblich. Jeder Kontext erfordert spezifische Anpassungen, die je nach Geschoss und Fassade variieren können. Um Energieeffizienz, thermischen Komfort und Tageslicht optimal auszubalancieren, empfiehlt sich eine differenzierte Planung auf Geschoss- und Fassadenebene.

Ausrichtung des Gebäudes und der Wohnungen: Idealerweise sollten Gebäude nicht exakt nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet sein, um Sonneneinstrahlung aus verschiedenen Winkeln zu ermöglichen. Dies steigert die Aufenthaltsqualität in den Räumen. Wohnungen sollten mindestens zwei Seiten haben, um Flexibilität in der Raumgestaltung und Nutzung zu gewährleisten.

Raumanordnung: Die Anordnung der Räume muss mit ihrer Ausrichtung abgestimmt werden. Angesichts des Klimawandels gewinnt auch ein teilweise nach Norden ausgerichteter Raum an Bedeutung, da er geringere Überhitzungsrisiken birgt. Energieeffizienz, thermischer Komfort und Tageslicht müssen von Anfang an in die Raumanordnung einfließen. Flexibilität in den Grundrissen unterstützt eine anpassungsfähige, klimaresiliente Planung.

Nachtauskühlung und Kühlkonzepte: Natürliche Lüftung in Form von nächtlicher Abkühlung ist entscheidend für den thermischen Komfort. In Zeiten des Klimawandels gewinnt dieser Aspekt noch mehr an Bedeutung, da Überhitzung vermieden werden muss.

Konzepte wie Querlüftung und Kamineffekt sollten berücksichtigt werden. Die richtige Ausrichtung der Öffnungen und Fassadengestaltung ist für eine effiziente Querlüftung im Sommer essenziell. Weitere Techniken wie Freecooling (Kühlung ohne Kältemaschine unter Ausnutzung der kalten Außenluft) oder Geocooling (die Nutzung der thermischen Trägheit des Bodens) sollten frühzeitig in Betracht gezogen werden.

Raumgeometrie: Große Raumtiefen sollten vermieden werden. Stattdessen wirken sich hohe Räume, niedrige Sturzhöhen, minimale Auskragungen und schlanke Gebäudeposituren positiv auf die Tageslichtversorgung aus. Diese Faktoren müssen im Kontext von Energieeffizienz, thermischem Komfort und der Umgebungssituation betrachtet werden.

Nutzerverhalten und Gebäudeautomation: Das Verhalten der Bewohner beeinflusst Energieeffizienz, thermischen Komfort und Tageslichtnutzung maßgeblich. Die Bedienung von beweglichen Sonnenschutzelementen und natürliche Lüftung gewinnen angesichts des Klimawandels an Bedeutung. Gebäudeautomation spielt eine Rolle bei der Sicherstellung korrekter Nutzung. Dieser Aspekt sollte besonders im Wohnungsbau im Blick behalten werden.

Tageslicht im Gebäude: Die Bedeutung von Tageslicht für Wohlbefinden und Gesundheit der Bewohner erfordert angemessene Berücksichtigung. Die Norm SN EN 17037:2019 ermöglicht eine Bewertung des Tageslichts anhand von vier Kriterien. Dennoch sollte eine gute Tageslichtversorgung in Zusammenhang mit Energieeffizienz und thermischem Komfort betrachtet werden, um eine ganzheitliche Planung zu gewährleisten.

Diese Erkenntnisse müssen nun auch in die Praxis übertragen werden, und das geht nur mit der Politik. Die Repräsentanz Transparente Gebäudehülle (RTG) erwartet denn auch, dass die Politik die künftige Bedeutung des Überhitzungsschutzes im Sommer erkennen müsse, nicht nur im Hinblick auf die Gesundheit, sondern auch für die Energieversorgung und den Klimaschutz. Der Energieverbrauch für Klimaanlagen könnte im schlimmsten Fall sogar größer werden als der für die Heizung.

Die Bundesregierung sollte daher klare Vorgaben für effektiven Sonnenschutz etablieren. Aktuell fehlten solche Richtlinien.

Das RGT fordert deshalb Folgendes:

  • Erstens sollte die Bundesregierung eine rasche Überarbeitung der DIN-Norm anstreben. Es sei nicht akzeptabel, dass immer noch Gebäude geplant würden, als gäbe es keinen Klimawandel, und der Sonnenschutz wie in den 1990er-Jahren ausreiche. Die Norm sollte rasch auf klimabezogene Daten für die Zukunft umgestellt werden.
  • Zweitens müsse im Gebäudeenergiegesetz (GEG) deutlich gemacht werden, dass Sonnenschutzpotenziale vor dem Einsatz von Klimaanlagen vorrangig genutzt werden müssten.
  • Hierfür sei drittens eine überarbeitete Anforderungssystematik für sommerlichen Hitzeschutz notwendig, die an den Klimawandel angepasst ist. Bisher werde lediglich die Überhitzung bei der Planung berücksichtigt und begrenzt. Zukünftig solle auch der Aspekt der eingesparten Kühlenergie eine Rolle spielen.

Beispiel Textoversum

Ein Beispiel, wie sommerlicher Wärmeschutz mit klimafreundlichen Baustoffen erreicht werden kann, ist das Textoversum in Reutlingen. Hier übernimmt eine gewebte Fassade gleich mehrere wichtige Funktionen: Sie verleiht dem Gebäude eine unverwechselbare Optik und stabilisiert die umlaufenden Balkone. Außerdem dient sie als Brüstung und sorgt für die notwendige Beschattung der dahinterliegenden Glasfassade. Das Polyurethan-Harzsystem Desmocomp von Covestro, in das die Fasern wie in eine Matrix eingebettet sind, sorgt für die nötige Festigkeit und Langlebigkeit des Verbunds.

Beispiel Finanzministerium Wiesbaden

Beim Neubau des Hessischen Finanzministeriums in Wiesbaden wurde der Passiv-hausstandard gewählt, da dieser auch einen guten sommerlichen Wärmeschutz bietet. Eine Überhitzung wird durch eine automatisierte Dachlüftung vermieden. Die Kühlung des Gebäudes erfolgt durch Betonkernaktivierung in den Decken – ohne den Einsatz energieintensiver Klimaanlagen.

Arten des sommerlichen Wärmeschutzes

Sommerlicher Wärmeschutz kann effektiv vor der intensiven Sonneneinstrahlung schützen. Hier einige Formen:

1. Innenliegender Sonnenschutz: Zum innenliegenden Sonnenschutz zählen Rollos, Jalousien oder Vorhänge an den Fenstern.

2. Innenliegender Sonnenschutz mit automatisierter Aktivierung: Automatisierte Systeme, die auf Licht- und Temperatursensoren reagieren, ermöglichen es, den Sonnenschutz bereits zu aktivieren, bevor sich der Raum aufheizt.

3. Außenliegender Sonnenschutz: Zum außenliegenden Sonnenschutz gehören Markisen, Sonnensegel oder Lamellen an der Außenseite der Fenster. Sie schützen auch vor Blendung und UV-Strahlung.

4. Außenliegender Sonnenschutz mit automatisierter Aktivierung: Auch hier erkennen Sensoren die Intensität der Sonnenstrahlen und aktivieren den Sonnenschutz rechtzeitig, um eine Überhitzung des Innenraums zu verhindern.

Die Wahl der geeigneten Methode hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie den klimatischen Bedingungen, den architektonischen Gegebenheiten und bei Privatgebäuden von den persönlichen Vorlieben.

Frank Urbansky

Frank Urbansky
Journalist, Fachautor und Berater
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Artikel Die Vorteile der Schattenwirtschaft
Seite 6 bis 9
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