Mit Grünflächen gegen Hitzeinseln
Gemeinhin gelten Immobilien nicht als förderlich für Flora und Fauna, denn ihr Bau verschlingt enorme Ressourcen und der Bauprozess verursacht erhebliche Umweltbelastungen durch Lärm, Staub und Chemikalien. Zudem versiegeln sie Flächen, wodurch wichtige Bodenfunktionen wie Wasserdurchlässigkeit und Bodenfruchtbarkeit verloren gehen. Das hat massive ökologische Auswirkungen. Zum einen haben CO2-speichernde Pflanzen und wichtige Bestäuberinsekten keinen Lebensraum, zum anderen entsteht in Ballungsräumen ein Stadtklima, das durch erhöhte Lufttemperaturen im Vergleich zu naturbelassenen Räumen geprägt ist. Darüber hinaus versickert Regenwasser aufgrund der Bodenversiegelung nur schwer und muss über Kanalsysteme abgeleitet werden. Bei Starkregen ist das fatal. Denn die Rohre fassen die Wassermengen meist nicht, weshalb Rückstauungen entstehen, in deren Folge es zu Überflutungen kommen kann.
Laut einer Prognos-Studie im Auftrag des Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium (BMWK) beliefen sich die durch Extremwetterereignisse zwischen 2000 und 2021 verursachten Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen oder Ertragsverluste in Forst- und Landwirtschaft sowie indirekten Schäden wie verringerte Arbeitsproduktivität auf 145 Milliarden Euro. Bis 2050 könnten die Kosten, je nach Verlauf des Klimawandels, auf das Zwei- bis Sechsfache steigen. Würden naturnahe Lebensräume auf versiegelten Flächen geschaffen, könnte das die lokale Artenvielfalt fördern. Die dadurch entstehende größere Biodiversität trüge wiederum dazu bei, das Risiko von Naturkatastrophen wie Überflutungen zu verringern. Zugleich wäre das ein Beitrag zum Klimaschutz, weil Pflanzen CO2 absorbieren und dadurch Treibhausgase reduzieren.
Bäume als natürliche Klimaanlage
In Wörth am Rhein ist Extremhitze im Sommer nicht bloß ein vorübergehendes Wetterphänomen. Anhaltend hohe Temperaturen über 30 Grad Celsius sind in der knapp 20.000 Einwohner zählenden Kleinstadt umweit der Landesgrenze Rheinland-Pfalz zu Baden-Württemberg zwischen Juni und August aufgrund des Klimawandels längst die Regel: Hitze ist aber nicht das einzige Wetterextrem, auf das man sich dort einstellt. Auch Starkregen und Trockenperioden sind zu bewältigen. Um das Mikroklima zu verbessern, setzt die Stadt unter anderem auf die Begrünung von Dächern, Fassaden und Vorgärten1. Überdies wird im Rathaus überlegt, bei Neubauten standardmäßig Dachbegrünung einzuführen. Ergänzend dazu bietet sich eine klimagerechte Bepflanzung von Frei- und Brachflächen an, um den städtischen Hitzeinsel-Effekt – auch Urban Heat Island (UHI) Effect genannt – zu reduzieren. Laut einer Analyse der Universität Boston hängt die Entstehung von Wärmeinseln in Städten vor allem von der vorhandenen Vegetation und Bodenfeuchte ab: Je mehr Wasser, Pflanzen und unversiegelte Bodenfläche es gibt, umso mehr Verdunstung und folglich Verdunstungskälte entstehen.2
Das Grünprojekt der Wohnbau Wörth
Unlängst investierte die kommunale Wohnbau Wörth, die mit 850 bewirtschafteten Mietwohnungen die größte Wohnraumversorgerin der Stadt ist, in die Begrünung der Brachfläche vor ihrer Wohnsiedlung in der Richard-Wagner-Straße. Das rund 2.000 Quadratmeter große Gelände, auf dessen vertrockneter Wiese ein Sandkasten und ein in die Jahre gekommenes Schaukelgerüst standen, bekam im Frühjahr 2023 eine Generalüberholung nach Plänen von RAIBLE Landschaftsarchitekten + Ingenieure AKRP in Mainz: Die bisher ebenerdige Fläche wurde zu einer Hügellandschaft modelliert und mit 21 jungen Bäumen (jeweils sieben Exemplare der Sorte Amber, Bergkirsche und Feldahorn) bestückt, die durch ihr Kronendach zukünftig nicht nur Schatten spenden, sondern auch die Luft abkühlen. Eine Studie der ETH Zürich ergab nach dem Vergleich der Oberflächentemperaturen von Grünzonen mit und ohne Bäumen in 293 europäischen Städten, dass baumbestandene Gebiete im Sommer durchschnittlich um elf Grad Celsius kühler sind als baumlose3. Der Abkühlungseffekt dürfte demnach auf der neugestalteten Freifläche mit zunehmender Baumgröße und wachsendem Blätterwerk noch spürbarer werden.
Treffpunkt für Groß und Klein
Zur Gebäudeseite fassen Fliedersträucher das Areal ein. Straßenseitig sorgen sonnenverträgliche Pflanzen wie Mönchspfeffer, Hibiskus, das großkelchige Johanniskraut, Schneeball sowie Pfeifen- und Erdbeersträucher für Duft und Farbe und bieten ohnedrein Lebensraum für Vögel und Insekten. „Um die Pflege kümmert sich unser Grünteam”, sagt Petra Pfeiffer, Geschäftsführerin der Wohnbau Wörth, die von dem Konzept und der Zusammenarbeit mit den Landschaftsarchitekten begeistert ist. Das Highlight sind drei unterschiedlich gestaltete Zonen, die zum Mitmachen einladen: Der Bereich „Spielen” ist für kleinere Kinder gedacht, für die es neben diversen Spielgeräten auch einen neuen Sandkasten mit Backtisch gibt. In der „Ballspiel”-Zone, die wie eine Arena gebaut ist, kann nach Herzenslust gekickt werden. Gelegenheiten zum Verweilen und Plauschen bietet die mittlere Fläche mit einigen Tisch-Sitz-Kombinationen.
Blaupause für naturnahe Wohnquartiere
Rund 100 Kilometer nördlich von Wörth, im südhessischen Langen unweit von Frankfurt, schuf die Baugenossenschaft Langen zusammen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Wohnquartiers in der Elbestraße 11 bis 13 einen naturnahen Aufenthaltsort mit Pioniercharakter. Auf rund1.000 Quadratmetern entstand der im Frühjahr 2023 eingeweihte “Floripark”, der eine triste Rasenfläche zwischen drei Bestandsgebäuden in eine blühende Gartenlandschaft verwandelt. Bei einer gemeinsamen Pflanzaktion kamen rund 11.000 heimische Blumenzwiebeln, Knollen, Stauden und Pflanzen in die Erde und über ein Kilo Wildblumensamen wurden ausgesäht. „Um die Artenvielfalt zu fördern, haben wir überwiegend heimische Pflanzen gewählt, die auch mit längeren Trockenphasen gut zurechtkommen und den häufig sehr spezialisierten Wildbienen und Insekten als Nahrungsquelle und Nistplätze dienen”, sagte Wolf-Bodo Friers, Vorstandsvorsitzender der Baugenossenschaft anlässlich der Einweihung.
Neben den bereits vorhandenen Felsenbirnen blieb die Schaukel erhalten, die jetzt einige Meter versetzt steht. Überdies gesellten sich zu den drei Bänken weitere Sitzgelegenheiten hinzu, Den Entwurf des Parks, in den die Baugenossenschaft 120.000 Euro aus Eigenmitteln investierte, lieferte die Naturgartenplanerin Eva Distler, die schon zahlreiche Frei- und Brachflächen in den Stadtgebieten umliegender Landkreise durch Bepflanzung aufwertete. Die Gestaltung übernahm der Garten- und Landschaftsbauer Jürgen Schmidt. Ebenfalls von Beginn an war der NABU Langen-Egelsbach mit eingebunden.
Parkkonzept verbessert Klima und soziales Miteinander
Bei der Umsetzung ließ sich die Baugenossenschaft vom Konzept sogenannter „PikoParks”4 inspirieren. Dahinter steckt die Idee, mittels naturnah gestalteter und gepflegter Freiflächen in Wohnquartieren einen Treffpunkt zu schaffen, wo Menschen durch gemeinsames Gärtnern miteinander ins Gespräch kommen. Zugleich soll die klimagerecht bepflanzte Fläche dem urbanen Hitzeinseleffekt entgegenwirken. „Durch den Floripark sorgen wir für eine Abkühlung in der Nacht und für schattige Aufenthaltsplätze am Tag”, so Friers.
Landauf, landab leiden die Menschen unter zunehmender Hitze. 2018 etwa gab es der Broschüre „Extreme Wetterereignisse in Hessen” zufolge zwischen Ende Juli und Anfang August 17 Tage mit Temperaturen über 30 Grad Celsius, an acht Tagen davon stieg das Thermometer sogar auf mehr als 35 Grad Celsius.5 Auch Mitte September und Oktober wurden neue Hitzerekorde gemessen. Gleichzeitig steigt das Risiko von Starkniederschlägen, die schlimmstenfalls zu Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen (Straßen, Schienen, Stromleitungen, etc.) führen, die zu beheben erhebliche Kosten veursacht.
Tools zum Messen von Umweltwirkungen
Je mehr Relevanz biodiversitätsfördernde Maßnahmen im Zuge von Klimaanpassungsaktivitäten bekommen, desto wichtiger werden valide Daten über die dadurch erzielten Umweltwirkungen, auch „Ökosystemleistungen“ genannt. Hier ist vieles erst in den Anfängen. „Einerseits fehlen einheitliche Methoden, andererseits vergehen mitunter Jahre bis Ergebnisse messbar sind”, erklärt Malte Glatthaar, Geschäftsführer der auf CSR-Dienstleistungen für Immobilienunternehmen mit dem Schwerpunkt Biodiversität spezialisierten Berliner Firma Swarmlab. Überdies ist der Einsatz innovativer Technologien wie Sensorik und Künstliche Intelligenz (KI), der das Messen und Analysieren vereinfachen würde, noch in der Erprobung.
Der börsennotierte Wohnungsentwickler Instone nutzt den seit 2023 verfügbaren Biodiversitätsrisikofilter (BRF) der Umweltschutzorganisation WWF. „Das Tool unterstützt uns bei der Erfassung und Bewertung von Risiken in Verbindung mit biologischer Vielfalt auf Objektebene. Auf dieser Grundlage leiten wir Vermeidungsmaßnahmen ab, die in den Planungsprozess integriert werden“, erklärt Hannah-Kathrin Viergutz, Senior Referentin Nachhaltigkeit bei Instone.
Volkswagen Immobilien will ebenfalls den Grad und Umfang der seit 2022 von einem Biologen begleiteten Biodiversitätsprojekte in seinen Quartieren mit rund 9.500 Wohnungen messen und beabsichtigt, dafür ein System zu entwickeln. Gemeinsam mit der Heinz-Sielmann-Stiftung konzipierte das Tochterunternehmen der Volkswagen AG vor etwa zwei Jahren Biodiversitätsleitziele, die die biologische Artenvielfalt an Gebäuden und Außenflächen erhalten und fördern. Beispielsweise werden explizit Bienenwiesen auf Grundstücken umgesetzt und Vögelnistkästen aufgestellt. Überdies wandelte das unternehmenseigene Gärtner-Team insgesamt rund 1.500 Quadratmeter betonierte Wäscheplätze in Biotopflächen um. „Eine fachgerechte Grünpflege, die das Belassen ‚wilder Ecken’ und den Verzicht auf Pestizide vorgibt, sichert den Fortbestand“, berichtet Pressesprecher Tobias Fruh. Ferner sei geplant, die vorhandene Infrastruktur von Quartieren, soweit bautechnisch und -rechtlich möglich, für eine optimierte Regenentwässerung inklusive -versickerung vor Ort zu nutzen.
Die Beispiele zeigen: Vorreiter gibt es in der Wohnungswirtschaft, die sich mit Biodiversität beschäftigen. Was fehlt, sind standardisierte Verfahren, mit denen Wohnungsunternehmen die Wirkungen durchgeführter Maßnahmen messen und belegen können.
Literaturhinweise
Dagmar Hotze
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