Wohnungen vergeben für einen guten Zweck

Housing First: ein Weg aus der Obdachlosigkeit

In zahlenreichen Städten vermitteln Träger der freien Wohlfahrtspflege sowie Initiativen und Vereine obdachlose Menschen nach dem Housing First-Konzept in langfristige Mietverträge. Die IVV-Redaktion hat die Berliner ZIK - zuhause im Kiez gGmbH gebeten, Stimmen von Nutzern und Vermietern einzusammeln.

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Eine Parkbank ist nicht die Grundlage zur Lösung psychosozialer Probleme. Der erste Schritt zurück in die Gesellschaft ist ein sicheres Zuhause. Bild: Adobestock/ Belish
Eine Parkbank ist nicht die Grundlage zur Lösung psychosozialer Probleme. Der erste Schritt zurück in die Gesellschaft ist ein sicheres Zuhause. Bild: Adobestock/ Belish

Housing First ist ein Ansatz in der Sozialpolitik, der wohnungslosen Menschen vor allen anderen Unterstützungsleistungen zuerst eine eigene Wohnung anbietet – und zwar mit Mietvertrag und ohne Vorbedingungen. Die Idee: Ein sicheres Zuhause soll ihnen helfen, eine besonders schwierige Lebenslage wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder eine längere Erkrankung zu bewältigen. Ziel ist die langfristige Wohnstabilität. Das Konzept stammt aus der US-amerikanischen Sozialpolitik und wird auch in Deutschland seit einiger Zeit praktiziert.

Empirische Erkenntnisse aus Deutschland, Europa und Nordamerika deuten darauf hin, dass der Housing First-Ansatz erfolgreich ist. In Deutschland existiert inzwischen ein Bundesverband Housing First. Mitglieder sind 32 Initiativen in Berlin, Bremen, Düsseldorf, Frankfurt, Freiburg, Gießen, Hamburg, Koblenz, Köln, Leipzig, Nürnberg, Saarbrücken, Stuttgart und Würzburg.

Betroffene müssen ihre „Wohnfähigkeit“ nicht beweisen

Das Housing First-Konzept beendet Wohnungslosigkeit unmittelbar und bietet flexible wohnbegleitende Hilfen zum dauerhaften Wohnungserhalt an. Regulärer Wohnraum wird an erste Stelle gerückt – ein entscheidender Unterschied zum derzeit meist praktizierten System. Darin müssen Betroffene oft ihre „Wohnfähigkeit“ zunächst unter Beweis stellen: Unterkünfte und Trainingswohnungen müssen durchlaufen werden. Oftmals ist die Zurverfügungstellung von Wohnraum an die Erfüllung von Auflagen und Wohlverhalten gekoppelt. Der Aufstieg in ein normales Mietverhältnis scheitert häufig an nicht vorhandenen Wohnungen auf dem Markt und so droht die erneute Wohnungslosigkeit: Ein „Drehtür-Effekt“ stellt sich ein. Auch sind solche Wohnraumformen häufig zeitlich befristet.

Housing First hingegen bedeutet: Es besteht von Anfang an ein normales, unbefristetes Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten. Wohnbegleitende Hilfen werden aktiv angeboten: Betroffene werden dazu ermutigt, Probleme mit Unterstützung anzugehen, aber nicht dazu verpflichtet.

Der erste Schritt zurück in die Gesellschaft ist ein sicheres Zuhause.

Housing First setzt sich zum Ziel, die Wohnungslosigkeit von Menschen durch den Abschluss eines eigenen Mietvertrages für eine menschenwürdige Wohnung sowie mit einer sozialpädagogischen Begleitung zu beenden. Der erste Schritt zurück in die Gesellschaft ist ein sicheres Zuhause. Auf dieser Grundlage lassen sich das eigene Leben und die individuelle Zukunft verantwortungsvoll gestalten. Die neuen Mieter können sich der kontinuierlichen, individuellen Betreuung durch Sozialarbeiter und weiterer Hilfsangebote sicher sein, bis sich ihre Wohnsituation stabilisiert hat. Verkürzt und vereinfacht ließe sich dieses Konzept der längerfristigen sozialen Betreuung und Begleitung überschreiben mit dem Satz: Eine eigene Wohnung ist nicht alles, aber ohne eigene Wohnung ist alles nichts.

Sechs Housing First-Initiativen arbeiten in Berlin

In der Hauptstadt suchen seit 2018 die Neue Chance gGmbH zusammen mit der Berliner Stadtmission Wohnungen für alleinstehende Erwachsene, die bereits langjährig obdachlos sind und der Sozialdienst katholischer Frauen e.V. widmet sich der Zielgruppe alleinstehender Frauen. Seit 2023 kamen vier neue Initiativen hinzu: Die Schwulenberatung Berlin gGmbH arbeitet mit queeren Personen zusammen, ZIK - zuhause im Kiez gGmbH betreut chronisch erkrankte Personen, Phinove e.V. setzt den Fokus auf Familien der Europäischen Union und My Way Soziale Dienste gGmbH berät Menschen die durch eine psychische Erkrankung oder Sucht benachteiligt sind.

Ein Blick auf diese Projekte zeigt die Wirkung des Konzepts und seine Chancen für die Zukunft. Auch bei diesen Angeboten gilt der einfache Ansatz von Housing First: Wohnungs- bzw. obdachlose Menschen mit verschiedenen Problemlagen in sicheren und bedarfsgerechten Wohnraum bringen. Die Finanzierung der sozialen Projekte erfolgt dabei über den Berliner Senat.

Mit der Erweiterung der Housing-First-Angebote im Jahr 2023 können noch mehr obdach- bzw. wohnungslose Menschen in Wohnraum vermitteln werden. Die neuen Angebote richten sich an spezifische Zielgruppen, etwa chronisch erkrankte Menschen oder Familien aus der Europäischen Union. Laut einer bundesweiten Erhebung Ende Januar 2022 wurden alleine in Berlin etwa 26.000 untergebrachte wohnungslose Menschen erfasst. Nicht in der Statistik erhoben sind auf der Straße und „verdeckt“ obdachlos lebende Menschen. Angesichts dieser Tatsache gilt der Housing First-Ansatz als vielversprechende Alternative zur traditionellen Obdachlosenhilfe.

Das Angebot der ZIK – Zuhause im Kiez gGmbH

Eines dieser Angebote ist Housing First ZIK. Es berät und begleitet chronisch erkrankte Menschen und setzt somit die Vision des Berliner Senates um: Obdachlosigkeit in der Hauptstadt zu reduzieren und den Menschen nicht nur eine vorrübergehende Lösung, sondern ein dauerhaftes Zuhause und eine neue Perspektive zu bieten. Das Team von Housing First ZIK vermittelt dabei nicht nur Wohnraum, sondern legt den Fokus auf eine umfassende soziale Unterstützung, die zeitlich unbefristet ist. Durch den Zugang zu einer eigenen Wohnung gewinnen die Nutzer Stabilität und Sicherheit zurück. Die bedarfsorientierte Begleitung schafft den Raum, den die Betroffenen benötigen, um ihr Leben wieder selbstbestimmt auszurichten.

Vermieter erhalten mit dem Ansatz ein Rundum-Sorglos-Paket

Der Ansatz von Housing First bietet nicht nur obdachlosen Menschen die Chance auf ein stabiles Leben, sondern eröffnet auch Vermietern die Möglichkeit, einen sozialen Beitrag zu leisten und gleichzeitig von verschiedenen Vorteilen zu profitieren. Housing First ZIK bietet neuen Vermietern etwa Folgendes:

Kennenlernphase: Bevor eine Person in das Housing First-Angebot aufgenommen wird, gibt es eine ausführliche Kennenlernphase, in der die Bedingungen für eine zukünftige Zusammenarbeit klar definiert werden.

Direkte Ansprechperson im Housing First-Team: Vermieter haben immer eine zuständige Ansprechperson, die bei Problemen oder Anliegen aktiv unterstützt.

Gesicherte Übernahme der Mietkosten: Das Housing First-Team begleitet den Prozess der Kostenübernahme aller Mietkosten und stellt einen strukturierten Ablauf mit den zuständigen Ämtern sicher.

Durchführung von Renovierungsarbeiten: Im Team steht ein Hauswirtschafter zur Verfügung, der bei Bedarf fachgerecht Renovierungsarbeiten in der vermittelten Wohnung durchführen kann.

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Stimmen von Mietern und Vermietern

  1. Die folgenden Berichte liefern Einblicke in die Auswirkungen des Programms auf das Leben der Beteiligten und verdeutlichen die wichtige Funktion der Zusammenarbeit für die Überwindung von Wohnungsnot:

„Unfassbar, wie schnell ich mit der Unterstützung von My Way, trotz der aktuell schwierigen Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt, eine eigene Wohnung gefunden habe. Die Gewissheit, jederzeit auf die Unterstützung des Housing-First-Teams von My Way zurückgreifen zu können, gibt mir unheimlich viel Sicherheit und motiviert mich, meinen aktuellen Weg weiterzugehen“, sagt Dirk B. aus dem Housing First-Angebot von My Way. Für viele Menschen bedeutet der Weg aus der Obdachlosigkeit einen Neustart, der nur durch die Unterstützung von engagierten Vermietern möglich wird. „Wir schätzen die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Housing First-Projekten sehr und haben schon vielen Menschen in Berlin und deutschlandweit ein neues Zuhause geben können. Die eigenen vier Wände markieren für Herrn Dirk B. die Chance auf einen echten Neuanfang. Wir freuen uns, ihn als Mieter zu haben,“ erzählt Thomas Wesche, Vonovia Regionalbereichsleiter Berlin Mitte.

„Ich fühle mich gut. Ich habe eine für mich ausreichend große Wohnung gefunden und habe sogar ein zweites Zimmer und einen Balkon, den ich mit Blumen bestückt habe“, berichtet Herr M., Nutzer des Angebots von Housing First ZIK. Die Wohnsituation im Bezirk Pankow gibt ihm ein neues Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit: „Ich bin froh, dass ich hier bin. Endlich fühle ich mich wieder sicher und wie ein Mensch.“

„Im Frühjahr hatten wir zum ersten Mal Kontakt mit Housing First, als eine kleine 1,5-Zimmerwohnung inseriert war. Bereits bei der Vorstellung und dem professionellen Nachfassen war ich sehr beeindruckt. Der Einsatz und das freundliche Auftreten des Teams sowie die klare Vorstellung davon, wofür Housing First steht, haben uns überzeugt, dass wir hier unterstützen wollen“, sagt Kathrin Morali, Assistenz der Geschäftsführung bei Kurth Immobilien. „Rückblickend auf fünf Monate Mietzeit sind wir sehr zufrieden. Die Schnittstelle zwischen Housing First und Kurth Immobilien war toll. Wir freuen uns, dass wir unterstützen konnten, und wünschen Herrn M. alles Gute für die Zukunft.“

„Diskriminierung im Wohnungsmarkt ist leider keine Seltenheit. Umso mehr freut es uns daher, Housing First Queer zu unterstützen und somit zum Erfolg der Initiative beizutragen“, sagt Dorit Brauns, stellvertretende Geschäftsführerin der HWS. Die Herausforderungen enden jedoch nicht mit der Wohnungssuche, wie Jo Hornung, Wohnraumakquise bei Housing First Queer der Schwulenberatung, betont: „Obwohl wir mit Housing First Queer einen wichtigen Schritt gegen Diskriminierung im Wohnungsmarkt unternehmen, kann es auch in der Nachbarschaft zu Vorurteilen und Konflikten kommen. Daher ist es entscheidend, dass Housing First Queer weiterhin aktiv vermittelt und unterstützt, um ein sicheres Zuhause für unsere Klienten zu schaffen.“

„Wir leben seit November 2023 in einer Housing First-Wohnung. Wir sind so zufrieden und glücklich darüber – und können es manchmal immer noch nicht glauben“, sagt eine Nutzerin des Housing-First-Angebotes für Familien der Europäischen Union von Phinove. „Nachdem wir die Chance bekamen, in dieser neuen Wohnung zu leben, hatte ich die Befürchtung, dass Phinove meine Familie nicht mehr betreut. Doch wir werden weiterhin unterstützt. Ich schätze vor allem die Hilfe in bürokratischen Angelegenheiten. Viele Menschen und einige meiner Bekannten, leiden in Deutschland darunter.“ Markus Deml, Niederlassungsleiter der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH, lobt die Zusammenarbeit mit Phinove e.V. im Rahmen des Housing First-Projekts Nos Domum: „Das Housing-First-Projekt Nos Domum stellt einen wegweisenden Ansatz zur langfristigen Lösung von Obdachlosigkeit dar. In der Zusammenarbeit mit Phinove e.V. haben wir als Vermieter durchweg positive Erfahrungen gemacht: Ihre fundierte Expertise in der Unterstützung wohnungsloser Menschen und ihr professionelles, partnerschaftliches Handeln gegenüber Vermietern schaffen eine vertrauensvolle und erfolgreiche Kooperation.“

Neustart und sichere Mieteinnahmen

Das Housing-First-Modell zeigt eindrucksvoll, wie es gelingen kann, Menschen in schwierigen Lebenssituationen und Vermieter zusammenbringen und dabei beiden Seiten Vorteile zu bieten. Menschen, die von Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit betroffen sind, erhalten durch eine eigene Wohnung die Chance auf einen Neustart, während Vermieter von verlässlichen Mietzahlungen und einer direkten Ansprechperson im jeweiligen Angebot profitieren. Housing First beweist, dass Wohnungslosigkeit dauerhaft reduziert werden kann, wenn der Fokus auf langfristige Lösungen und Partnerschaft gelegt wird.

Links zu den Webseiten der einzelnen Berliner Projekte sind über die Seite der Berliner Senatsverwaltung abrufbar.

Ko-Autor: Thomas Engelbrecht

Wohnungsangebote für Housing First

Berliner Immobilienbesitzer, die Housing First Wohnraum für die langfristige Vermietung anbieten möchten, wenden sich an die ZIK gGmbH, Tel.: 030-55 443 2422; E-Mail: tim.kirchner@zik-ggmbh.de; www.housingfirst-zik.de

150.000 Euro Förderung von der Bundesregierung

Die Bundesregierung hatte im April 2024 den Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit beschlossen. Daraufhin erhielt der Bundesverband Housing First nach einem Beschluss des Deutschen Bundestages einen Förderbescheid über knapp 150.000 Euro für das Jahr 2024. Ziel der Förderung sei es, den in den USA und Europa sowie zahlreichen deutschen Kommunen und Ländern erfolgversprechend erprobten Housing First-Ansatz weiter zu stärken. Der Bundesverband Housing First nutzt das Fördergeld für die Entwicklung von Webinaren, ein Fortbildungsprogramm sowie eine Wissensplattform. Das Angebot richtet sich an Experten in den Ländern, Kommunen und der Wohnungsnotfallhilfe und soll das Wissen, wie die Obdach- und Wohnungslosigkeit mit dem Housing First Ansatz besser vermieden werden kann, verbreiten.

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) erklärte damals: „Mit dem Housing First-Ansatz wird insbesondere jenen Menschen geholfen, die bereits sehr lange ohne Wohnung leben müssen und kaum eine Chance auf dem regulären Wohnungsmarkt haben.“

Wir schätzen die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Housing First-Projekten sehr und haben schon vielen Menschen ein neues Zuhause geben können.

Thomas Wesche

Vonovia Regionalbereichsleiter Berlin Mitte

Der Einsatz und das freundliche Auftreten des Teams haben uns überzeugt, dass wir hier unterstützen wollen.

Kathrin Morali

Assistenz der Geschäftsführung bei Kurth Immobilien

Diskriminierung im Wohnungsmarkt ist leider keine Seltenheit. Umso mehr freut es uns, Housing First Queer zu unterstützen.

Dorit Brauns

stellvertretende Geschäftsführerin der HWS

Tim Kirchner

Tim Kirchner
Wohnraumakquise ZIK gGmbH
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Artikel Housing First: ein Weg aus der Obdachlosigkeit
Seite 20 bis 22
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