5. IVV-Roundtable im Livestream

Klimaneutralität über den Hebel des Energiecontracting?

Unter dem Motto „Debatten mit Durchblick – Wohnungswirtschaft auf den Punkt“ veranstaltet die Redaktion den IVV-Roundtable. Wie geht gutes Bauen und Bewirtschaften? Diese Fragen diskutiert Chefredakteur Thomas Engelbrecht mit klugen Köpfen aus Wohnungswirtschaft und Industrie. Sie, liebe Leserinnen und Leser, können dabei sein: www.ivv-magazin.de/round-table/contracting.

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Im IVV-Videostudio (v.li.): IVV-Chefredakteur Thomas Engelbrecht; Christian Lübcke, Leiter Einkauf und Partnermanagement, Deutsche Hausverwaltung Plus; Holger Suschowk, Geschäftsführer der Techem Solutions GmbH; Dave Welmert, Referent Klima- und Energiepolitik beim Verband für Energiedienstleistungen und Contracting (Vedec) sowie Dr. Ulrik Schlenz, Vorstandsmitglied der Wankendorfer Baugenossenschaft für Schleswig-Holstein. Bild: Huss-Medien GmbH
Im IVV-Videostudio (v.li.): IVV-Chefredakteur Thomas Engelbrecht; Christian Lübcke, Leiter Einkauf und Partnermanagement, Deutsche Hausverwaltung Plus; Holger Suschowk, Geschäftsführer der Techem Solutions GmbH; Dave Welmert, Referent Klima- und Energiepolitik beim Verband für Energiedienstleistungen und Contracting (Vedec) sowie Dr. Ulrik Schlenz, Vorstandsmitglied der Wankendorfer Baugenossenschaft für Schleswig-Holstein. Bild: Huss-Medien GmbH

Thomas Engelbrecht: Wie groß ist der Markt für Contracting-Dienstleistungen?

Dave Welmert: 2021 wuchs das Geschäft um knapp 11 Prozent auf 4,3 Milliarden Euro. Die Zahl der Verträge ist um 12 Prozent auf rund 75.000 gestiegen. Ich denke, dass ist ein starkes Signal für einen funktionierenden Markt und dass es möglich ist, gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft einen Beitrag zu Energiewende zu leisten. Seit den 1990er-Jahren ist die Wohnungswirtschaft die Hauptkundengruppe im Bereich dezentraler Energiedienstleistungen. 2021 hatte sie einen Anteil von 51 Prozent am Gesamtgeschäft.

Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 setzten 40 Prozent der gewerblichen Vermieter bei der Wärmeversorgung auf Contracting-Modelle. Was besagen die aktuellen Marktdaten von Techem Solutions?

Holger Suschowk: Das deckt sich mit unseren Zahlen, was ja nicht heißt, dass 40 Prozent der Kunden alles ins Contracting geben, sondern von Fall zu Fall von dieser Dienstleistung Gebrauch machen.

Wie wirken sich die Explosion der Energiepreise und der verschärfte Klimaschutz auf Ihr Contracting-Geschäft aus?

Holger Suschowk: Der Contracting-Markt ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen, in der Wohnungswirtschaft mit sechs Prozent. Wir sehen eine gesteigerte Nachfrage, weil die Verunsicherung unser Kunden durch den Energiepreisanstieg zugenommen hat. Die Frage der Bezahlbarkeit von Energie spielt eine ganz wesentliche Rolle. Das sorgt natürlich für einen bewussteren Umgang mit Energiedienstleistungen.

Ist es tatsächlich so, dass Wohnungseigentümergemeinschaften über das Contracting ohne eigene Investitionen zu neuen Heizungsanlagen kommen?

Christian Lübcke: Uns liegen Angebot über Teil- und Vollcontracting vor und die Eigentümergemeinschaften zahlen beim Vollcontracting nichts dazu.

Die Wankendorfer Wohnungsbaugenossenschaft hat bereits vor sieben Jahren eine eigene Contracting-Tochter, ein Jointventure-Unternehmen, mit der Getec Wärme & Effizienz GmbH gegründet. Was waren die Gründe?

Dr. Ulrik Schlenz: Das war ganz klar die Optimierung unserer Technik zur Wärmeerzeugung mit einem Profi. Wir haben festgestellt, dass wir dieses Know-how nicht ausreichend im Unternehmen haben. Andererseits wollten wir die mit der Wärmewende verbundenen Aufgaben nicht gänzlich aus der Hand geben.

Was waren die ersten Aufgaben für Ihre Contracting-Tochter?

Dr. Ulrik Schlenz: Wir haben zunächst alte Ölbrenner gegen moderne Gasbrennwerttechnik ausgetauscht. Im weiteren Verlauf haben wir einen Klimapfad vorgezeichnet und für alle Gebäude Simulationen durchgeführt, wie wir bis 2045 klimaneutral werden können. Wir haben lange Zeit gebraucht, um ein aussagekräftiges Monitoring für den Gesamtbestand aufzubauen, aber unsere Erwartungen für die Reduktion des CO2-Ausstoßes haben sich deutlich erfüllt. Wir sind gestartet mit einem CO2-Austoß von deutlich über 30 Kilogramm pro Quadratmeter, im letzten Jahr vor Corona waren wir bei 28 Kilogramm, das ist ein Rückgang von sechs bis sieben Prozent. Damit sind wir sehr zufrieden.

Wie wirkt sich die Contracting-Tochter bilanziell auf die Genossenschaft aus?

Dr. Ulrik Schlenz:Die Genossenschaft ist bilanziell unmittelbar entlastet, da wir das Anlagevermögen für Heizungen nicht finanzieren müssen. Investitionen und laufenden Aufwendungen finden im Jointventure statt. Das verschafft der Genossenschaft Spielräume für das Kerngeschäft.

Wie wird sich das Gebäudeenergiegesetz in seiner jetzt geplanten Form auf Ihren Klimapfad auswirken?

Dr. Ulrik Schlenz:Wir hatten 2016 etwa 150 Ölheizungen, davon sind heute noch etwa 50 in Betrieb. Unser Pfad sah den Austausch der Ölanlagen durch deutlich effizientere Gasbrennwertkessel vor. Die verbliebenen Ölheizungen müssten wir nach neuem GEG mit deutlich höherem Investitionsaufwand sanieren und dieses Geld fehlte uns natürlich für die Pflege des Gebäudebestands. Unser Klimapfad wird durch das geplante GEG deutlich konterkariert. Wir hätten auch weiterhin im Bestand Gasheizungen verbaut und im Neubau natürlich auch Wärmepumpen und bis 2045 im Gesamtbestand klimafreundlich zu sein. Dieser Technikmix wird uns durch die GEG-Reform aus der Hand genommen. Das wird nochmal teurer. Wir werden unseren Mietern sagen müssen, dass das Wohnen teurer wird.

Klimaschutz kostet. Sehen Sie sich als Contractor in der Lage, Ihren Kunden entsprechende Anlagen zu bieten und diese selbst zu finanzieren?

Holger Suschowk: Ja. Wir richten unser Geschäft zu 100 Prozent auf grüne Lösungen, sowohl im Neubau als auch in Bestandsgebäuden.

Laut Wärmelieferverordnung darf die Umstellung der Heizungstechnik für Mieter nicht zu Kostensteigerungen führen. Ist mit diesem Limit die Wärmewende zu schaffen?

Dave Welmert: Das wird schwierig. Wir haben etwa 19,4 Millionen Bestandsgebäude, die umgerüstet werden müssten. Wir können das technisch, haben aber aufgrund des Gebots der Kostenneutralität ein wirtschaftliches Problem. Da wünschen wir uns vom Staat zum Beispiel Investitionskostenzuschüsse, um flächendeckend regenerative Energietechnik einsetzen zu können. Wir setzen uns für eine Novelle der Wärmelieferverordnung ein und immerhin hat das Bundeswirtschaftsministerium bereits anerkannt, dass das Energiecontracting ein geeignetes Instrument für die Energiewende ist.

Verhindert die Wärmelieferverordnung einen Boom für das Energiecontracting?

Dave Welmert: Das wird uns von unseren Mitgliedern berichtet, wenn Sie Bestandsprojekte angehen. Der Einsatz von hybrider Heiztechnik, von Wärmepumpen, ist teuer und lässt sich nicht unter dem Gebot der Kostenneutralität verwirklichen.

Herr Schlenz, wie werden Ihre Mieter auf die Ankündigung höherer Betriebskostenpauschalen reagieren?

Dr. Ulrik Schlenz: Die werden nicht erfreut sein. Auf der anderen Seite wird sich niemand am Thema vorbeistehlen können. Ich denke, es ist schon wichtig, dass sich die Verbände der Wohnungswirtschaft und der Industrie dafür einsetzen, dass die Heizkostenverordnung überarbeitet wird, damit auch Bestandsgebäude, die noch nicht angefasst wurden, in das Contracting überführt werden können.

Haben Ihre Mieter durch die Umstellung von Öl- auf Gasheizungen finanzielle Entlastungen erfahren?

Dr. Ulrik Schlenz: Das war für viele durchaus spürbar, natürlich immer überlagert durch warme oder kalte Winter oder die Zeit des Homeoffice.

Herr Lübcke, Sie haben als Hausverwalter selbst Erfahrungen sammeln können mit den Dienstleistungen von ontractoren.

Christian Lübcke: Das schöne ist, dass Contractingdienste praktisch geräuschlos laufen. Wenn es gut funktioniert, verschwindet der Contractor eigentlich vom Radar des Verwalters. Der Verwalter muss sich in Sachen Heizungsbetrieb um nichts mehr kümmern, nicht einmal um den Schornsteinfeger. Das ist eine echte Arbeitsentlastung für die Verwaltung. Und das schöne ist, in einer Contracting-Lösung wird mir das Kümmern um eine 65-Prozent-erneuerbare-Energie-Lösung abgenommen.

Was hätten Sie aktuell gerne von einem Contractor?

Christian Lübcke: Eine etwas niedrigere Einstiegshürde. Ich brauche mindestens 25.000 Liter Ölverbrauch oder 250.000 kWh Gas pro Jahr, um einen Einstieg ins Contracting zu finden. Kleinere Lösungen sind derzeit nicht wirtschaftlich. Mein Wunsch an die Contractingbranche wäre, bitte auch etwas kleinteiliger denken.

Herr Suschowk, ab welchem Energiebedarf ist ein Kunde für Sie interessant?

Holger Suschowk: Im Grunde ist jeder Kunde für uns interessant. Tatsächlich schließen wir nur Einfamilienhäuser aus. Das typische Contractingprojekt beginnt bei 100 Nutzeinheiten als Einstiegshürde. Ein großer Teil der Immobilien in Deutschland befindet sich unterhalb dieser Hürde. Wir bieten Modelle an, um diese Vielzahl von Immobilien aufnehmen zu können. Ehrlich gesagt, ist bei dieser Größe das einzelne Projekt nicht mehr wirtschaftlich, deshalb müssen wir über Portfolien nachdenken. 20 kleine Anlagen ergeben dann zusammengefasst eine große Anlage. Bei dieser Größe kommen die Vorteile des Contracting voll zum Tragen.

Kritiker mahnen Kunden, auf die Laufzeit der Verträge zu achten und sie fragen, was passiert nach Vertragsende mit den Energieanlagen?

Dave Welmert: Die Kritik ist unberechtigt, denn in der Regel werden die Verträge verlängert. Die durchschnittliche Laufzeit liegt bei zehn bis zwölf Jahren. Die Anlagen sind teuer und können sich bei kürzeren Laufzeiten nicht amortisieren.

Christian Lübcke: Die Verträge sollten so langfristig wie möglich laufen. Zehn bis 15 Jahre sind für alle Beteiligten eine gute Sache.

Wie sehen die technische Konzept aus, die Sie als Blaupausen für WEGs erarbeiten?

Christian Lübcke: Nehmen wir den Fall an, dass eine Gastherme erst vor wenigen Jahren erneuert wurde. Über das Contracting habe ich die Möglichkeit, diesen Gaskessel mit einer Wärmepumpe kombinieren zu lassen. Der Contractor investiert in die Wärmepumpe und sorgt für den effizienten Betrieb, die Gasheizung verbleibt im Besitz der WEG und springt nur bei Spitzenwärmelasten ein.

Herr Suschowk, würde Techem Solutions auf ein so geteiltes Modell einsteigen?

Holger Suschowk: Grundsätzlich ja und gerne. Die Contractingwelt ist ja facettenreich und sehr individuell. Ein solches Modell bieten wir unseren Kunden aktiv an.

Herr Schlenz, Sie müssen Ihren Klimapfad überarbeiten. Heißt das, dass Sie Investitionen in hybride Anlagen ausschließen?

Dr. Ulrik Schlenz: Nein, das will ich nicht völlig ausschließen. Wir brauchen eine andere technische Konzeption, über die wir bereits nachdenken. Nur stellen wir regelmäßig fest, dass die Investitionen höher ausfallen als ursprünglich gedacht. Und dann benötigen wir natürlich auch Geld für den Neubau von Gebäuden oder die Sanierung. Dieses Kapital müssen wir uns bei Banken leihen. Das bringt erhebliche Belastungen mit sich, daher müssen wir die Ausgestaltung unseres Klimapfades überdenken.

Und es fehlt derzeit eine Förderkulisse des Staates …

Dr. Ulrik Schlenz: Ja, aber in der Diskussion über Fördermittel müssen wir so ehrlich sein zu sagen, wir sind nicht die Einzigen, die bei Finanzminister Lindner um mehr Geld anklopfen. Es geht um realistische Rahmenbedingungen eines Anpassungspfades, den man nicht falsch deuten darf, wie es Teile der Politik im Moment tun.

Sie sagten mir im Vorgespräch, dass Sie auf Ihrem Klimapfad einen bunten Mix an Maßnahmen benötigen. Was verstehen Sie darunter?

Dr. Ulrik Schlenz: Der Mix reicht von gering-investiven Maßnahmen bis hin zu großen Investitionen. Wir brauchen den hydraulischen Abgleich ebenso wie smarte Messtechnik in den Wohnungen. Das ist auch der Nutzen der Zusammenarbeit mit Experten aus dem Wärmemarkt, dass wir alles auf den Prüfstand stellen können. Bei uns spielen 35 bis 40 Einzelkategorien eine Rolle, die Stück für Stück in den einzelnen Immobilien durchgeführt werden sollen, damit wir auf dem CO2-Reduktionspfad zum Ziel gelangen.

Wie hoch sind realisierte Einsparpotenziale in Bestandsimmobilien, die ins Contracting übernommen werden?

Holger Suschowk: Die Einsparungen beim Energieverbrauch und CO2-Ausstoß liegen zwischen fünf und 20 Prozent ohne die technische Transformation auf grüne Energieerzeugung. Über die Investitionen in grüne Technik kommen wir dann zum regenerativen Anteil von 65 Prozent.

ZITAT 1: Christian Lübcke, Deutsche Hausverwaltung Plus: "Mit Contracting wird dem Verwalter das Kümmern um eine 65-Prozent-erneuerbare-Energie-Lösung abgenommen."

ZITAT 2: Dr. Ulrik Schlenz, Wankendorfer eG: "Die erste Aufgabe unserer Contracting-Tochter war die Umstellung von Öl- auf Gasheizungen."

Thomas Engelbrecht

Thomas Engelbrecht
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Seite 12 bis 14
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