Können wir bauen und betreiben, ohne die Umwelt zu zerstören?
Der Bausektor verschlingt in Deutschland rund 60 Prozent der natürlichen Ressourcen und verursacht 50 Prozent des gesamten Abfalls. Wie kurzsichtig erscheint da eine klimapolitische Diskussion, die sich allein auf die Energieffizienz des Gebäudebetriebs konzentriert. Dabei ist die Senkung des Energieverbrauchs ohne Komfortverlust eine hochkomplexe Aufgabe, an der Immobilienbetreiber, Energiedienstleister und IT-Entwickler gemeinsam hart arbeiten. Hier konzeptionell draufsatteln und fordern: Ihr müsst aber auch die graue Energie in den Baustoffen und die Ressourcenverschwendung bedenken, dürfte die Ökonomen und Realisten in Rage versetzen, denn wer soll das alles bezahlen?
Diesen Zorn zieht sich die Redaktion gerne zu. In der IVV-Sonderausgabe, die einmal jährlich über die „Zukunft der Wohnungswirtschaft“ reflektiert, haben Idealismus und Visionen ihren festen Platz. Die eine oder andere Innovation aus teuren (und staatlich subventionierten) Leuchtturmprojekten hat die Chance, in die Breite des Marktes einzusickern.
Ein ökologisches Leuchtturmprojekt wird in der Hamburger Hafen-City entstehen (Bericht S. 6). Die Architekten konzipieren ein Gebäude als lebenden Organismus. Die „Ausscheidungen“ der Bewohner werden in den Stoffkreislauf zurückgeführt. Nicht allein, dass eine effiziente Haustechnik, Photovoltaik und der massive Einsatz des Baustoffes Holz die CO2-Bilanz verbessern. Darüber hinaus soll ein Wald und ein Gemüsegarten auf dem 750 Quadratmeter großen Dach Kohlendioxid binden und das Restaurant im Erdgeschoss mit frischen Lebensmitteln versorgen. Die Bewohner können organische Küchenabfälle in der hauseigenen Kompostieranlage entsorgen. Der Humus wird auf dem Dach unter Bäumen und Gemüsebeeten ausgebracht. Das in 54 Wohnungen anfallende Grauwasser wird nicht in die Kanalisation abgeleitet, sondern dient – nach biologischer Reinigung in einem Schwertlilien- und Binsensumpf – der Bewässerung des Dachwaldes. Klingt ein wenig romatisch, aber der Architekt hat eine klare Botschaft: „Der Gebäudesektor ist ein maßgeblicher Treiber der Umweltzerstörung, dabei ginge es auch ganz anders.“
Durchaus mit idealistischem Pathos werden auch die Pläne für das neue Stadtquartier auf dem Gelände des stillgelegten Flughafens Berlin-Tegel vorgestellt (Bericht S. 22). Nicht weniger als das weltweit größte Wohnquartier in Holzbauweise soll dort entstehen. Heimat für 5.000 Menschen, eine Stadt der kurzen Wege, grün und dörflich. Ein Quartier, in dem gewohnt, gelebt, gearbeitet, geforscht und eingekauft wird. Ein Quartier, das in Gewässern und Grünflächen Niederschläge wie ein Schwamm speichert, um sommerliche Klimaextreme abzumildern.
Auch mehr als 30 Jahre nachdem es erstmals formuliert worden ist, bleibt das Prinzip „Cradle-to-Cradle“ (von der Wiege zur Wiege) visionär. Die Visionäre nehmen sich die Natur zum Vorbild, um Produkte zu entwickeln, die entweder vollständig biologisch abbaubar sind oder immer wieder recycelt werden können. Eine gemeinnützige Organisation will zeigen, dass Gebäudesanierung ohne Müll realistisch ist (Bericht S. 50). Sie hat in Berlin ein 400 Quadratmeter großes Gewerbeobjekt kernsaniert, ohne Umweltschäden und Müll zu verursachen. Mit welchen Methoden und Materialien, das können Interessierte jetzt durch Besuche im Cradle-to-Cradle-Lab in Berlin anschaulich erfahren. Am Ende des Rundgangs durch das Labor gibt es Informationen zur Herstellung von Reycling-Beton. Ein wichtiges Thema wegen der großen Mengen an grauer Energie, die in diesem Baustoff stecken. Dass es beim Recycling von Beton ermutigende technische Fortschritte gibt, verrät unser Fachautorauf den Seiten 48 und 49.
Redaktion (allg.)
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