Too good to go: Gebäude als temporäre Rohstofflager
Rund 50 Prozent aller Rohstoffe werden in der Bau- und Immobilienwirtschaft eingesetzt und gleichzeitig 60 Prozent der bundesweiten Abfälle produziert. Dem wirkt das Konzept der Kreislaufwirtschaft entgegen – zirkulär statt linear lautet die Devise der angestrebten Transformation.
Um Ressourcen und CO2 einzusparen sowie die Wertschöpfung zu erhöhen, ist ein Umdenken gefragt: Eingesetzte Baumaterialien sollen lange und möglichst ohne Qualitätsverlust in geschlossenen technischen oder biologischen Kreiläufen geführt werden und nicht als Abfall enden“, so Felix Lüter, geschäftsführender Vorstand der Initiative Wohnen.2050 (IW.2050).
Das Prinzip der Circular Economy gilt hierbei als Modell der Zukunft – und erfährt zunehmend mehr Anwendung in der Praxis.
Zirkulär statt linear: erstes Recyclinghaus der NHW in Hessen
Schon früh legte die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) den Fokus auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Zirkuläres Wirtschaften zu forcieren, war daher eine logische Konsequenz dieser Strategie. Hessens größtes Wohnungsunternehmen schuf daher bereits 2022 im Rahmen eines Pilotprojekts das erste Recyclinghaus dieses Bundeslandes. Im hessischen Kelsterbach hat die NHW durch Aufstockung eines Bestandsgebäudes nicht nur rund 126 Quadratmeter zusätzlichen Wohnraum geschaffen. Im Zuge der Errichtung wurden 50 Prozent recycelte Materialien aus Baumaßnahmen eigener Projekte verwendet: Holzsparren für Holzrahmenbauwände, Fenster, Balkonverkleidungen, Dachabdichtungen und viele Bauteile mehr stammen aus Abriss- und Modernisierungsprojekten im gesamten Rhein-Main-Gebiet, die aus energetischer Sicht ertüchtigt werden mussten.
Allein für Holzbauteile Einsparung von 25.000 Euro
„Wir haben in Kelsterbach landesweit das erste Recycling-Objekt realisiert und haben auf diese Weise elf Tonnen CO2 und 50 Prozent Müll vermeiden können“, erläutert Robert Lotz, NHW-Fachbereichsleiter Modernisierung & Großinstandhaltung. So wurden etwa für die Ständer der Holzrahmen-Bauweise 30 Kubikmeter Holz aus Abbruchmaßnahmen genutzt. Das Anliefern, Lagern und Aufbereiten des Materials sei zwar zeitintensiv, dennoch wurden allein mit diesem Posten 25.000 Euro eingespart.
„Wir haben eine deutliche Lernkurve verzeichnet, da sich hier eine große Kostenersparnis erzielen lässt. Wir stehen zwar erst am Anfang, wenn wir jedoch die Abläufe weiter optimieren, rechnet sich diese Bauweise. In Kelsterbach lagen wir 88 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche unter den Kosten eines vergleichbaren Neubaus, obwohl wir nicht alle Potenziale ausgeschöpft haben. Auch waren hier noch höhere Kosten für eine vollständige Wärmepumpen-Versorgung und beispielsweise die Vorhangfassade enthalten. Wenn diese mit einer Gasversorgung oder einem herkömmlichen Wärmedämmverbundsystem egalisiert würden, lägen wir noch deutlich darunter“, fasst Lotz zusammen.
Weitere Vorhaben im Visier
„Für uns war es wichtig, dass die hier eingesetzten recycelten Baustoffe mit Gutachten oder durch Fachingenieur-Konzepte hinterlegt waren und so die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. In puncto Gewährleistung und Sicherheit gehen wir keine Kompromisse ein“, konstatiert NHW-Geschäftsführerin Monika Fontaine-Kretschmer. Das betraf auch Teile einer 500 Quadratmeter großen Dachfolie, die in Kelsterbach nach einer intensiven Inspektion erneut zum Einsatz kamen. Mit dieser Herangehensweise will die NHW einen möglichst hohen Anteil an wiederverwertbaren Materialien in allen Gewerken erreichen, Ressourcen schonen und Abfall verringern.
Im Zuge einer Modernisierungsmaßnahme startete 2023 noch eine weitere derartige Recycling-Aufstockung im südhessischen Mörfelden-Walldorf. Dank optimierter Abläufe bei der Sammlung und Zusammenführung von Recycling-Baustoffen von eigenen NHW-Baustellen sowie verbesserter Logistik und Lagerhaltung der Materialien kommen diese künftig – so die Planung – auch bei Neubauprojekten zum Einsatz.
Warum die Wiederverwertung an Bedeutung gewinnt
Doch warum wird erst jetzt eine Wiederverwendung von Materialien und Bauteilen in der wohnungswirtschaftlichen Praxis erprobt? Lotz erklärt: „Bisher hatten wir keine Lieferkettenprobleme. Material war ausreichend verfügbar, kostengünstig und das Thema graue Energie hat erst mit den hocheffizienten Gebäuden an Bedeutung gewonnen. Die betriebsbedingten Emissionen lassen sich in vielen Fällen nicht mehr signifikant senken – durch weniger Produktion, reduzierte Lieferwege und mehr Müllvermeidung aber schon.“
Den Lebenszyklus des Gebäudes im Blick
Kreislaufwirtschaft rückt in der Unternehmensgruppe immer mehr in den Fokus. Bereits seit Jahren führt sie mit Fachingenieuren eigene Materialstudien durch. Dabei wird auch der Aspekt der Recycling-Fähigkeit berücksichtigt, um den Cradle-to-Cradle-Ansatz direkt einzubinden. Schließlich ist die Auswahl der optimalen Baumaterialien unter der Prämisse Nachhaltigkeit äußerst komplex. „Hier kommt es darauf an, von Anfang an den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes im Blick zu behalten. Idealerweise wird bei der Errichtung die Rückbaufähigkeit gleich mit eingeplant, auf die Verwendung von sortenrein trennbaren Baustoffe geachtet.
Größtmögliche Homogenität in Bezug auf die eingebauten Materialien lautet hier die Devise, um qualitativ hochwertige Rezyklate zu generieren“, erläutert Fontaine-Kretschmer. „Denn auch im Hinblick auf die bereits realisierten und noch zu erwartenden Regularien wird die Recyclingfähigkeit von Produkten immer wichtiger – aktuell beispielsweise auch CSRD (Corporate Social Responsibility Directive) und die EU-Taxonomie betreffend.“ Auch hinsichtlich der Förderbedingungen im Rahmen des Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude (QNG) – unter Berücksichtigung grauer Emissionen – spiele wiederverwertbares Baumaterial eine zentrale Rolle.
Münchner Wohnen: Konzept der Kreislaufwirtschaft in Ramersdorf
Auch die Münchner Wohnen GmbH hat es sich zum Ziel gesetzt, klimaschonend zu wirtschaften. Die Wohnungsbaugesellschaft der bayerischen Landeshauptstadt – eine der größten kommunalen Wohnungsunternehmen Deutschlands – hat daher ein Kreislaufwirtschaftskonzept mit Handlungsfeldern erstellt.
Die Inhalte:
- kreislaufgerechtes Planen und Bauen nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip
- einfaches Planen und Bauen in der Konstruktion sowie in der Gebäudetechnik (Lowtech)
- Suffizienz-Ansätze (mehr Genügsamkeit) in der Planung mit der Minimierung der Wohnfläche pro Kopf sowie Modernisierung mit Nachverdichtung, Umbaukultur, Zwischennutzung und Leerstandmanagement
- Beteiligung der Mieterschaft während der Nutzung (z. B. Sharing Economy und lokale Wertstoffkreisläufe)
- alternative Geschäftsmodelle (z.B. Dienstleistungen rund um das wiederverwertete Produkt, Rücknahme-Systeme und Contracting-Modelle)
- Urban Mining und Recycling
Urban Mining: umfassendes Pilotprojekt
Um das Thema Urban Mining (die Stadt als Rohstoffquelle) voranzutreiben, startete die Münchner Wohnen ein Pilotprojekt in Ramersdorf. Im ersten Schritt wurde in Zusammenarbeit mit einem Beratungsbüro eine Inventarliste erstellt. Sie enthält alle Bauteile, die sich wiederverwenden lassen sowie die entsprechenden Nutzungsmöglichkeiten. Anschließend folgte eine Stoffstrom-Analyse – durch die umgestaltete Entsorgungspraxis nach dem Abbruch ändert sich der Stoffstrom der Bauteile. Eine Herausforderung hierbei sind mögliche Belastungen, wie beispielsweise die Lackierung des Holzes im Dachstuhl.
Erfolgreiches Weitervermitteln aufbereiteter Bauteile
Die aufbereiteten Baumaterialien vermittelten die Projektverantwortlichen schließlich an Interessierte – darunter Mitarbeitende der Münchner Wohnen, Privatpersonen, aber auch Bürgerinitiativen, Architekturbüros und Hersteller. So holte etwa ein Unternehmen Kunststofffenster direkt auf der Baustelle ab, um sie als Rohstoff für die Produktion von Rahmen für neue Fenster zu verwenden. Die Dachziegel wurden beim Bau eines Kindergartens genutzt. Diese Wiederverwendung vermeidet erhebliche CO2-Emissionen: Würden alle Dachziegeln des Projekts erneut genutzt, könnten Emissionen in Höhe von circa 76 Tonnen CO2-Äquivalenten eingespart werden. Das entspricht in etwa der Menge, die bei einer neunfachen Weltumrundung mit dem Auto entstehen würde oder von sieben Hektar Wald gebunden wird (Quelle: EPEA Part of Drees & Sommer, Bauteilkatalog für das Abbruchprojekt Ramersdorf). Auch kleine Bauteile wie Türen, Handläufe und Teile der Fußboden-Konstruktion werden dem Kreislauf wieder zugeführt. Darüber hinaus prüft das Münchner Wohnungsunternehmen derzeit die Umnutzung alter Mülleinhausungen aus Stahlbeton. Im Zuge eines partizipativen Bauprojektes gemeinsam mit den Bewohner:innen sollen diese aufgewertet und im Bestand aufgestellt werden. Als mögliche Nutzungsideen stehen ein Treffpunkt, eine Fahrradwerkstatt oder eine Fahrradüberdachung zur Diskussion.
Erleichterte Organisation für zukünftige Projekte
Aktuell sind die Abnehmer nach Rücksprache mit dem Abbruchunternehmen und nach Unterzeichnung einer Haftungsfreistellungserklärung selbst für den Rückbau der Bauteile verantwortlich.
Bei weiteren Projekte ist geplant, dass die Abbruchfirma die Demontage übernimmt und die Bauteile auf dem Grundstück bis zur Abholung für einen begrenzten Zeitraum lagert. Das erleichtert die Organisation des Rückbaus der wiederzuverwendenden Bauteile und Haftungsrisiken werden reduziert.
Münchner Wohnen wird Urban Mining strategisch mehr Gewicht geben
Die Erkenntnisse aus diesem ersten Pilot-projekt tragen dazu bei, Planungs- und Bauprozesse anzupassen. Dr. Doris Zoller, Geschäftsführerin (Vorsitzende) der Münchner Wohnen GmbH: „Kreislaufwirtschaft ist für uns als Münchner Wohnen wichtig, denn sie ist ein zentraler Baustein für mehr Nachhaltigkeit und eine lebenswerte Zukunft für alle. Sie spart Material, minimiert Abfall und bewahrt darüber hinaus auch die Geschichte unserer Gebäude.
Wenn sich die Prozesse weiterentwickelt haben, kann es langfristig auch ein wirtschaftlicher Vorteil für die Bauwirtschaft sein.“
Die Münchner Wohnen wird sich daher auch zukünftig verstärkt dem Thema Urban Mining widmen und den Prinzipien des zirkulären Bauens innerhalb ihrer Gesamtstrategie mehr Gewicht verleihen.
SERIE: Kreislaufwirtschaft
>> weiterlesen: Interview mit Nachhaltigkeits-Beraterin Dr. Alexa Lutzenberger: „58 Prozent aller Ressourcen sind in Städten verbaut“
Heike Schmitt
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