Wie können der Neubau und Eingriffe in Bestandsgebäude zukünftig nachhaltig und ressourcenschonend durchgeführt werden?
Auf was gilt es beim Wiederverwenden von Bauteilen aus Bestandsgebäuden besonders zu achten?
Ganz wesentlich für die Arbeit der Gruppe: der Erfahrungspool mit eigenen praktischen Beispielen aus ganz Deutschland, ebenso die Beiträge von Hochschulvertretern sowie Architektinnen, die sich das Thema Circular Economy auf die Fahne geschrieben haben.
Ein Eckpunktepapier für alle Partner der IW.2050 ist in Vorbereitung und soll bis November 2024 vorliegen
Um die Klimaziele im sozialen Wohnungsbau auch nur annähernd in der gesetzten Zeitspanne realisieren zu können, heißt es: Umdenken, neue Perspektiven einnehmen und bisher beschrittene Wege überdenken. Die Bau- und Immobilienwirtschaft steht vor einer umfassenden Transformation. Neue Ansätze sind gefragt, um Baumaterialien lange und möglichst ohne Qualitätsverlust in geschlossenen Kreisläufen zu führen und die Umweltbelastung beim Herstellen neuer Produkte zu reduzieren. Denn: Immerhin entfallen 40 Prozent der CO2-Emissionen weltweit auf den Bausektor. Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft – Circular Economy – gilt daher als Modell der Zukunft. Bauen, wie bisher erweist sich mit seinem immensen Ressourcenverbrauch und oftmals langen Transportwegen als extrem klimaschädlich. Zudem werden selbst alltägliche Baustoffe wie zum Beispiel Kies aufgrund erschöpfter Lagerstätten perspektivisch knapp und somit teurer.
NABU: Bausektor verursacht acht Prozent der Treibhausgase
Nach Angaben des Naturschutzbundes (NABU) werden allein bei der Herstellung von Baustoffen zur Errichtung und Modernisierung von Gebäuden etwa acht Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen produziert. Das entspricht etwa den CO2-Emissionen des durchschnittlichen jährlichen Flugverkehrs aller Deutschen, so der NABU. Besonders prekär: Neubauten verzeichnen bereits vor ihrer ersten Nutzung die Hälfte der CO2-Emissionen ihres gesamten Lebenszyklus.
Zirkulär statt linear
Der hohe Einsatz von Primärrohstoffen, plus Energieverbrauch, plus Abfallmengen, plus Flächenbedarf und Versiegelung beim Neubau – dem Gebäudesektor kommt sowohl in der Herstellungs- und Bau-, als auch in der Nutzungsphase eine tragende Rolle im Klimaschutz zu.
Um Ressourcen einzusparen und CO2 zu reduzieren, ist ein sorgsamer und nachhaltiger Einsatz unerlässlich und das Wiederverwenden von Baustoffen von zentraler Bedeutung. So sorgen etwa energieintensiv hergestellter Zement und Stahl für eine schlechte Klimabilanz der Immobilien. Laut Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gehören dazu auch die mineralischen Abfälle, die mit 200 Millionen Tonnen pro Jahr allein in Deutschland das mengenmäßig größte Müllaufkommen darstellen: Bauabfälle und industrielle Nebenprodukte aus Produktions- oder thermischen Prozessen. Die überwiegende Masse dieser Abfälle fällt allerdings bei Bau-, Rückbau- und Abbruchtätigkeiten an: Das sind vorrangig Boden, Steine, Bauschutt.
Zweites Leben für Materialien und Bauteile
Neben der Energie für das Heizen und Kühlen der Gebäude – hierzulande für rund ein Drittel des Energieverbrauchs verantwortlich – spielt auch Graue Energie bei der Planung eine zunehmend gewichtige Rolle. Kreislaufwirtschaft schafft hier ebenfalls Abhilfe. Materialien werden nach Abriss eines Gebäudes nach Bestandteilen voneinander getrennt und aufbereitet, zudem komplette Bauteile wiederverwendet. Sie bekommen ein zweites Leben dank Integration in neue Bauvorhaben, alternativ werden sie bei der Sanierung von Bestandsimmobilien genutzt. Durch einen derartigen Materialkreislauf werden Gebäude zum Rohstofflager für die Zukunft. Unterschieden wird dabei zwischen einem biologischen und einem technischen Kreislauf: Biologische Stoffe wie Holz wachsen nach und sind kompostierbar. In den technischen Kreislauf gelangen hingegen endliche – also nicht nachwachsende – Materialien, die durch Wiederverwendung oder Recycling als Sekundärrohstoffe erneut genutzt werden können – und das möglichst ohne Qualitätsverlust.
In Hessen werden 40 Prozent der mineralischen Abbruchabfälle wieder genutzt
Obwohl mineralische Ersatzbaustoffe zu einem großen Teil – wenn auch teilweise mit Qualitätsverlust – wiederverwertet werden könnten, werden derzeit beispielsweise in Hessen nur rund 40 Prozent der Bau- und Abbruchabfälle aufbereitet und wieder genutzt. Sie kommen dann beim Bau von Straßen, Bahnstrecken, Lärm- und Sichtschutzwällen oder auch im Hochbau als Beimischung im Recycling-Beton zum Einsatz. Angesichts der politisch geforderten verstärkten Wohnbauaktivitäten in Deutschland ist es daher unerlässlich, solche Entwicklungen zu fördern. Aufgrund weltweit gestörter Lieferketten sowie stark steigender Rohstoff- und Energiepreise sind die Kosten für Baustoffe rasant in die Höhe geschnellt und beginnen erst langsam, sich wieder zu stabilisieren. Wiederverwendetes und recyceltes Material stellt somit sowohl ökologisch als auch ökonomisch eine echte Alternative dar.
Kreislaufwirtschaft erhöht den Wert von Immobilien
Von der Planung und Errichtung über die Nutzung bis hin zum Abriss – der gesamte Lebenskreislauf eines Gebäudes sollte auf den Prüfstand. Nur so ist ein erster Schritt in Richtung Circular Building realisierbar. Und das gilt nicht mehr nur für Neubauten, sondern auch im Bestand. Besonders bei Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen sowie Abbrucharbeiten sind durch Kreislaufwirtschaft große Nachhaltigkeitseffekte zu erzielen. Für die sozial orientierte Wohnungswirtschaft eröffnen sich hier neue Perspektiven: Bestehende Gebäude werden nicht nur länger genutzt – durch nachhaltige Sanierung tragen sie erheblich dazu bei, das angestrebte Kleiner-1,5-Grad-Ziel in puncto Erderwärmung zu erreichen. Gleichzeitig erfahren sie eine Aufwertung, die für die Finanzplanung der Unternehmen in Zeiten von CSRD und ESG nicht unerheblich ist.
Über 40 IW.2050-Partner sind dabei
Das zirkuläre Wirtschaften steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Auf welche Art und Weise der Lebenskreislauf eines (Bestands-)Gebäudes in den einzelnen Partnerunternehmen zielführend und klimaschonend realisiert werden kann, versucht daher die Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) in ihrer aktuellen Pioniergruppe „Kreislaufwirtschaft“ zu erarbeiten. Moderiert vom Gruppenleiter Dipl. Ing. Joost Hartwig, ina Planungsgesellschaft mbH, Darmstadt, erfolgte der Auftakt im Rahmen des 4. Fachkongresses der IW.2050 im April 2024. Über 40 Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kongresses zeigten großes Interesse an diesem Thema und brachten ihr Know-how sowie erste Erfahrungswerte aus eigenen Projekten ein. Fachlich wird der Austausch seither begleitet von Prof. Dr.-Ing. Linda Hildebrand, Professorin des Fachbereichs Rezykliergerechtes Bauen der RWTH Aachen, sowie von Timo Ernst von der sustainable AG, ein Experte für Circular Economy und Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Ziele der Arbeitsgruppe sind die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses von Kreislaufwirtschaft, die Bedeutung für die Branche zu definieren, Probleme und zentrale Herausforderungen zu identifizieren, eine Methodik zur Vorgehensweise festzulegen sowie eine Sammlung praktischer Anwendungsbeispiele nebst Dokumentation und Lösungsansätzen zu erstellen.
Lesen Sie auch das Interview mit Dr.-Ing. Linda Hildebrand, Professorin des Fachbereichs Rezykliergerechtes Bauen der RWTH Aachen über die Kreislaufwirtschaft: „Produkte aus erneuerbaren Rohstoffen sind teurer“
Heike Schmitt
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