Per Mausklick in ein zweites Leben
Durch die zunehmende Relevanz der Kreislaufwirtschaft und zirkulären Wertschöpfung für den Bausektor wächst seit mehreren Jahren das Angebot an Dienstleistungen und Hilfsmitteln. Dazu zählen Methoden, Leitlinien sowie Beratungsangebote, die Unternehmen bei der Planung und beim Handling von wiederverwertbaren beziehungsweise recycelfähigen Baustoffen unterstützen.
Schon 2023 hatte auf europäischer Ebene ein Zusammenschluss aus 16 Organisationen aus acht Ländern – darunter Industrieunternehmen, Universitäten, gemeinnützige Organisationen und Forschungsinstitute wie die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) – mit der Erstellung umfassender Datenbanken begonnen. Diese sollen das Recycling-Potenzial von Baustoffen erfassen, gestützt auf datengesteuerten Modellierungsansätzen und maschinellem Lernen, und mit Planungswerkzeugen von Architekten sowie Ingenieuren verknüpfen.
Erste Übersicht über Hilfsmittel
Eine Übersicht über verschiedene Hilfsmittel hat die Pioniergruppe Kreislaufwirtschaft der Initiative Wohnen.2050 unter Leitung des Fachteam-Mitglieds Dipl.-Ing. Joost Hartwig, ina Planungsgesellschaft mbH, Darmstadt, in einem ersten Schritt übersichtlich zusammengestellt. Dabei geht es primär um Definitionen und Differenzierungen.
Leitfäden
Mit einer Zusammenstellung von Grundlagen bilden sie eine solide Basis. Mehrere Autorengruppen haben bereits solche Manuals entwickelt, um mit vertiefenden Informationen die zirkuläre Wertschöpfung im Bauwesen zu unterstützen. Beispiele sind: Kreislaufbauwirtschaft (Umweltbundesamt GmbH), Leitfaden QNG (DGNB), Leitfaden Nachhaltiges Bauen (BMI).
Wichtig für Wohnungsunternehmen sind insbesondere solche, die die Gebäudesubstanz in den Fokus nehmen.
Produktpässe
Die Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) trat im Juli 2024 in Kraft. Sie steht im Zusammenhang mit der spezifischen Ausarbeitung von Regeln für den Bausektor (Construction Product Rules CPR). Die dort gelisteten Regularien betreffen Produkte des europäischen Marktes und werden im Format eines digitalen Produktpasses (DPP) festgehalten. Diese Informationen können auch als Input für den Gebäudepass genutzt werden. Zudem muss er grundlegende Informationen über den Lebenszyklus des Produktes offenlegen. Verantwortlich für das Erstellen sind die Hersteller. Ganz wesentlich dabei: Der Zugang muss möglichst barrierefrei gewährleistet sein – beispielsweise über QR-Codes oder RFID-Chips. Ökologische Informationen zu einem Produkt können über Umweltproduktdeklarationen (Environmental Product Declaration EPD) ausgegeben werden.
Zirkularitätsindizes
Sie stellen eine aggregierte Bewertung der Kreislauffähigkeit eines Gebäudes dar. Als quantitativer Indikator zugrunde gelegt wird ein Noten- oder Punktesystem. Ziel ist es, den Beitrag von Gebäuden, Bauteilen oder Materialien zur Kreislaufwirtschaft anhand einer einfachen Kennzahl leichter und schneller vergleichbar zu machen. Die dadurch gewonnene Transparenz soll dazu beitragen, Abfälle zu vermeiden und die Kreislaufwirtschaft generell zu stärken. Auf internationaler Ebene wurden bereits eine Reihe von Varianten entwickelt (siehe Tabelle „Zirkularitätsindex“). Die meisten widmen sich im Wesentlichen zwei Phasen:
- In der Pre-use-Phase steht der derzeitige Beitrag zur Kreislaufwirtschaft mit den Bewertungskriterien Materialherkunft (Primär- oder Sekundärmaterial; regenerativer oder nicht-regenerativer Rohstoff) und Schadstoffbelastung im Fokus;
- In der Post-use-Phase liegt der Schwerpunkt auf dem zukünftigen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft mit den drei Kriterien Demontage-Fähigkeit, werkstoffliche Trennbarkeit und Verwertungspotenzial des Materials.
Ein Nachteil für die Wohnungswirtschaft: Viele Indizes werden von kommerziellen Anbietern angewendet und können zum Teil nicht von den Wohnungsunternehmen autark genutzt werden.
Um die Funktionen zu verdeutlichen, greifen wir zwei Beispiele aus der Tabelle „Zirkularitätsindex“ heraus.
Zunächst den Urban Mining Index (UMI): Er gibt den prozentualen Anteil der zirkulären Materialien in einem Bauteil oder Bauwerk an. Im Klartext heißt das: den Anteil der Materialien, die entweder bereits vor dem Einbau genutzt wurden oder im Anschluss nutzbar sind. Zudem werden über den Lebenszyklus des Bauwerks alle eingehenden Materialien sowie alle bei einem späteren Rückbau entstehenden Wert- und Abfallstoffe berechnet und hinsichtlich ihrer Qualität zur Nachnutzung bewertet. Dies basiert auf zwei Messgrößen:
- dem Material Recycling Content: Er zeigt den Anteil sekundärer oder erneuerbarer Rohstoffe, die bei der Herstellung des Bauwerks eingesetzt werden.
- dem Material-Loop-Potenzial: Dies ist das in der Rückbauphase gewonnene Material. Dabei werden verschiedene Qualitätsstufen der Materialien sowie der Arbeitsaufwand für die Rückgewinnung berücksichtigt.
Durch einfache Prozentangaben kann das Ergebnis des UMI auch von Laien beurteilt werden. So wäre eine Zirkularitätsrate von 100 Prozent notwendig, um vollkommende Kreislaufwirtschaft zu erreichen. Im UMI können auch Werte über 100 Prozent erreicht werden, da das sogenannte Loop-Potenzial – die Möglichkeiten zur Wiederverwendung oder Verwertung in niedrigeren Qualitätsstufen – mit berücksichtigt wird.
Weitere praxisorientierte Hilfestellungen bietet die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.) mit ihrem DGNB-Navigator. Die Institution war am dreijährigen EU-geförderten Projekt „LIFE Level(s)“ beteiligt, das schon im September 2022 abgeschlossen wurde. Es hatte zum Ziel, eine gemeinsame Sprache und Methodik für die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Gebäuden in Europa zu schaffen. Ergebnisse finden sich auf der DGNB-Website: Werkzeuge für eine lebenszyklusorientierte Planung und Beschaffung bei Bauprojekten – insbesondere für Kommunen, Planende und Hersteller von Bauprodukten. Zum anderen finden sich dort Instrumente wie der DGNB Zirkularitätsindex (DGNB ZI), die dabei helfen, Zertifizierungssysteme wie das der DGNB mit dem europäischen Rahmenwerk „Level(s)“ in Einklang zu bringen.
Gebäuderessourcenpass (GRP)
Er dokumentiert den Zustand eines Gebäudes zu einem bestimmten Zeitpunkt. Dabei bezieht er sich auf die verbauten und für den Betrieb genutzten Ressourcen. Er ist somit kein Instrument zur Optimierung von Planungsprozessen. Um aussagekräftig zu bleiben, muss er bei Veränderungen stets aktualisiert werden – das betrifft sowohl bauliche als auch äußere Faktoren. Zu den baulichen Faktoren zählen Umbau, Austausch oder Sanierung. Äußere Faktoren werden bestimmt durch immer präzisere Daten zu Ökobilanzierung, Anpassung der Klimapfade und Reporting-Pflichten oder technische Innovationen in der Konstruktion und im Rückbau. Fazit: Der GRP ist ein statisches Dokument in einem dynamischen Prozess – zu verschiedenen Zeitpunkten, etwa nach Fertigstellung des Neubaus, Sanierung oder Umbau, kann er sehr unterschiedliche Aussagen beinhalten.
Das Erstellen eines Gebäuderessourcenpasses (GRP) für einen Neubau stellt sich vergleichsweise unproblematisch dar. Denn: Wird er während der Planung angelegt, werden Informationen zu Geometrie, Materialen und Konstruktion aus diesem Prozess genutzt. Um allerdings GRP-Informationen für ein bestehendes Gebäude zusammenzutragen, ist der Aufwand deutlich größer: Je nach verfügbaren Unterlagen, Plänen, Beschreibungen, Fotos oder einer Begehung vor Ort müssen Informationen erst gesammelt und strukturiert werden. Sind umfangreiche Untersuchungen nicht möglich, müssen Schätzungen zur damaligen Baupraxis und Materialwahl herangezogen werden.
Materialkataster
Sie erfassen regionale Informationen zu den Materialien von Referenzprojekten und ermöglichen so eine detaillierte Übersicht über vorhandene Ressourcen. Ebenso können sie als Erweiterung von Ressourcenkarten verstanden werden, die politische Forderungen nach einer besseren Nutzung von Ressourcen unterstützen. Zentrale Datengeber sind die Bestandshalter – etwa auf Grundlage von Gebäuderessourcenpässen. Großes Plus dieser Kataster: Planer erhalten zukünftig Auskunft über die lokal potenziell verfügbaren, wiederverwendbaren Materialien unterschiedlicher Akteure. Somit eröffnet sich die Möglichkeit, auch außerhalb des eigenen Unternehmens Materialkreisläufe zwischen verschiedenen Akteuren zu initiieren.
Eine solche globale Online-Plattform, die den zirkulären Einsatz von Produkten und Materialien in der Bauwirtschaft ermöglicht, ist ebenfalls unter dem Dach der Plattform Madaster angesiedelt. Immobilieneigentümer und andere Stakeholder haben hier die Möglichkeit, Daten ihrer Immobilien zu speichern, zu verwalten, anzureichern und auszutauschen. Neben dem Erstellen von Ressourcenpässen von Gebäuden und Infrastruktur-Bauwerken, ermöglicht Madaster parallel die Auswertung der Grauen Emissionen. Hinzu kommen finanzielle und zirkuläre Bewertungen, die Verwaltung und Veräußerung von Immobilien sowie das Wiederverwerten von Materialien und Produkten unterstützen.
Materialplattformen und Bauteilbörsen
Sie sind der Marktplatz für gebrauchte oder ungenutzte Bauprodukte. Im Gegensatz zu Materialkatastern finden sich hier die tatsächlich verfügbaren – und nicht mehr in Gebäuden gebundenen – Produkte und Materialien. Bislang sind Bauteilbörsen eher lokal organisiert (siehe Tabelle Materialplattformen und Bauteilbörsen).
Werfen wir exemplarisch einen Blick auf Concular als digitale Plattform für ressourceneffizientes Bauen: Materialien in Bestands- und Neubauten werden mittels Material- oder Gebäudepässen digitalisiert und in einer Datenbank zur Verfügung gestellt. Alle Interessenten erhalten digitalen Zugang zu diesem Angebot. Beim Match von Angebot und Nachfrage liegt es in der Verantwortung von Concular, die Materialien von der Rückbau- zur Neubaustelle zu transportieren. Gleichzeitig werden Einsparungen von CO2-Emissionen und Abfallaufkommen gemessen. Mit dem Concular-Matching ist die Vermittlung auch bereits möglich, während das Material noch verbaut ist. Das erleichtert die Planung, senkt Kosten und Risiken für den Verkauf und eine etwaige Zwischenlagerung. Das Konzept schließt effizient, projektbegleitend, digital und kollaborativ Materialkreisläufe im Gebäudesektor. Zudem basiert es auf Erkenntnissen und Erfahrungen von restado.de. Dieser größte Marktplatz in Europa für wiedergewonnene Baustoffe wurde schon 2012 ins Leben gerufen.
Zusätzlich kann die Wohnungswirtschaft natürlich auch in Erwägung ziehen, eigene Materialplattformen zwischen Unternehmen zu etablieren oder gemeinsam Maschinen für die Aufbereitung von Baustoffen über Sharing-Modelle zu beschaffen und kooperativ zu nutzen. Solche Initiativen bieten die Möglichkeit, Ressourcen effizient zu teilen und die Kreislaufwirtschaft zu fördern.
Bauteilbörsen und die Praxis
Auch Verbände greifen auf Bauteilbörsen zurück. Ein aktuelles Beispiel: Der VdW Südwest möchte in der Ausgestaltung der Nutzung sogar noch einen Schritt weiter gehen und bindet einen externen Technik- und Logistikpartner ein. Die zuständige Nachhaltigkeitsbeauftragte Julia Kremer erläutert: „Zunächst wurden ‚Concular und Pirée – The urban reuse mine‘ von unserem Verband in die Diskussionen eingebunden, um für unsere Mitgliedsunternehmen die Möglichkeit zu schaffen, auf einen Fundus an funktionsfähigen, gebrauchten Heizthermen zurückgreifen zu können.“ Inspiriert von einer gängigen Praxis in der Vergangenheit, gebrauchte Gasthermen wiederzuverwenden, wurde vom Verband ein Pilotprojekt initiiert, in dem Geräte, die im Zuge von energetischen Modernisierungsmaßnahmen ausgebaut werden, unternehmensübergreifend gesammelt und wieder bereitgestellt werden. Denn im Fall von Havarien könnten diese gebrauchten und zum Teil technisch noch aktuellen Thermen – oder auch nur Teile derselben – die Lücke schnell und kosteneffizient schließen. Sie dienen dann als Interimslösung – bis zur Zentralisierung der Wärmeerzeugung etwa durch den Einbau von Wärmepumpen oder die Inbetriebnahme eines Fernwärmenetzes. 17 Mitgliedunternehmen, darunter die GWW Wiesbaden, haben sich bisher an diesem Projekt beteiligt. Gestartet wurde 2024 mit wenigen Geräten. Relativ bald folgte jedoch eine Ausweitung der Aktivitäten, da sich herausstellte, dass Organisation, Lagerfläche und Logistik eine zusätzliche Herausforderung darstellten – ein generelles Problem in der Kreislaufwirtschaft!
Im zweiten Schritt kam daher Intec als weiterer Partner dieses Re-use-Engagements ins Spiel. Der Händler für Gebrauchtheizungen, Regelungstechnik, Ersatzteile und Zubehör übernimmt die ausgebauten Heizungen in sein Angebotsportfolio. Zuvor werden sie von Fachpersonal in eigenen Werkstätten überprüft und generalüberholt. Erst danach gehen sie mit Rechnung und Gewährleistung wieder in den Verkauf. VdW-Referentin Julia Kremer: „Diese Vorgehensweise ist auch für die kooperierenden Handwerksbetriebe lukrativ, da sie die Gebrauchtgeräte bei Intec erwerben können und die Möglichkeit haben, eine dem Markt entsprechende Marge einzukalkulieren.“
„Es bleibt spannend!“
IW.2050-Experte Joost Hartwig zieht ein erstes Resümee: „Im Zuge des praxisnahen Austauschs in unserer über 40-köpfigen Pioniergruppe und einer generell engen Kooperation in der Branche stoßen wir immer wieder neue Türen auf. Mit Ausbau der Digitalisierung kommen neue und interessante Lösungskonzepte für eine zirkuläre Baubranche dazu. Jüngstes Beispiel ist ein Start-up, das Bauschutt mittels KI erkennen und trennen kann und so die Wiederverwertung noch effektiver gestaltet. An Themen wird es uns definitiv nicht mangeln – es bleibt spannend!“
Auszeichnung für Madaster
SERIE: Kreislaufwirtschaft
Redaktion (allg.)
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