Bremer Energiehaus soll zum Wahrzeichen der Stadt werden
Dort wo seit Jahrzehnten Ware gekühlt wurde und wo ebenfalls seit Jahren der Zahn der Zeit nagt und Verfall droht, soll ein beispielloses Projekt zur nachhaltigen Energieversorgung entstehen, das als eine Art Leuchtturm autarker und klimaschonender Versorgung von Unternehmen und privaten Haushalten im Quartier Überseestadt gilt. Bremen will das ehemalige Kühlhaus, ein Stahlbetonbau aus der Nachkriegszeit, für einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag aufwendig revitalisieren. Die ersten Abnehmer sollen energiehungrige Kunden wie der Bremer Großmarkt mit etwa 5,5 Hektar überbauter Fläche sowie angrenzendes Gewerbe sein.
In den Jahren von 1946 bis 1949 wurde das Kühlhaus für die Bremer Kühlhaus- und Lagergesellschaft (BLG) von Architekt Georg Grüning errichtet. Es war einer der ersten Nachkriegsbauten im Bremer Hafengebiet. Statt Abriss wird nun im Rahmen einer nachhaltigen Sanierung das alte Gebäude neu genutzt, um als Kern einer „grünen“ Offensive im prosperierenden Stadtteil Überseestadt die Energiewende zu ermöglichen. „Das Konzept sieht ein sogenanntes hybrides Wärmenetz mit Speicherfunktion vor“, erklärt Andreas Heyer, Chef der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB), die Herangehensweise.
Benachbarte Unternehmen benötigen viel Energie
Die Produktionsbetriebe im Holz- und Fabrikenhafen sowie der Großmarkt in der Nachbarschaft brauchen Energie in großem Umfang. Derzeit werden sie überwiegend mit Erdgas versorgt. Gleichzeitig fällt dort an verschiedenen Stellen Abwärme an, die bisher nicht genutzt wird. Für derart energiehungrige Kunden sind energieeffiziente (Beschaffungs-)Maßnahmen das Gebot der Zukunft.
Das Kühlhaus und spätere Energiehaus steht in prominenter Wasserlage innerhalb des Überseestadt-Quartiers und soll nach dem Umbau als hochmoderne Energieleitzentrale optimierte Bedingungen schaffen.
Dezentrale Energieerzeugung in möglichst vielen Gebäuden
Deutschlandweit gibt es bisher nur wenige vergleichbare Planungen wie die zum Bremer „Energiehaus“. Die Grundstücksfläche grenzt an die Weser, an das Hafenbecken mit dem Strandpark Waller Sand, den Überseepark, den genannten Großmarkt sowie an etliche traditionsreiche Bestandsunternehmen im Umkreis. Die erzeugten erneuerbaren Energien sowie die Abwärme sollen zukünftig in Form von Strom und Wärme im Energiehaus zwischengespeichert und bedarfsabhängig eingesetzt werden, heißt es zum technischen Konzept. Außerdem sollen neue Quellen für erneuerbare Energien erschlossen werden, wie etwa Photovoltaik auf sämtlichen geeigneten Dachflächen, Windkraftanlagen oder Wärmepumpen, welche die Umgebungswärme aus Hafenbecken, Erdreich und Luft nutzen. „Sollte die Energie vor allem in der kalten Jahreszeit mit hohen Verbrauchsspitzen nicht ausreichen, kann das lokale Netz durch Fernwärme oder andere Wärmequellen ergänzt werden“, so Heyer.
Finanziert wird das Bremer Modellvorhaben „Energiehaus“ mit Fördermitteln des Landes und des Bundes. Basis für den Schub nachhaltiger Bremer Projekte bildet die Klimaschutzstrategie 2038 des Senats im Bundesland.
Gut ins Bild passt da auch das Gemeinschaftsprojekt der BLG Logistics Group mit Mercedes-Benz. Das Logistikzentrum „C3“, vor der Sommerpause von Wirtschaftsminister Robert Habeck anlässlich der Eröffnung als Besuchsziel ausgewählt, besitzt eine 80.000 Quadratmeter große Photovoltaikanlage auf dem Dach und ist damit eine der größten Solaranlagen auf einer Industrieimmobilie bundesweit.
Bremer Überseestadt zählt zu den größten Städtebauprojekten Europas
Die Überseestadt ist mit einer Fläche von knapp 300 Hektar eines der größeren städtebaulichen Projekte Europas. Das frühere Hafenrevier wandelt sich schon über etliche Jahre zu einem modernen Standort unterschiedlichster Nutzungen – mit einer Mischung aus Dienstleistung, Bürobetrieben, Hafenwirtschaft, Logistik, Freizeit, Wohnen und Kultur. Als herausragendes städtebauliches Vorhaben wurde die Überseestadt vor zwei Jahren mit dem Immobilienmanager-Award in der Kategorie Stadtentwicklung ausgezeichnet.
Ein Megawatt Solarstrom von einem Dach
Nachhaltigkeit hat im Quartier wie auf dem Großmarkt Bremen zudem Tradition. Schon 1968 wurde hier das erste Recyclingverfahren eingeführt. Eine der größten Solaranlagen der Hansestadt wurde 2010 auf den Dächern des Bremer Frischezentrums installiert. Die rund 50.000 Quadratmeter Dachfläche sind an ein Unternehmen verpachtet, das pro Jahr etwa ein Megawatt Strom mit der Anlage erzeugt und in das öffentliche Netz einspeist. Damit werden jährlich etwa 900 Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid eingespart. Weitere Projekte wie die Einführung von Elektromobilen für die Marktmeisterei sind in der Planung.
Erfolgreiche Ansiedlung von Betrieben und Bewohnern
Als künftige Nutzer „grüner Energie“ an der Hafenkante kommen außerdem Firmen infrage, die sich auf einer zurzeit noch unbebauten Fläche von 16 Hektar in direkter Nähe zum „Energiehaus“ in den kommenden Jahren neu ansiedeln sollen. Die Zahlenstatistik klingt ermutigend; zu Beginn der Vermarktung der Überseestadt Bremen Anfang der 2000er-Jahre waren rund 300 Unternehmen mit rund 6.000 Mitarbeitern ansässig. Mittlerweile sind es 1.190 Unternehmen mit rund 18.900 Beschäftigten. Die Zahl der Bewohner hat sich mit aktuell knapp 3.000 bis heute nahezu verdreifacht.
Klaus Meier, Gründer und Aufsichtsratsvorsitzender des Onshore-Windenergie-Pioniers wpd AG, verwandelt derweil quasi „nebenher“ 15 Hektar des ehemaligen Bremer Kellogg-Areals in der Überseestadt in ein innovatives, nachhaltiges urbanes Wohn- und Arbeitsquartier mit wenig Autoverkehr, in dem Windstrom als Energie genutzt und eine weitgehende CO2-Neutralität erreicht werden soll.
Um eine möglichst große Effizienz zu erzeugen, würden derzeit für die Quartiere Stephanitor und Kellogg-Pier Machbarkeitsstudien durchgeführt, die später auf alle anderen Quartiere übertragen werden sollen.
Ziel ist die autarke grüne Energieversorgung
Ziel aller Maßnahmen im Quartier Überseestadt ist für die Bremer Verantwortlichen eine nahezu autarke Energieversorgung mit „grüner“ Energie für das gesamte Areal. Bremens Wirtschaftsförderer Andreas Heyer: „In der Immobilienbranche hat ein Umdenken eingesetzt. Nachhaltige Faktoren und die Übernahme von Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft sind mittlerweile zunehmend wichtig für die Entwicklung gewerblicher Immobilien und sogar entscheidend für den Projekterfolg. Es geht um ressourcenschonend errichtete und energieeffizient bzw. klimaneutral betriebene Gebäude, die den Menschen ein gesundes Arbeitsumfeld oder eine entsprechende Wohnumgebung bieten.“
Abwärme aus Unternehmen soll Teil der Energieversorgung werden
Weitere Abwärmepotenziale, etwa in Rechenzentren vor Ort und in Produktionsbetrieben, sollen identifiziert werden. Das Modellprojekt Energiehaus könne so zum Wahrzeichen mit überregionaler Strahlkraft werden, ist man in Bremen überzeugt. „Bremen kann mit dem Energiehaus an der Hafenkante bundesweit eine Spitzenposition bei der Entwicklung klimaneutraler Wirtschaftsstandorte einnehmen und die langfristige Energiesicherung der örtlichen Unternehmen mit mehr Unabhängigkeit von den Energiemärkten organisieren“, so Kristina Vogt (Linke), Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation.
Hans-Jörg Werth
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