Vonovia experimentiert mit der „Energiezentrale der Zukunft“
Das Quartier der Zukunft verbindet. Um die drängende Energiewende im Immobiliensektor zu bewältigen und CO2 im großen Stil zu reduzieren, gilt es Strom, Wärme und E-Mobilität miteinander zu verknüpfen und so grüne Energie optimal einzusetzen. „Wie sich über die intelligente Vernetzung verschiedener Bereiche die maximale Effizienz erreichen lässt, loten wir derzeit in unserem Wohnungsbestand aus“, sagt Tobias Hofmann, Leiter Quartiersberatung beim Bochumer Wohnungsunternehmen Vonovia.
Wie wird der Wohnungsbestand klimaneutral?
Um diese entscheidende Zukunftsfrage zu lösen, sind neue Wege gefragt. „Die Sektorenkopplung spielt für Quartiere eine immer größere Rolle“, betont Hofmann. Bereits seit einigen Jahren erprobt Vonovia verschiedene technologische Ansätze, welche die Erzeugung von Strom und Wärme kombinieren. Ein besonders ambitioniertes Projekt läuft zurzeit im Bochumer Quartier Weitmar. Hier ist der Name Programm: Die „Energiezentrale der Zukunft“, kurz EZZ, versorgt schon heute auf progressive Weise 13 Wohngebäude mit 81 Einheiten aus den 1950er-Jahren mit Strom und Wärme. „Wir möchten mit diesem Reallabor erforschen, wie verbundene innovative Energiesysteme die CO2-Bilanz in unserem Wohnungsbestand merklich verbessern können“, so Hofmann. Schließlich will der Branchenprimus, dem deutschlandweit 505.000 Wohnungen gehören, bis zum Jahr 2045 einen klimaneutralen Gebäudebestand vorweisen.
Zukunft im Testlauf
Das Projekt um die EZZ startete im September 2019 mit dem ebenfalls im Stadtteil ansässigen Forschungsprojekt Open District Hub (ODH), mit welchem wiederum eine umfassende Sanierung des Quartiers und 1.400 Wohnungen einherging. In diesem Zuge wurden viele Häuser auch aufgestockt und die Dächer mit Photovoltaik (PV-)Modulen versehen. Vonovia entwickelte und testete in dem Vorhaben gemeinsam mit vier Fraunhofer Instituten und dem Praxispartner Ampeers Energy ein umfängliches IKT-Ökosystem, um Energie an verschiedenen Stellen im Quartier möglichst effizient einzusetzen. Das System beinhaltet ein integrales Quartiersplanungssystem (IQPS), das Konzepte der Gebäudesanierung und lokale Systeme der Energieversorgung ganzheitlich betrachtet, ein selbstlernendes Energiemanagementsystem (SEMS) sowie eine digitale Marktplattform, die Anbieter und Nachfrager zusammenführt und etwa PV-Strom oder E-Carsharing anbietet. Gefördert wurden die Maßnahmen mit 5,3 Millionen Euro vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen.
Effiziente Kombination
Inzwischen erhalten in Bochum-Weitmar 13 der sanierten und aufgestockten Gebäude Strom und Wärme über die EZZ; die im April 2021 eröffnete Energiezentrale hat Vonovia komplett aus eigenen Mitteln finanziert. Seit Sommer 2023 sind alle 81 Wohnungen angeschlossen, sodass die EZZ diesen Winter in den Vollbetrieb gehen kann. In dem grauen, acht mal 15 Meter großen Bau befindet sich die progressive Anlagentechnik, dazu gehören Wärmepumpen, ein Elektrolyseur und eine Brennstoffzelle. Ein Viertel der nötigen Antriebsenergie für die Wärmepumpen erzeugen auf den 13 Wohnhäusern die Photovoltaik-Anlagen, die sich über 900 Quadratmeter erstrecken und insgesamt eine Leistung von 180 kWp erbringen.
Die 13 Gebäude sollen mit Sonnenstrom versorgt werden und sind vom öffentlichen Stromnetz entkoppelt – dafür wurde in der EZZ ein Mittelspannungstransformator verbaut, der die Brücke zwischen dem öffentlichen Netz und dem Vonovia eigenen Verteilnetz schlägt. „Alle Anwohner können so Mieterstrom beziehen, zu Kosten, die gut zehn Prozent unter dem Preis des örtlichen Grundversorgers liegen“, berichtet Hofmann. Um den PV-Strom weiter effizient zu nutzen, wenn Waschmaschine, Geschirrspüler und Fernseher ausgeschaltet sind, verbindet die Energiezentrale verschiedene Technologien miteinander. So kann der Strom etwa in die zwei Ladesäulen für E-Fahrzeuge, die direkt vor der EZZ platziert sind, fließen. Das ist aber nur eine Möglichkeit. Denn Strom benötigen ebenso die Wärmepumpen, hier als Antriebsenergie. Sie versorgen die anliegenden Haushalte mit CO2-freier Wärme und decken zu 90 Prozent den Bedarf zum Heizen und für Warmwasser. Gut ein Viertel des Stroms dafür kommt von den Dächern der anliegenden Gebäude. Die restliche benötigte Wärme stammt zum Großteil aus der Abwärme, die als Nebenprodukt der Elektrolyse entsteht. In dem Prozess werden Stromüberschüsse gespeichert, indem ein Elektrolyseur sie in Wasserstoff umwandelt. Die CO2-Bilanz kann sich sehen lassen: Fielen für die 81 Wohnungen zuvor jährlich 290 Tonnen CO2 für Strom und Wärme an, drückt die EZZ das Aufkommen auf gerade mal 48 Tonnen CO2 – eine Reduktion der Treibhausgas-Emissionen von rund 84 Prozent.
Flexible Hochleistungstechnik
Die zusätzlichen 24 neuen Wohnungen auf den Bestandsgebäuden aus den 1950er-Jahren brachten nochmals besondere Herausforderungen. Während die Heizkörper im Bestand hohe Vorlauftemperaturen brauchen, reichen für die Fußbodenheizungen in den aufgestockten Neubauten relativ niedrige Temperaturen. „Bei 65 Grad oder mehr würden sich die Mieter ja die Füße verbrennen“, so Hofmann: „Erst Wärme zu erzeugen und dann für 24 Wohnungen die Temperatur wieder stark herunterzukühlen, wäre aber äußerst ineffizient gewesen.“ Das Projekt zeigt stattdessen einen weit besseren Weg: Ein Niedertemperatur-Nahwärmenetz versorgt die neuen Wohnungen direkt. Da die Temperaturen für die 50er-Jahre-Wohnungen teils nicht ausreichen, ließ Vonovia erstmals zusätzlich zu einer Großwärmepumpe kleine Hochleistungswärmepumpen und Übergabestationen für jedes Gebäude extra installieren. Für den Bestand hebt die hocheffiziente Technik die Temperatur im Winter von 45 Grad auf 80 Grad an – das Verhältnis von aufzuwendender Energie und erzeugter Wärme unter Testbedingungen, der Coefficient of Performance (COP), liegt hier bei 7. Zum Vergleich: „Grundsätzlich bewegen sich gute Werte für Großwärmepumpen zwischen 3 und 4“, so Hofmann. Dem COP-Wert der Hochleistungswärmepumpen stünden jedoch noch die hohen Kosten der neuen Technologie gegenüber.
Wasserstoff als Energiespeicher
Im Sommer dagegen wird kaum Wärme benötigt – dann spaltet der Elektrolyseur in der EZZ mit Strom Leitungswasser in Sauerstoff und Wasserstoff. Der grüne Wasserstoff wird in Hochdruckbehältern bei 30 Bar gespeichert und bei Bedarf über eine Brennstoffzelle wieder in Strom und Wärme gewandelt. „Wasserstoff ist ein Medium, mit dem sich wunderbar Energie speichern lässt und obendrein entsteht bei der Wasserstoffproduktion Abwärme zum Heizen“, so Hofmann. Der Elektrolyseur in dem Forschungsprojekt lässt sich auf eine Jahresproduktion von 2.500 Kilogramm Wasserstoff ausbauen. Vorerst läuft er im Vollbetrieb allerdings mit einer jährlichen Kapazität von 490 Kilogramm Wasserstoff – umgewandelt macht das rund 5.000 Kilowattstunden Strom und 8.000 Kilowattstunden Wärme. Abgerufen wird die gespeicherte Energie vor allem im Winter. „Die schlechteste Alternative wäre es, den überschüssigen PV-Strom in das öffentliche Netz einzuspeisen, das lohnt sich aufgrund der aktuell geringen Vergütung einfach nicht“, erzählt Hofmann. Zudem würden sich die öffentlichen Netze bereits heute am Rande ihrer Leistungsfähigkeit bewegen, diese Problematik werde sich mit dem Ausbau der E-Mobilität weiter verschärfen. Die Investitionskosten für den Elektrolyseur möchte Hofmann nicht nennen, sie seien derzeit aber eindeutig zu hoch, um entsprechende Vorhaben wirtschaftlich abbilden zu können. Auch der relativ geringe Wirkungsgrad von gut 60 Prozent, der aus der zweifachen Umwandlung der Energie resultiert, und die teure Wartung schlügen negativ zu Buche.
Gleichwohl: „Die Elektrolysetechnik ist von der Idee her ein wichtiger Schritt in Richtung Energiewende“, unterstreicht Hofmann. Denn ein entscheidender Baustein für die klimafreundliche Sektorenkopplung im Bestandsquartier seien nun einmal die Energiespeicher. Vorstellen könnte er sich künftig auch, die E-Autos in der Tiefgarage als Stromspeicher einzubinden – hier bewege man sich aber ebenfalls auf Neuland.
Wir möchten mit diesem Reallabor erforschen, wie verbundene Energiesysteme die CO2-Bilanz in unserem Wohnungsbestand merklich verbessern können, sagt Tobias Hofmann, Leiter Quartiersberatung, Vonovia.
Das Gehirn der Zentrale
Damit das Ganze am Ende weit mehr ist als die Summe seiner Teile, sorgt das digitale Energiemanagementsystem samt selbstlernender Software in der EZZ dafür, dass der Sonnenstrom immer dort zur Verfügung steht, wo er tatsächlich benötigt wird. Die Software dirigiert das Miteinander von PV-Anlage, Wärmepumpe, Elektrolyseur und die Brennstoffzelle. „Damit die Energie zu jeder Zeit dort hingelangt, wo es gerade am sinnvollsten ist, ist zudem eine komplexe Mess-, Steuer- und Regelungstechnik nötig“, sagt Hofmann. Diese dient als Schnittstelle zwischen dem Energiemanagementsystem und den Energieerzeugern und -speichern dazu, die Energieströme zu überwachen und laufend zu optimieren – dafür greift das komplexe Gesamtsystem auf zahlreiche Daten zurück, etwa auf die tägliche Wetterprognose, aktuelle Strompreise, aktuelle und prognostizierte Verbrauchswerte der Haushalte und der angeschlossenen E-Ladestationen. Auch hier gilt eben: Erst die Kombination bringt ein optimales Ergebnis.
Update 07.10.2024
Fachartikel: Nahwärme mit Sektorenkopplung und Booster-Lösung
In einem Pilotprojekt untersucht die Wohnungsgesellschaft Vonovia in einem ihrer Wohnquartiere, ob die Energiewende mit Sektorenkopplung funktioniert. Wie sich zeigte, geht das mit neuer Übergabe- und Verteiltechnik in den Häusern.
Etwa 50 Jahre alt sind die Gebäude des Wohnquartiers Bärendorfer Straße in Bochum-Weitmar. Zeit für eine Totalsanierung, auch im Sinne der Gebäudeenergie. Eigentümer Vonovia befand, man könne am Unternehmensstandort Bochum mehr als nur sanieren. Es ließe sich ein Zeichen setzen – in Form eines energieautarken Wohnquartiers.
Ein Pilotprojekt der Energiewende! Direkt im Wohnquartier wurde die „Energiezentrale der Zukunft“ errichtet. In der innovativen Heizzentrale werden erneuerbare Energien aus mehreren Quellen modellhaft zusammenführt. So liefert z. B. Photovoltaik auf den Dächern elektrischen Strom. Er treibt Wärmepumpen für Heizung sowie Warmwasser an und beliefert die E-Ladesäulen des modernisierten Wohnquartiers. Nicht verbrauchte Energie wird im Elektrolyseur für die Speicherung in grünem Wasserstoff genutzt. Bei erneutem Bedarf gewinnt eine Brennstoffzelle den Strom wieder zurück. >> weiterlesen in "Das Objektgeschäft 2024"
Bettina Brüdgam
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