„Wir brauchen sechs Milliarden für Wende am Wohnungsmarkt“
Die von der Ampel-Koalition gesetzte Zielmarke von jährlich insgesamt 400.000 Neubauwohnungen in den kommenden Jahren würde zu einem spürbaren Abbau des Wohnungsdefizits führen wird. Damit wäre sogar ein Ende des dramatischen Wohnungsmangels bis 2025 zu erreichen, so das Bündnis „Soziales Wohnen“. In ihm haben sich unter anderem der Deutsche Mieterbund (DMB), die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sowie die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) zusammengeschlossen.
Die Ampel-Regierung in Berlin müsse allerdings mindestens sechs Milliarden Euro an Fördergeldern bereitstellen – allein für das soziale und bezahlbare Wohnen. Nur so werde es gelingen, die geplanten 100.000 Sozialwohnungen und zusätzlich noch einmal 60.000 bezahlbare Wohnungen, die notwendig seien, pro Jahr nach den aktuell geltenden Energiespar-Standards neu zu bauen. Entscheidend sei, wie viel der Klimaschutz dem Staat beim Neubau wert sei. Er müsse ansonsten auch bereit sein, noch tiefer in die Tasche zu greifen: So mache der maximale Klimaschutz bei Wohngebäuden (Effizienzhaus 40) sogar eine staatliche Förderung von 12,9 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich. Zu diesen Ergebnissen komme eine aktuelle Wohnungsbau-Studie, die das Pestel-Institut (Hannover) im Auftrag vom Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ gemacht hat.
„Auf dem Wohnungsmarkt spielt sich ein soziales Drama ab“
Aufgrund auslaufender Belegungsbindungen sinkt die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland seit Jahren. Auf dem Wohnungsmarkt spiele sich ein „soziales Drama“ ab. Mehr als elf Millionen Mieterhaushalte hätten in Deutschland einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) – und damit auf eine Sozialwohnung. Nur für jeden Zehnten davon gebe es allerdings eine Sozialwohnung. „Das ist eine bittere Eins-zu-zehn-Chance“, sagt Robert Feiger, Bundesvorsitzender der IG BAU.
Das Bündnis schlägt vor, für besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen ein festes Kontingent von 10 Prozent der neuen Sozialwohnungen bereitzuhalten. Bei der Wohnungssuche besonders schwer haben es nach Angaben des Bündnisses Menschen mit Behinderung, mit psychischen Erkrankungen, Haushalte, in denen ein Demenzerkrankter lebt, und benachteiligte Jugendliche. Ebenso Senioren, die von der Altenhilfe betreut werden, Menschen, die aus der Haft entlassen wurden, Wohnungslose, Bewohnerinnen von Frauenhäusern, Geflüchtete und Menschen mit einer Suchterkrankung.
Um diesen zumeist armen Menschen zu helfen schlägt das Bündnis vor, in allen Kommunen Wohn-Härtefallkommissionen zu etablieren. Diese sollten von den Stadt- und Gemeinderäten eingerichtet werden und betroffene Gruppen als Kommissionsmitglieder beteiligen. Die Härtefallkommissionen würden dann, so das Bündnis, über das 10-Prozent-Kontingent der zu vergebenen Sozialwohnungen entscheiden. Damit werde vor Ort die Bedürftigkeit im Einzelfall geprüft und die Berücksichtigung sozialer Kriterien bei Wohnungsvergaben garantiert.
Bündnis lobt die Neubau-Ziele der Ampel-Regierung
Das sonst eher regierungskritische Bündnis spart nicht mit Vorschusslorbeeren für die neue Bundesregierung. „Die Ampel-Regierung hat einen sozialen Bauplan für Deutschland vorgelegt. Sie schlägt damit ein neues Kapitel in der Wohnungsbaupolitik auf. Die Chance auf mehr soziales und bezahlbares Wohnen war seit Jahren nicht mehr so greifbar wie jetzt. Damit kann eine ‚soziale Ampel-Wende‘ auf dem Wohnungsmarkt gelingen“, so das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“. Vorausgesetzt, Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) schaffe es, die Ampel-Pläne zum Wohnungsbau umzusetzen: 400.000 Neubauwohnungen pro Jahr – davon 100.000 Sozialwohnungen. Das wiederum werde entscheidend davon abhängen, ob Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) das erforderliche Geld für die in der Koalition verabredete Neubau-Offensive bereitstelle. Ein „Sonderfonds Wohnen“ müsse her.
Je mehr Klimaschutz, desto teurer die Sozialwohnungen
Konkret geht es nach Berechnungen der Pestel-Studie allein beim Neubau der 100.000 „Ampel-Sozialwohnungen“ bei einer Wohnfläche von je 60 Quadratmetern um eine Förderung von fünf Milliarden Euro pro Jahr. Dann nämlich, wenn nach dem bisher vorgeschriebenen Standard des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG) gebaut würde. Soll der Klimaschutz dagegen „enorm getuned“ werden, wären sogar 8,5 Milliarden Euro notwendig (KfW-Effizienzhaus 40). Der soziale Wohnungsbau würde damit schon in diesem Jahr ein Mehrfaches der 2,2 Milliarden Euro benötigen, die der Staat bislang bereit war, in ihn zu investieren. Bund und Länder seien jetzt gefordert, so das Wohnungsbau-Bündnis.
Darüber hinaus setzt das Bündnis „Soziales Wohnen“ eine weitere Zielmarke: 60.000 bezahlbare Neubauwohnungen pro Jahr – mit einer Kaltmiete von höchstens 8,50 Euro. Wohnungen also, die sich Haushalte mit mittleren und unteren Einkommen noch leisten können. Auch hierfür werde der Finanzminister in den kommenden Jahren zusätzliche Mittel für die Förderung bereitstellen müssen. Pro Jahr wären dies konkret: zwischen eine Milliarde Euro bei aktuellem Energiespar-Standard (GEG-Haus) und 4,4 Milliarden Euro für den „technisch machbaren Spitzenwert beim Klimaschutz“ im KfW-Effizienzhaus 40.
Bezahlbare Neubaumieten nur mit günstigem Bauland
Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten erinnerte daran, dass der Bund mit einer Milliarde Euro Förderung bislang knapp 30.000 Wohnungen habe schaffen können. Für das nun mehr als verdreifachte Ziel brauche man auch ein Mehrfaches an Fördermitteln, sonst sei schon im Vorhinein absehbar, dass der Erfolg ausbleibe.
Um die Kosten beim sozialen Wohnungsbau zu senken, fordert das Bündnis eine rasche Reduzierung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent. Darüber hinaus müsse die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag angekündigte Erhöhung der linearen Abschreibung von zwei auf drei Prozent möglichst schnell umsetzen, fordert das Bündnis. Ebenso wie ein weiteres Prozent für eine Sonderabschreibung beim Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen. Allerdings nur für Regionen, in denen Wohnungsmangel herrsche. Die Mieten sollten dabei eine Obergrenze nicht überschreiten. Es sei dringend notwendig, an diesen „Steuer-Stellschrauben“ zu drehen, um mehr bezahlbare Wohnungen zu schaffen, so das Bündnis.
Preistreiber beim Neubau sei insbesondere auch das Bauland. „Bei Grundstückspreisen von 300 Euro pro Quadratmeter sei die Schmerzgrenze erreicht. Das sei der aktuelle ‚Bauland-Schwellenpreis‘. „Liegen die Grundstückspreise darüber, haben der soziale und bezahlbare Wohnungsbau praktisch keine Chance mehr“, sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. Das Bündnis „Soziales Wohnen“ appelliert daher an den Bund und die Länder, vor allem aber auch an die Städte und Gemeinden, dem sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau offensiv günstiges Bauland bereitzustellen. (Red.)
Redaktion (allg.)
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