Wo zu DDR-Zeiten der VEB Berlin-Chemie seine Fabrikationsstätte hatte, ist in den letzten Jahren auf einer Grundstücksfläche von rund 100.000 Quadratmeter ein neues Stadtquartier entstanden. In Berlin-Grünau, zwischen der Regattastraße und dem Fluss Dahme, entwickelt die Buwog Bauträger GmbH das Quartier 52° Nord. Ein Mix aus Miet- und Eigentumswohnungen, eine Kita und ein Quartiersplatz prägen diesen neuen Stadtteil, der nach jetzigen Planungen im Jahr 2026 fertiggestellt sein wird. Bisher sind bereits rund 900 Wohneinheiten bezogen, weitere 300 sind derzeit in Bau oder in Planung.
Vorzeigeprojekt für das Schwammstadt-Konzept
Bemerkenswert ist das Projekt der zum Dax-Konzern Vonovia gehörenden Buwog aber nicht nur wegen der Größe, sondern vor allem auch wegen des Umgangs mit Regenwasser. Denn das Quartier 52° Nord ist eines der bundesweit bekanntesten Vorzeigeprojekte für das Schwammstadt-Konzept, das in letzter Zeit immer mehr Aufmerksamkeit erfährt. Ziel dieses Konzepts ist es, dass Regenwasser nicht in die Kanalisation fließt, sondern vor Ort verbleibt. Das ist Fachleuten zufolge erforderlich, um der Kombination von Dürrephasen und Starkregenereignissen zu begegnen. „Wir müssen und wollen einen Großteil der versiegelten Flächen von der Kanalisation abkoppeln und das Regenwasser vor Ort halten“, sagt Christoph Donner, der Vorstandsvorsitzende der Berliner Wasserbetriebe. Hintergrund ist, dass Berlin (wie viele andere Städte) über eine Mischkanalisation verfügt, über die sowohl das gebrauchte Wasser aus den Haushalten als auch das Regenwasser in die Kläranlagen geleitet wird.
Großes Wasserbecken im Zentrum
Wichtigstes Element des Buwog-Regenwasserkonzepts in Berlin-Grünau ist ein 6.000 Quadratmeter großes Wasserbecken, das über unterirdische Rohre mit Regenwasser aus den umliegenden Häusern gespeist wird. Streng genommen sind es sogar drei Teilbecken, die ineinander übergehen. Deren Tiefe beträgt 40, 80 und – beim letzten Teilbecken am Ufer der Dahme – 120 Zentimeter. „Dadurch“, erklärt Buwog-Pressesprecher Michael Divé, „entsteht ein natürliches Gefälle, sodass das Regenwasser im Becken zirkuliert und in leichter Bewegung bleibt.“ Das Regenwasser fließt also nicht in die Kanalisation und im Normalfall auch nicht in die Dahme. Lediglich bei sehr starkem Regen wird das Wasser in den Fluss geleitet, um Überschwemmungen zu vermeiden.
Verdunstung und Sumpfpflanzen verbessern das Mikroklima
Dass das Wasser im Becken verdunstet, trägt zu einem angenehmen Mikroklima bei. Gesteigert wird die Aufenthaltsqualität zudem durch eine Uferbepflanzung, die sich auf einer Länge von 200 Metern entlang des Beckenrands erstreckt. Diese Sumpfpflanzen und Gräser filtern außerdem Nährstoffe aus dem Niederschlagswasser heraus. „Dies reduziert den Nährstoffgehalt im Wasser und verhindert ein Algenwachstum“, sagt Pressesprecher Divé. Eine zusätzliche Reinigungsfunktion übernimmt eine Substratfilterpumpe, die kleine Schwebstoffe und Sandpartikel aus dem Wasser entfernt.
Regenwasser wird auf Gründächern gespeichert
Allerdings nimmt das Becken nur das Wasser von den direkt angrenzenden Gebäuden auf. Für die weiteren Wohnhäuser haben sich die Planer andere Lösungen einfallen lassen. Zum einen gibt es Mulden und unterirdische Rigolen, durch die das Wasser versickert. Zum andern ist bei manchen Immobilien das Dach begrünt. Diese Gründächer speichern laut Divé nicht nur Wasser, sondern bieten zudem auch Lebensraum für Tiere und Insekten. Weil das Wasser verdunstet, sorgen die Gründächer zudem im Sommer für eine natürliche Kühlung.
Konzept funktioniert wie geplant
Doch funktioniert auch alles so, wie sich die Planer das vorgestellt haben? Ja, antwortet Michael Divé. „Nach mehreren Jahren im Betrieb hat sich das Wasserbecken sehr gut etabliert, und wir haben ganzjährig nahezu Trinkwasserqualität“, sagt er. Überprüft wird dies von der Technischen Universität Berlin, die auch an der Entwicklung des Konzepts beteiligt war. Auch sei es nicht so, dass massenhaft Mücken aufträten, da das Wasser permanent in Bewegung sei, erklärt Divé weiter. „Und das Thema Algenbildung haben wir gut im Griff, da die seitliche Uferbepflanzung ihre volle biologische Reinigungsfunktion optimal entfaltet.“ Schließlich erfülle die Wasserfläche auch einen „hohen ästhetischen Anspruch“ und erzeuge „eine sehr hohe Aufenthaltsqualität am Wasserbecken und am Quartiersplatz, der sich mit dem Café zur Umgebung hin öffnet“.
Eigentümer des Wasserbeckens ist übrigens die angrenzende Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kosten für den Unterhalt des Wasserbeckens beziffert die Buwog auf rund einen Euro pro Monat und Eigentümer. Auf der anderen Seite sparen die Bewohner Gebühren für das Niederschlagswasser. Wie hoch diese Ersparnis ist, kann die Buwog nicht beziffern.
Berlin betreibt Regenwasseragentur
Langfristig rentiere sich eine solche Regenwasserbewirtschaftung auf jeden Fall, sagt Darla Nickel, die Leiterin der Berliner Regenwasseragentur, in einem Buwog-Podcast. Insbesondere bei der Entwicklung ganzer Quartiere sei es finanziell günstig, von Anfang an ein Wasserkonzept zu entwickeln. In Berlin ist das seit einigen Jahren sogar Pflicht: Seit 2018 sind Projektentwickler an ein Bewirtschaftungsgebot gebunden – in Neubauquartieren müssen Niederschläge auf dem Grundstück versickern, verdunsten oder anderweitig genutzt werden.
Ebenfalls 2018 gründeten das Land Berlin und die Berliner Wasserbetriebe die Regenwasseragentur. „Wir haben vor fünf Jahren angefangen, die Idee der Schwammstadt in die Stadt zu tragen, und haben schon viel erreicht“, sagt Agenturchefin Nickel. Im Neubau gehe es gut voran, während der Bestand und der öffentliche Raum noch die „Sorgenkinder“ seien.
„Ein innovatives Regenwassermanagement“, ist auch Berlins Umweltsenatorin Manja Schreiner (CDU) überzeugt, „ist von herausragender Bedeutung.“ Ähnlich sehen das immer mehr Wohnungsunternehmen. Laut einer in diesem Jahr durchgeführten Umfrage von Berliner Regenwasseragentur und BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen finden 85 Prozent der hauptstädtischen Wohnungsunternehmen, dass Regenwasserbewirtschaftung für die Stadt wichtig ist. Gefragt nach den Maßnahmen, die sie bereits realisiert oder in Planung haben, nennen 89 Prozent der Unternehmen die Versickerung von Regenwasser auf den Grundstücken, 59 Prozent die Schaffung von durchlässigen Flächenbelägen, 57 Prozent die Dachbegrünung und 43 Prozent die Regenwassernutzung.
Buwog setzt auch zukünftig auf Schwammstadt-Konzept
Der letztgenannte Punkt – also die Nutzung von Regenwasser zum Beispiel für die Toilettenspülung – ist im Quartier 52° Nord nicht vorgesehen. Anders verhält es sich im Neubauquartier Speicherballett, das die Buwog derzeit in Berlin-Spandau errichtet: Dort wird Regenwasser unterirdisch in einer großen Zisterne gespeichert, sodass es dann für die Bewässerung von Gärten und die Spülung von Toiletten verwendet werden kann. „Das Thema Schwammstadt“, versichert Buwog-Pressesprecher Divé, „hat für uns im Rahmen der Nachhaltigkeitsagenda eine große Bedeutung. Hierzu werden jeweils für den Ort und das Quartier die passenden Lösungen gefunden.“
Christian Hunziker
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