IVV-Round table

„Zukunft der Aufzugstechnik“

Unter dem Motto „Debatten mit Durchblick – Wohnungswirtschaft auf den Punkt“ startet das Fachmagazin IVV eine neue Veranstaltungsreihe. Wie geht gutes Bauen und Bewirtschaften? Die Redaktion diskutiert mit Experten aus Wohnungswirtschaft und Industrie. Zuschauer verfolgen Fragen und Antworten im LiveStream.
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 Bild: HUSS-MEDIEN GmbH
Bild: HUSS-MEDIEN GmbH

Mit der Premiere war die Redaktion zu Gast in der Zentrale der Schindler Deutschland AG in Berlin-Marienfelde. Mit fünf Experten hat Chefredakteur Thomas Engelbrecht die Zukunft der Aufzugstechnik im Zuge der digitalen Transformation diskutiert.

Schindler verspricht sich neue Geschäftsfelder von der Digitalisierung. Welche neuen Dienstleistungen können Sie schon heute anbieten?

Jürgen Blank: Die Reise der Digitalisierung beginnt ganz weit vorne. Wenn Sie ein Gebäude planen, zwei, drei Jahre bevor es gebaut wird, da fangen wir schon an mit der Digitalisierung. Auf unserer Internetseite können Sie mit unserem Planungs- und Designtool Ihren Aufzug planen und sich die BIM-Daten herunterladen. Das funktioniert heute schon für die gängigsten Aufzugstypen. Das wird kontinuierlich weiterentwickelt, wir haben ein BIM-Team, das sich darum kümmert. Wir wachsen hier und können immer mehr Lösungen bieten. BIM zieht sich durch bis in die Bewirtschaftung.

Ein zweites Beispiel ist das Future Living Berlin, ein Wohnbauprojekt mit 70 Mietwohnungen. Dort liefern wir nicht nur die Aufzüge, sondern eine Transit-Management-Lösung. Die Gegensprechanlage, die Terminals kommen von uns. Auf Knopfdruck können Sie die Tür öffnen, den Aufzug runterschicken, der Aufzug fährt den Besucher direkt in die Zieletage. Wenn Sie nicht zu Hause sind, können Sie den Zugang per App gewähren. Hier entstehen neue Mehrwerte für unsere Kunden, und das ist ein wichtiger Punkt, denn die Digitalisierung muss konkreten Nutzen bringen. Spielereien können die Kunden nicht gebrauchen. Zum Dritten machen wir den Aufzug zur Werbefläche. Wir können mit der Schindler Doorshow durch Werbung zusätzliche Einnahmen für unsere Kunden erzeugen. Dann wird heute das digitale Servicemanagement ein großes Thema in dieser Runde sein. Wir sind also über die komplette Wertschöpfungskette aktiv mit dem Ziel, das Geschäft unseres Kunden besser zu machen.

Ich stelle mir vor, ich komme als Mieter mit dem Auto nach Hause, öffnet sich mir automatisch das Tor zur Tiefgarage?

Jürgen Blank: Ja, weil Sie eine Karte dabeihaben oder über die App und Bluetooth wird der Zugang freigeschaltet. Von der Garage aus können Sie dann mit der Karte weiter durch die Schleusen gehen, bis Sie vor Ihrer Tür stehen. Das machen Sie entweder mit der Karte oder mit dem Handy. Der Fahrstuhl holt Sie ab, die Türen öffnen sich automatisch. Und ein Besucher wird automatisch in die richtige Etage gefahren. Das ist aber nur eine Funktion der App. Eine weitere Funktion ist das Besuchermanagement. Für eine Veranstaltung können Sie temporäre Zugangsberechtigungen verschicken, sodass die Besucher ins Gebäude kommen. Ein anderes Beispiel ist der gerade fertig gebaute Omniturm in Frankfurt, ein Hybridgebäude mit Büros und 147 Mikro-Appartements. Dort kommt die Zugangstechnik zum Einsatz sowohl bei den Mietern der Wohnungen als auch bei den Büro-Nutzern. Das funktioniert heute alles schon.

Lassen Sie uns über die Digitalstrategie von Schindler sprechen. Gibt es Ideen für die Vernetzung von Haustechnik?

Jürgen Blank: Die technische Vernetzung als solche schafft noch keinen Nutzen. Das Beispiel Future Living Berlin ist schon eine Verknüpfung von verschiedenen Gewerken, aus der sich ein Mehrwert ergibt. Das kann man viel größer denken. Stellen wir uns einen Kunden vor, der einen großen Campus für verschiedene Nutzungsarten plant. Der Aufzug kann kombiniert werden mit einem Indoor-Navigationssystem, damit ein Besucher sich im Gebäude zurechtfindet. Für eine solche Anwendung brauchen wir Daten aus verschiedenen Systemen. Das macht man heute mit APIs, mit standardisierten Schnittstellen, die wir zur Verfügung stellen können. Wir müssen dann schauen, wie wir unsere Aufzüge integrieren können. Da entstehen neue Wertschöpfungsketten, je nach den Wünschen des Investors, und der Aufzug wird Teil eines übergeordneten Ökosystems.

Kommen wir jetzt zum einem speziellen digitalen Tool, nämlich der vorausschauenden Wartung von Aufzügen. Können Sie sagen, wie viele Aufzüge von Schindler heute aus der Ferne überwacht werden?

Jürgen Blank: In Deutschland haben wir mehr als 20 Prozent der Anlagen mit unserem ‚Technical Operation Center‘ verbunden. Dort findet das permanente Monitoring statt. Das ist sicherlich erst der Beginn einer Reise. Denn wenn man bedenkt, dass die Hälfte aller Aufzüge in Deutschland älter als 20 Jahre ist, zeigt sich der enorme Investitionsbedarf bei der Digitalisierung.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Fernüberwachung? Welche Art von Störungen können Sie aus der Ferne identifizieren?

Jürgen Blank: Eigentlich können wir alle Arten von Störungen erkennen, denn wir kommunizieren bidirektional mit der Steuerung der Anlage. Wir beheben schon rund 15 Prozent aller Störungen, ohne dass man es mitbekommt, indem wir die Anlagen in den richtigen Betriebsmodus zurückbringen. Es gibt einen großen zeitlichen Vorteil. Bislang vergingen im Schnitt sieben Stunden von der Meldung einer Störung bis zum Eintreffen des Technikers. Jetzt fährt der ‚digitale Service-Techniker‘ permanent mit und wir erfahren sofort, wenn eine Störung auftritt und können wesentlich schneller reagieren.

Ludwig von Busse: Kein Zweifel, dass Schindler schon recht weit ist bei der Überwachung eigener Aufzüge, aber Herr Lammering wird das Problem haben, dass er nicht nur Anlagen von Schindler in seinem Portfolio hat, sondern von einer ganzen Handvoll Herstellern, und die Anlagen dürften eher 30 Jahre alt sein. Die Digitalisierung dieser Anlagen ist die große Herausforderung. Meine eigene Technik als Hersteller in den Griff zu bekommen ist das eine, aber ich habe eben auch andere Hersteller und ältere Aufzüge, die in den digitalen Modus zu versetzen sind. Da ist aus unserer Sicht ein veritabler Ansatz zu sagen: Ich brauche ein System, was alles kann. Es ist nicht immer notwendig, bis in die tiefste Steuerungsecke hineinzugehen, sondern es geht darum, relevanten Informationen für den Verwalter abrufen zu können. Monitoring zu gewährleisten heißt, Informationen darüber zu haben, ob mein Aufzug fährt oder ob er nicht fährt. Und wenn er nicht fährt, wo steht er? Das ist kein Schnickschnack, sondern das sind relevante Informationen, die weitergeleitet werden an Hausmeister, an Mieter-Apps, an den Verwalter. Das ist der erste Schritt vor ‚Predictive Maintenance‘. Predictive Maintenance ist ein Wunschszenario für uns alle, aber ich sehe, dass das noch Zeit braucht am Markt. Wenn heute jemand sagt: Ich kann Predictive Maintenance, dann würde ich das bestreiten. Sicherlich kann man Tendenzen erkennen, aber ich brauche das ganze Bild eines Aufzuges. Die Elektronik, die Sensorik müssen den Aufzug erstmal kennenlernen. Und das braucht Zeit, besonders in einem großen Portfolio, damit ich nicht mehr Kosten verursache, weil ich meine Techniker rausschicke, weil ich meine, da ist etwas, obwohl da nichts ist.

Herr Wüllner, welche Erfahrungen haben Sie mit der Fernwartung?

Alexander Wüllner: Man kann mit Digitalisierung ganz viel Routinearbeit wegschaffen. Man schafft Freiräume, man schafft Zeit, sich um das zu kümmern, was wirklich wichtig ist. Unsere Erfahrung im Lift-Management ist, dass die Kunden ernst genommen werden wollen, wenn mal etwas schief geht. Je mehr man digitalisiert und die langweiligen Sachen damit aus der Welt schafft, desto mehr Freiraum schafft man, um sich um das zu kümmern, was relevant ist.

Ich würde Herrn von Busse zustimmen, Predictive Maintenance sehe ich noch nicht. Man kann bestimmt einen Tag nach vorne schauen, es bringt aber nichts, wenn man nicht eine Woche nach vorne schauen kann. Ich glaube, was heute einen echten Mehrwert schafft, ist die zustandsbasierte Wartung. Ich bin der Meinung, dass jeder Aufzug in Deutschland 50 Prozent zuviel gewartet wird. Das ist mit Sicherheit eine provokante These. Aber wenn ich nicht mehr kalenderbasiert warte, etwa einmal im Quartal, egal was passiert ist, sondern wirklich auf Nutzung abstelle, wäre das ein echter Mehrwert. Jetzt müsste ich aber Herrn Lammering erklären, warum er mehr dafür bezahlen soll, dass er weniger Wartung bekommt. Ich verstehe, wenn ein Service-Unternehmen solche Lösungen nicht mit erster Priorität anbietet.

Jürgen Blank: Wir haben schon mehr als 20 Prozent unserer Anlagen aufgeschaltet und bekommen sehr viele Daten von diesen Aufzügen. Diese Daten müssen interpretiert werden durch Big-Data-Analysen. Wir bekommen Anomalien eines Aufzugs sofort mit, können reagieren und die Probleme in bestimmte Kategorien einteilen und wissen, welche Antwort höchstwahrscheinlich die beste auf das Problem ist. Wir haben den Vorteil, dass wir nicht nur die Aufzüge in Deutschland heranziehen können, denn es handelt sich um ein weltweites Netzwerk. Und Aufzüge eines gleichen Typs oder einer gleichen Tür zeigen auch mal ähnliche Probleme. Im Hintergrund läuft ein permanenter Prozess und unsere Service-Techniker erhalten im Falle einer Störung die Information auf ihren digitalen Werkzeugkoffer. Die sind über eine App permanent verbunden mit unserem Technical Operation Center. Wenn eine Störungsmeldung eingeht, werden drei Vorschläge gemacht, was das Problem sein könnte. Natürlich sucht der Techniker vor Ort nach der Lösung des Problems, wenn wir es aus der Ferne nicht lösen können.

Ich höre die Begeisterung des Ingenieurs aus Ihren Worten, ich würde jetzt aber gerne den Realitätstest machen und Herrn Lammering befragen, der sagt, es hapere an den Grundlagen und die Daten seien unvollständig. Können Sie uns das erklären?

Günter Lammering: Man muss dazu wissen, dass die alstria erst 2006 gegründet wurde. Unser Bestand setzt sich zusammen aus verschiedenen Transaktionen und wir haben erst vor vier Jahren begonnen, uns dem Thema Facility Management zu widmen. Wir mussten erst einmal prüfen, welche Anlagen besitzen wir überhaupt. Nach vier Jahren intensiver Anlagenerfassung wissen wir, dass wir rund 20.000 haustechnische Anlagen im Betrieb haben, darunter etwa 500 Aufzüge. Nun hat jeder Anlagenproduzent seine eigenen Digitalisierungswünsche. Das ist bei uns aber gar nicht im Focus, denn wir sind Sachwalter des Vermögens unserer Investoren. Im Rahmen unserer Betreiberpflicht delegieren wir die Wartung und Instandhaltung an die Aufzugserrichterfirmen. Aber weil wir das Fachwissen nicht haben, bedienen wir uns seit 13 Jahren eines professionellen Lift-Managements. Die entsprechende technisch-inhaltliche Diskussion erwarte ich zwischen dem Lift-Management-Unternehmen und dem Aufzugserrichter. Bei uns läuft das Thema auf der Vertragsebene zusammen. Wir müssen sicherstellen, dass alle Anlagen einen aktuellen Vertrag haben, auch zu Marktkonditionen, damit wir unseren Nutzern gegenüber nicht überhöhte Betriebskosten abrechnen. Aber auch unseren Anlegern gegenüber, damit wir eben nicht aus Spaß in die Anlagen investieren, ohne dass eine Rendite zurückkommt.

Aber was meinen Sie mit der Kritik, es hapere an den Datengrundlagen?

Günter Lammering: Es gibt jede Menge Daten, aber als Eigentümer der Immobilie müssen wir bestimmen, welche Daten wir überhaupt benötigen. Wir sind immer noch dabei herauszufinden, welche Anlagen wir überhaupt besitzen und welche Daten wir wirklich brauchen. Ich habe eine Statistik, die mir sagt, dass etwa 700 Störungen pro Jahr auftreten. Wenn ich aber ins Detail reinschaue, dann sehe ich, dass die meisten Störungen aus Projektentwicklungen resultieren, wo Handwerker Staub im Haus produzieren und die Lichtleisten verstaubt sind. Da hilft mir kein digitales Überwachungstool. Wir haben auch 100 Jahre alte Paternoster in Hamburg im Einsatz. Die haben einen kulturellen Wert und die müssen auch nicht digitalisiert sein. Die unendlich Datenvielfalt ist nicht das Entscheidende. Als Grunddaten sind wichtig, wie viele Anlagen besitze ich, wie alt sind die, haben die alle einen Vertrag? Wie ist der Wartungspreis? Das bekomme ich von den Wartungsfirmen nicht aufbereitet vorgelegt, das müssen wir uns in Handarbeit erst aufbauen.

Ludwig von Busse: Einen Report zu haben ist besser, als keinen Report zu haben. Wir stellen aber fest, dass es in den Immobilienfirmen niemanden gibt, der diese Daten bewerten kann. Hier kann ein Unternehmen wie die Simplifa helfen, diese digitalen Daten sinnvoll zu verwenden für strategische Investitionsplanungen und diese Daten fortzuschreiben in Wirtschaftspläne und in ein Lebenszyklusmanagement.

Günter Lammering: Vor zwanzig Jahren wurden Immobilien gehandelt, ohne dass es ein Flächenaufmaß gab. Da wurden teilweise Gebäude verkauft mit 5.000 Quadratmetern und als die Akquisiteure vor Ort waren, hatte das Gebäude 20.000 Quadratmeter. Seitdem wird kein Gebäude mehr verkauft ohne Flächenaufmaß nach DIN oder GIF. Aber jeder kauft eine Büroimmobilie für 100 Millionen Euro und weiß nicht, welche haustechnischen Anlagen darin verbaut sind. Das Anlagen-Kataster nach DIN 276 ist kein Standard-Akquisitionsdokument, was mitgeliefert wird. Ich muss mir das als Facility Manager selber erarbeiten. Das ist ein extrem hoher Aufwand. Da wäre ich in punkto Digitalisierung schon glücklich, wenn es im Markt ein einheitliches Anlagen-Kataster nach DIN gäbe und jede verbaute Anlage eine eindeutige ID hätte.

Herr Lammering, haben Sie heute Dienstleister, die ihnen Predictive Maintenance anbieten oder praktizieren?

Nicht das ich wüsste. Wir sind vertraglich sehr klassisch aufgestellt mit fixen Raten pro Jahr, mit Anlagen, die vier Mal im Jahr gewartet werden, mit entsprechender Notrufaufschaltung, mit Verfügbarkeitsgarantien, aber wir haben keine praktischen Erfahrungen mit Predictive Maintenance.

Herr Blank, nimmt die Zahl der Einsätze von Monteuren vor Ort ab? Soll sie abnehmen?

Das ist nicht das Ziel der Digitalisierung. Ziel ist die Schaffung neuer Werte, neue Dienstleistungen anzubieten und die Verfügbarkeit der Anlagen zu erhöhen. Wenn eine Störung vorliegt, entscheidet am Ende immer noch ein Techniker, ob ein Verschleißteil ausgetauscht werden muss. Wir schulen unsere Techniker im Schnitt acht Tage pro Jahr, um sie fit zu halten für die Technik draußen. Sie sind Teil der Digitalisierung. Wir wollen die Qualität und Verfügbarkeit der Aufzüge erhöhen.

Alexander Wüllner: Ich stimme der Wichtigkeit der Techniker zu. Aber Ihrer Definition von Digitalisierung möchte ich widersprechen, das ist die Definition von Schindler. Es ist eine Möglichkeit, Mehrwerte zu schaffen. Aber in vielen Bereichen des täglichen Lebens sehen wir, dass Digitalisierung die Effizienz erhöht. Bislang hat mir noch niemand aus der Aufzugsbranche erklärt, wir sind jetzt so gut darin diesen Aufzug zu überwachen, dass wir die Wartung mit dem halben Aufwand erledigen können und deswegen sinkt der Preis um ein Viertel. Auf diesen Moment warte ich noch. Und deswegen sage ich, man kann die Digitalisierung auch nutzen, um die Effizienz in der Bestandsverwaltung zu erhöhen. Dieses Thema hat für uns Priorität.

Jürgen Blank: Effizienzerhöhung ist auch, wenn ich als Hausverwalter weniger Störungen und weniger Anrufe von den Mietern erhalte. Wir bieten ein digitales Service-Management. Wir erhöhen die Verfügbar und machen das Leben für den Kunden einfacher. Das hat natürlich seinen Preis, denn wir investieren Millionen in die Digitalisierung. Das ist ein langer Weg, den wir gehen. Wir wollen, dass die Qualität kontinuierlich besser wird. Das Service-Level soll steigen, das ist der Grund für die Digitalisierung.

Alexander Wüllner: Es gibt Kunden, die sagen, ich bin mit der Qualität im Großen und Ganzen zufrieden, aber können Sie die gleiche Qualität zu einem geringeren Preis anbieten.

Welchen Wert hat eine Störung, die nicht eintritt? Preisen Sie eine höhere Verfügbarkeit der Anlagen in die Verträge ein?

Ludwig von Busse: Wir machen die Erfahrung, dass die Verträge hochwertiger werden. Ich bekomme selten einen Normalwartungsvertrag zu sehen. Vollwartungsverträge versprechen eine Verfügbarkeit von 99 Prozent. Da stelle ich mir die Frage, was passiert eigentlich, wenn dieses Ziel verfehlt wird? Steckt ein Malussystem dahinter, dass der Wartungsfirma ein bisschen weh tut? In den Wartungsverträgen gibt es diesen Punkt meistens nicht. Ein anderer Punkt ist die Frage der Datenhoheit, die liegt natürlich beim Eigentümer des Gebäudes. Ich soll als Eigentümer der Daten dafür bezahlen, dass ein Dienstleister damit arbeitet.

Jürgen Blank: Ich habe eine andere Sicht auf diese Dinge. Sie zahlen nicht für die Daten. Sie zahlen für einen Mehrwert, den Sie erhalten, wenn Sie das digitale Service-Management Schindler Ahead in Anspruch nehmen. Wir haben ein weltweites Netzwerk, von dem Kunden profitieren, indem wir permanent die Qualität erhöhen. Wenn Sie dieses Modul bei uns kaufen, gibt es ein Dashboard dazu, das nennt sich Ahead Action Board. Da sehen Sie auf einer App alle Aufzüge. Herr Lammering, das nützt Ihnen nichts, Sie suchen etwas Übergeordnetes …

Günter Lammering: … ich habe 40 Dashboards …

Jürgen Blank: … und deshalb benötigen Sie ein Management für alle Ihre Liegenschaften. Da gibt es in der Zukunft sicherlich Möglichkeiten.

Günter Lammering: Dashboards und Plattformen haben wir viele. Als ich meine Stelle antrat, habe ich sofort 25 Zugänge zu externen Plattformen bekommen, habe hineingeschaut und gesehen: Die Daten waren nicht gepflegt. Ich konnte auch keinen sauberen Export durchführen, um die Daten auf Excel-Basis weiterzuverarbeiten. Bei der alstria haben wir eine recht große IT-Abteilung, mittlerweile fast mehr Programmierer als Asset-Manager, und wir arbeiten an einem eigenen Data-Hub, um sämtliche Daten verknüpfen zu können. Die Programmierung der Schnittstellen ist ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Die Immobilienwirtschaft ist da noch nicht so weit entwickelt wie der Anlagenbau.

Herr Roas, im Vorgespräch haben Sie gesagt, die Triebfeder für die Digitalisierung sei der zu erwartende Personalmangel bei der Wartung. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Die Initialzündung für die Digitalisierung kommt für mich aus dem außereuropäischen Ausland. Insbesondere in China gibt es ein extrem hohes Wachstum, dort werden jährlich 700.000 neue Aufzüge gebaut, das ist der Gesamtbestand in Deutschland. Ich wage zu bezweifeln, dass eine Aufzugsfirma in der Lage ist, diese Anlagen auch warten und instand setzen zu können. Das ist für mich die Triebfeder für die Digitalisierung. Alles was wir heute an mechanischer Sicherheit verbaut haben, das sind etwa 70 Prozent, das wird sich über die nächsten fünf Jahre dramatisch ändern, alles was in Richtung speicherprogrammierbare Steuerung passiert, bringt komplett neue Anforderungen für die Prüfsachverständigen.

Der TÜV-Verband kritisiert, dass die elektronischen Steuereinheiten von Aufzügen Black Boxes seien, in die der TÜV nicht hineinschauen könne und deshalb müsse der Gesetzgeber etwas tun.

Dieter Roas: Es entstehen dadurch neue Gefährdungen. Es gibt aber in Deutschland verschiedene Initiativen zur Verbesserung der IT-Sicherheit von Aufzügen, es entsteht auch gerade ein Regelwerk. Das andere Thema ist: Inwieweit sind Daten, die erhoben werden, überhaupt belastbar. Wir haben die Kette vom Sensor, der irgendwas erfasst, über die Software bis hin zur Aktorik. Ich kenne heute kein System, das eine Anforderung zur Prüfung von Anlagen betrifft. Wir haben uns mit einem Smartphone relativ schnell Zugang zur Steuerung eines Aufzugs verschafft und konnten Betriebsparameter ändern. Wir konnten die Fahrgeschwindigkeit ändern.

Sie sprechen von einem simulierten Hacker-Angriff?

Dieter Roas: Ja, nichts anderes war das. Wenn ich da Betriebsparameter unbemerkt verändern kann, hat das natürlich Auswirkungen auf die Sicherheit einer Anlage. Was uns umtreibt ist die Tatsache, dass jede Firma ihr eigenes Ding macht. Es besteht die Gefahr von Marktabschottung. Wir erleben es bei Prüfungen, wir erleben es, das Aufzugsfirmen uns direkt mit der Prüfung von Anlagen beauftragen. Wir nennen das ein vermitteltes Prüfgeschäft. Das sehen wir sehr kritisch, denn es geht um eine hohe Zahl von Prüfungen. Wir brauchen natürlich unabhängige Prüfinstitutionen.

Günter Lammering: Wir sind als Betreiber froh, dass es ZÜS-Stellen wie Ihre gibt, die uns Verantwortung abnehmen. Wir brauchen natürlich ein Vier-Augen-Prinzip, um das Qualitätsniveau zu halten. Zum Thema Vollwartung: Das Risiko von aufwendigen Reparaturen, das der Anbieter eingeht, hat er natürlich in seinen Vertrag eingepreist. Wenn ich das Risiko aus meiner Bilanz haben will, dann kaufe ich mir einen Vollwartungsvertrag. Wenn ich aber Gewinn maximieren möchte, muss ich das Risiko in meine eigene Bilanz übernehmen und muss dieses Klein-Klein-Management sicherstellen.

Jürgen Blank: Das Thema Cyber-Sicherheit hat im Hause Schindler höchste Priorität. Wir haben eine Sicherheitsabteilung, die die Standards definiert. Wir kommunizieren mit unseren Anlagen bidirektional und umso wichtiger ist eine sichere IT-Infrastruktur. Ich stelle allerdings infrage, dass Aufzüge das bevorzugte Ziel von Hackern sind.

Herr Roas, sind dem TÜV bisher Hacker-Angriffe auf haustechnische Anlagen bekannt geworden?

Mir persönlich nicht. Aber auf die Äußerungen von Herrn Blank möchte ich eingehen. Ich sehe schon Gefahren. Es gibt heute Aufzugsanlagen, die sich Daten selbstständig aus einer Cloud holen. Wenn es irgendjemand schafft darein zu kommen, dann betrifft das sofort viele tausend Anlagen.

Günter Lammering: Alle Leiterplatinen, die man in eine Anlage einbaut, halten zehn bis 15 Jahre. Die Halbwertszeit ist recht kurz. Für uns bedeutet das, die Reinvestitionszyklen werden kürzer. Ich bezweifle, ob das im Sinne der Investoren ist.

Alexander Wüllner: Das ist ein wichtiger Punkt. Durch IOT wird keine Anlage besser.

Günter Lammering: … ich habe ein höheres Risiko …

Alexander Wüllner: … möglicherweise, ja und eventuell einen Effizienzgewinn. Die deutschen Anlagen sind vergleichsweise sicher, aber auch vergleichsweise alt. Daraus ergibt sich eine gewisser Instandhaltungsrückstand. Manche glauben, dass sich dieser Rückstand durch so eine Black Box aufheben lässt. Das aber wird nicht der Fall sein.

Günter Lammering: Wir haben unsere Störung in den Griff bekommen, indem wir ein Drittel unserer Anlagen in den letzten vier Jahren modernisiert haben. Wobei wir schauen, was notwendigerweise erneuert werden muss, also Steuerung, Antrieb, Türlaufrollen. Und wir schreiben herstellerunabhängig aus, keine Bindung an einzelne Anbieter, um frei in der Wartung und in der Anschaffung von Ersatzteilen zu bleiben.

Die Komplexität der Anlagen wächst, das erzeugt zusätzliche Kosten, sagt Herr Lammering, und das ist auch nicht unbedingt der Sicherheit zuträglich, Herr Roas?

Das möchte ich so nicht stehen lassen. Ich bin schon der Meinung, dass es Sinn macht, das ist doch der Tenor unserer gesamten Diskussion. Man muss es sinnvoll machen, nicht ein digitales Hirn auf alles, sondern nur dort, wo es einen Nutzen bringt. Digitalisierung mit Augenmaß dort, wo das die Wirtschaftlichkeit der Anlagen verbessert.

Ludwig von Busse: Ein Aufzug erzeugt Daten, in einem Prüfbericht steht der Mangel, in einem Wartungsvertrag sind Konditionen festgehalten, eine Rechnung nennt Preise – damit entsteht eine große digitale Aufgabe, es braucht einen digitalen Zwilling einer jeden Aufzugsanlage. Damit lässt sich sicherstellen, dass die Daten aktuell und vollständig sind, somit kann ich Servicedienstleistungen anbieten. Auf der Basis dieser Daten kann ich Automatisierungen ermöglichen.

Inwieweit arbeiten Sie zusammen, um Sicherheitsnormen zu entwickeln?

Dieter Roas: Die Zusammenarbeit findet statt. Es gibt ein Beratergremium beim Bundesarbeitsministerium, darunter arbeiten diverse Projektgruppen und da sitzen alle Stakeholder beieinander. Da sind Aufzugsfirmen vertreten, Behördenvertreter, Prüforganisationen und Berufsgenossenschaften. Dort entsteht das Regelwerk.

Der Markt wird dominiert von vier großen Herstellern, von Schindler, Kone, Otis und ThyssenKrupp mit einem Marktanteil von 70 Prozent. Sie vermitteln Prüfaufträge für Hunderte Anlagen an eine Prüforganisation. Entsteht da nicht eine wirtschaftliche Abhängigkeit, die zu Gefälligkeitsgutachten führen kann?

Dieter Roas: Ich glaube, das ist etwas überspitzt. Richtig ist, mit den Vollwartungsverträgen wird auch die Prüfung an Betreiber verkauft. Es geht dabei um Auftragsvolumen von mehreren tausend Prüfungen pro Jahr. Das ist ein Thema, das sich unser Akkreditierer sehr genau anschaut. Man muss schon aufpassen, dass der Anteil eines Auftragsgebers nicht zu groß wird. Ich sehe die Gefahr, dass ein großer Auftraggeber versucht sein könnte, auf Prüfungen Einfluss zu nehmen. Das muss verhindert werden.

Günter Lammering: Das finde ich spannend, weil wir gerade darüber nachdenken, unsere ZÜS-Aufträge (ZÜS = Zugelassene Überwachungsstellen)neu zu vergeben und mit dem Lift-Management zu koppeln. Da wurde uns seitens der Auftragnehmer mitgeteilt, dass eine Kopplung der zwei Bereiche als problematisch erachtet wird. Hersteller dürfen mit der ZÜS zusammenarbeiten, Betreiber aber nicht.

Alexander Wüllner: Es gibt Prüforganisationen, die auch im Bereich Lift-Management unterwegs sind, und da gibt es tatsächlich Compliance-Regeln, die zu beachten sind. Wir sind als Beratungsunternehmen nicht mit einer ZÜS verbandelt und vergeben Prüfaufträge.

Jürgen Blank: Schindler hat sehr hohe Compliance-Anforderungen, und jeder Subunternehmer, der für uns arbeitet, ist zertifiziert. Wir setzen uns für die Prüfung verschiedene Dienstleister ein. Somit ist deren Unabhängigkeit gesichert.

Ludwig von Busse: Problematisch sehe ich es, wenn eine Lift-Managementfirma Teil einer Prüforganisation ist. Da sehe ich eine Grauzone.

Gibt es ein Schlusswort, meine Herren?

Jürgen Blank: Wir haben das Thema Service sehr intensiv besprochen, aber das ist nur ein Teil der Digitalisierung. Wir hätten genau so intensiv über BIM oder über Verkehrsplanung in neuen Gebäuden reden können. Wir haben ein kleines Segment von Digitalisierung betrachtet. Wir stehen vielleicht dort, wo wir mit dem I-Phone vor zehn Jahren waren.

Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan
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