Streugut muss nicht umgehend beseitigt werden
1. Ein Streupflichtiger ist nicht verpflichtet, das Streugut umgehend nach seiner Verwendung wieder zu beseitigen, da dieses in der Regel auch dazu dient, präventiv vor künftigen Gefahren durch Frost und Schnee zu schützen.
2. Die Auswahl des Streugutes obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Streupflichtigen.
(Leitsätze des Bearbeiters)
Grundstückseigentümer trifft in der Regel nicht nur die Pflicht zur Verkehrssicherung des Grundstücks, sondern aufgrund kommunaler Satzungen oftmals auch die Pflicht zum Räumen und Streuen des öffentlichen Fußweges. Das Streuen mit Salz ist aus Gründen des Umweltschutzes in vielen Städten und Kommunen verboten oder nur eingeschränkt möglich. Regelungen, die die Beseitigung des aufgebrachten Streugutes betreffen, existieren oftmals nicht. Im Übrigen tragen die Städte und Kommunen für öffentliche Wege und Straßen die Verkehrssicherungspflicht und sind für das Räumen und Streuen von Wegen und Straßen zuständig. Die Klägerin war im März 2015 mit ihrem Fahrrad auf einem für Fahrräder zugelassenen Gehweg gestürzt. An diesem Tag herrschte normale Witterung ohne Frost. Die beklagte Stadt hatte bereits damit begonnen, die Wege vom aufgebrachten Streugut zu beseitigen. An der Unfallstelle habe sich allerdings, so die Klägerin, noch restliches Streugut, ein Splitt-Sand-Gemisch, befunden, das zum Wegrutschen des Vorderrades und zum Sturz geführt habe. Das Streugut aus Splitt und Sand sei ungeeignet gewesen. Man habe Salz verwenden müssen.Problemstellung
Entscheidung
Durch den Sturz hat die Klägerin eine Verletzung an einer Hand erlitten, mit der ein Folgeschaden in Form einer dauerhaften Störung der Feinmotorik verbunden sei. Die Klägerin begehrt u.a. ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 Euro und den Ersatz eines Haushaltsführungsschadens von rund 24.000 Euro.
Die Klage hat keinen Erfolg.
Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung konnten weder Landgericht noch Oberlandesgericht feststellen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin gegen die Entscheidung des Landgerichts ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen.
Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung verlangt, so das Oberlandesgericht: „Im Verkehr Rücksicht auf Rechtsgüter anderer zu nehmen und Gefährdungen und Schädigungen nach Möglichkeit auszuschließen. Inhalt, Umfang und Grenzen der Verkehrssicherungspflicht bestimmen sich zum einen nach den berechtigten Sicherheitserwartungen des Verkehrs und andererseits nach der wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Verpflichteten. Dabei kann kein Maß an Sicherheit verlangt werden, das jegliche Gefährdungen vollkommen ausschließt.“
Es kann vom Streupflichtigen nicht verlangt werden, dass er das von ihm pflichtgemäß aufgebrachte Streugut gleich nach der Verwendung wieder beseitigt, da das eingesetzte Gemisch durch den Einsatz aufgrund der streupflichtigen Situation nicht verbraucht ist, sondern auch dazu dient, die von künftigen Schneefällen und Eisauftritt ausgehenden Gefahren zu mindern. Das gewählte Gemisch mit Splitt sei auch gebräuchlich. Zudem steht die Auswahl der Streumittel im Ermessen des Streupflichtigen. Auch sei im Frühjahr noch mit Frost zu rechnen.
Die Beklagte habe auch keinen Vertrauenstatbestand dadurch geschaffen, dass Streurückstände an anderen Stellen beseitigt wurden. Auf den im Rahmen des Rechtsstreits vorgelegten Fotografien ist zu sehen, dass auch an anderen Orten des Weges noch Streugut nicht beseitigt war. Zudem müsse man im März noch mit Streugut auf Geh- und Radwegen rechnen. Die Klägerin hätte ihre Fahrweise entsprechend anpassen müssen.
Konsequenzen
Die Entscheidung ist kein Freibrief für den Verkehrssicherungspflichtigen. Insbesondere dann, wenn nach dem Abtauen von Schnee größere Mengen von Splitt und Sand zurückbleiben, aus denen sich selbst eine Rutschgefahr ergeben können, ist diese Gefahr zu beseitigen.
Ein Verkehrsteilnehmer muss aber seinerseits damit rechnen, dass in der Winterzeit und auch noch im Frühjahr Wege und Straßen häufig nur mit abstumpfenden Mitteln, wie Splitt und Sand, gestreut und diese nicht umgehend nach Ende der Frostperiode und erst recht nicht während der Winterzeit beseitigt werden.
Praxistipp
Die Entscheidung zeigt, dass jeder Verkehrsteilnehmer auch ein eigenes Risiko trägt und sich im Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos einstellende Schäden nicht zur Ersatzpflicht führen. Diese gilt nicht nur dann, wenn die Kommune für die Räum- und Streupflicht zuständig ist, sondern auch dann, wenn diese einen Gebäudeeigentümer trifft.
Da für die Räum- und Streupflicht oftmals detaillierte Satzungen der jeweiligen Stadt oder Kommune existieren, sollte jeder Grundstückseigentümer vor der Winterzeit sich über die für ihn geltenden Regelungen informieren. Es finden sich Regelungen zum zu verwendenden Streugut bis hin zu konkreten Regelungen an Wochen- sowie Sonn- und Feiertagen. Vor dem Einsatz von Salz sollte auf jeden Fall geprüft werden, ob und wo das Streuen mit Salz zulässig ist. Anderenfalls können Bußgelder drohen.
Im Herbst sind im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht Wege von Laub oder Ästen zu befreien. Daneben ist eine Grundstücks- und Gebäudeeigentümerhaftpflichtversicherung unerlässlich.
Auch Mieter dürfen die Verkehrssicherung nicht ausblenden. In einer Vielzahl von Fällen sehen nämlich die Mietverträge die Abwälzung der Räum- und Streupflicht auf den Mieter vor. Dies ist selbstverständlich kein Freibrief für den Eigentümer, der auch bei Abwälzung auf den Mieter oder auch bei Beauftragung eines Reinigungsunternehmens verpflichtet ist, zumindest stichprobenartig zu prüfen, ob der Räum- und Streupflicht nachgekommen wird. Stellt er dabei Defizite fest, muss er umgehend für Abhilfe sorgen. Ansonsten haftet er trotz der Abwälzung. OS
Dr. Olaf Steckhan

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