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Zwangsräumung trotz Covid-19-Pandemie

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 Bild: Joachim Lechner/stock.adobe.com
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1. Zwangsräumungen sind durch den Gerichtsvollzieher auch während der Covid-19-Pandemie durchzuführen, soweit der Vollstreckung nicht die jeweils geltende „Corona-Verordnung“ des Bundeslandes, in dem die Mieträume gelegen sind, eine Zwangsvollstreckung untersagen.

2. Während der Vollstreckung sind, soweit möglich, die jeweils geltenden Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen einzuhalten und durch den Gerichtsvollzieher gegebenenfalls Schutzmaßnahmen anzuordnen.

(Leitsätze des Bearbeiters)

AG Fulda, Urteil vom 18.06.2020 – 51 M 1342/20

Problemstellung

Ein gegen einen Mieter ergangener Räumungstitel wird, wenn der Mieter nicht freiwillig die von ihm bewohnte Wohnung räumt, durch den Gerichtsvollzieher vollstreckt. Hierzu muss sich der Gerichtsvollzieher zuweilen unter Mitwirkung eines Schlüsseldienstes oder der Polizei Zutritt zu den Räumen verschaffen und durch ein Speditionsunternehmen die Wohnung räumen lassen.

Die Covid-19-Pandemie stellt dabei auch Gerichtsvollzieher vor neue Herausforderungen. Es stellt sich dabei die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gerichtsvollzieher eine beantragte Zwangsräumung durchführen muss.

Entscheidung

Im April 2020 wurde ein Gerichtsvollzieher beauftragt, aufgrund eines Versäumnisurteils aus Februar 2020 eine Zwangsräumung einer in Hessen gelegenen Wohnung durchzuführen und baldmöglichst einen Räumungstermin anzuberaumen.

Der Gerichtsvollzieher hat nach Eingang des Vollstreckungsauftrages darauf hingewiesen, dass die aktuell (in Hessen) vorgeschriebenen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie derzeit eine zwangsweise Räumung nicht zulassen und ein Termin erst dann bestimmt werde, wenn die Situation dies zuließe.

Der die Vollstreckung betreibende Gläubiger legt hiergegen den Rechtsbehelf der Erinnerung ein. Der Gerichtsvollzieher hilft der Erinnerung nicht ab und hält an seiner Auffassung fest. Er stützt sich dabei auf eine Stellungnahme des Deutsche Gerichtsvollzieher Bund e.V., wonach bei einer Räumung die bundesweiten Maßnahmen gegen das Corona-Virus einzuhalten seien. Dieser habe empfohlen:

„In der Öffentlichkeit Abstand halten. Am besten 1,5 Meter zur nächsten Person, besser noch 2 Meter. Jede Gerichtsvollzieherin und jeder Gerichtsvollzieher prüft in oberster Priorität die Möglichkeiten des vollumfänglichen Eigenschutzes sowie die gesellschaftliche Verantwortung gegen die Ausbreitung des Corona-Virus gegenüber Dritten.

Wenn dieser Eigenschutz und der Schutz Dritter (Kontaktverbot) aus verschiedenen Gründen nicht gewährleistet werden kann, kann aus unserer Sicht eine Vollstreckungsmaßnahme nicht stattfinden.“

Zudem sei es aufgrund der Vielzahl an der Räumung beteiligten Personen unmöglich, die Abstands- und Hygienevorgaben einzuhalten.

Das sieht das Amtsgericht Fulda anders und weist den Gerichtsvollzieher an, die beantragte Zwangsvollstreckungsmaßnahme nicht allein mit der angegebenen Begründung zu verneinen.

Ob die Zwangsvollstreckung derzeit nicht durchgeführt werden kann, hängt von den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften zur Covid-19-Pandemie ab, hier von der ab dem 22. Juni 2020 geltenden Hessischen Verordnung zur Beschränkung von sozialen Kontakten und des Betriebes von Einrichtungen und von Angeboten aufgrund der Corona-Pandemie (Corona-Verordnung).

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Zwar sieht diese vor, dass beim Aufenthalt im öffentlichen Raum Gruppen von höchstens zehn Personen zulässig und bei Begegnungen mit anderen Personen ein Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten sind. Allerdings verbietet die Corona-Verordnung die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen nicht. Vielmehr sehe die Corona-Verordnung vor, dass Sitzungen und Verhandlungen sowie andere richterliche Amtshandlungen unter Beachtung des Mindestabstandsgebotes durchgeführt werden sollen. Für den Fall, dass ein solcher Mindestabstand jedoch nicht eingehalten werden kann, soll nach der Corona-Verordnung dem Risiko einer Infektion durch eine andere geeignete Schutzmaßnahme begegnet werden.

Da die Corona-Verordnung ausdrücklich Ausnahmen von dem generellen Kontaktverbot vorsieht, kann eine Zwangsräumung nicht mit dem Hinweis auf dieses Kontaktverbot abgelehnt werden. Vielmehr ist die Ausnahme für Zwangsräumungen, wie auch für gerichtliche Verhandlungen, unerlässlich für das Funktionieren des Rechtsstaates.

Der Gerichtsvollzieher muss daher versuchen, dass die Abstandsregelungen und Hygienemaßnahmen eingehalten und umgesetzt werden. Ist dies nicht möglich, hat der Gerichtsvollzieher gegebenenfalls Schutzmaßnahmen anzuordnen, die das Risiko einer Infektion minimieren.

Konsequenzen

Auch wenn es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, sollte jeder betroffene Gläubiger für den Fall, dass der Gerichtsvollzieher eine Räumung unter Hinweis auf die Covid-19-Pandemie ablehnt, Erinnerung einlegen. Das Vollstreckungsgericht hat dann zu prüfen, ob eine umgehende Zwangsräumung mit dem allgemeinen Hinweis abgelehnt werden kann. Aufgrund der verschiedenen Regelungen der einzelnen Bundesländer und insbesondere auch der in den Kommunen stark variierenden Infektionszahlen, wird es aber immer eine Entscheidung des Einzelfalls sein.

Wie die Gerichte entscheiden werden, ist kaum zu prognostizieren, da die Corona-Verordnungen der einzelnen Länder nicht nur stark unterschiedlich ausgeprägte Regelungen zu Kontaktverboten, Abstandsregelungen etc. beinhalten, sondern die Corona-Verordnungen ständig der aktuellen Lage überarbeitet und angepasst werden.

Es verbleibt auch die Unsicherheit, welche Schutzmaßnahmen vom Gerichtsvollzieher angeordnet werden können. Mehr als die Anordnung des Tragens eines Mund-Nase-Schutzes dürfte ihm kaum möglich sein.

Praxistipp

Unabhängig von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gerichtsvollzieher derzeit von der Anberaumung eines Räumungstermins absehen kann, haben auch die betroffenen Mieter die Möglichkeit, eine Räumung zu verhindern. Aufgrund der Covid-19-Pandemie könnte beispielsweise die Suche nach Ersatzwohnraum schwierig sein oder der Mieter einer Risikogruppe angehören. Der Mieter kann dann seinerseits Vollstreckungsschutz und z.B. die Einräumung einer Räumungsfrist beantragen. Auch muss der Gerichtsvollzieher unter Umständen die besondere Gefährdung eines Mieters von sich aus berücksichtigen und die Vollstreckungsmaßnahme gegebenenfalls aufschieben. OS

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Seite 34 bis 35