Architektenhaftung

Eine Honorarminderung wegen fehlender Kostenermittlung ist auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der geleisteten Tätigkeiten zu schätzen.
Sie kann entfallen, wenn das vereinbarte Honorar die Mindestsätze nach § 4 Abs. 2 HOAI unterschreitet, was der Architekt darzulegen hat.
Ein Architekt ist zu einer rechtsberatenden Tätigkeit des Bauherrn weder berechtigt noch verpflichtet; regelmäßig reicht es aus, wenn er dem Bauherrn gängige Vertragsmuster mit Vertragsstrafen für die Bauunternehmer aushändigt.
Der Architekt muss jedoch wissen, dass Vertragsstrafen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ohne Festlegung einer Obergrenze vereinbart werden können.

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Der Sachverhalt
In einer soeben veröffentlichten Entscheidung der Oberlandesgerichts (OLG) Hamm(1) befasste sich das Gericht mit wesentlichen Fragen zum Architektenrecht. Drei Gesichtspunkte wurden hier angesprochen. Zunächst hatte das Gericht zu klären, ob bei einem Pauschalhonorar(2) über die Leistungsphasen 1-9(3) eine Kostenermittlung(4) Bestandteil des Architektenvertrages ist. Ferner äußerte sich das Gericht zu der Frage, welche rechtliche Beratung der Architekt dem Auftraggeber schuldet. Schließlich wurde die Frage geklärt, inwieweit für nicht erbrachte Leistungen (Kostenermittlung) und für falsche Beratung (Vereinbarung einer unwirksamen Vertragsstrafeklausel) ein Honorarabzug bzw. eine Haftung des Architekten mit Schadensersatz gegeben ist.
Die Kläger beauftragten den Beklagten Architekten im Rahmen eines Neubauvorhabens. Hierzu schlossen die Parteien einen Vertrag über die Erbringung der in § 15 HOAI genannten Leistungsphasen 1-9. Im Rahmen der Beauftragung einer Baufirma, der G-GmbH, hat der Architekt ein Vertragsformular verwandt, dass eine unwirksame Vertragsstrafeklausel enthielt.
Die Kläger verlangen vom Architekten eine Minderung des Architektenhonorars, weil der Architekt keine Kostenermittlung vorgelegt hat. Ferner verlangt der Kläger von dem Architekten Schadensersatz, weil der Kläger gegenüber der G-GmbH keine Vertragsstrafe durchsetzten kann.

Die Entscheidung
Das OLG Hamm untersuchte zunächst die Frage, ob im vorliegenden Fall die Kostenermittlung Vertragsbestandteil geworden war. Hierzu führte es aus, dass in der Regel die Auslegung des Vertrags ergäbe, dass dem Architekten damit auch die Verpflichtung auferlegt werden solle, die im § 15 HOAI hinsichtlich der verschiedenen Leistungsphasen genannten Kostenermittlungen vorzunehmen. Davon könne auch im vorliegenden Fall ausgegangen werden. Der Zweck der Kostenermittlung, eine vom Planungsstand abhängige Information über die voraussichtlichen Kosten des Bauwerks zu erhalten, war für die Kläger, wie auch die tatsächliche Kostenentwicklung gezeigt habe, von wesentlicher Bedeutung. Diese der Üblichkeit entsprechende Interessenlage war dem Beklagten bekannt, sodass sie die Nennung der Leistungsphasen 1-9 im Architektenvertrag dahin verstehen mussten, die Kostenermittlung als Teilleistung zu schulden. Daran ändere sich auch nichts, weil ein Pauschalhonorar vereinbart worden war. Zwar entfiele damit die Notwendigkeit, das Architektenhonorar gemäß § 19 Abs. 2 HOAI für die einzelnen Leistungsphasen nach den für sie jeweils maßgeblichen Kostenermittlungen zu berechnen. Der wesentliche Zweck der Kostenermittlung, ein Überblick über die Kostenentwicklung zu gewährleisten, war dadurch jedoch nicht berührt.
Die Pflicht der Beklagten zur Aufstellung der Kostenermittlung entfiele ferner nicht dadurch, dass der Kläger verschiedene Gewerke ohne Einbeziehung der Beklagten vergeben und diese über die hierauf entfallen Kosten nicht unterrichtet habe. Das Vorgehen durften die Beklagten nicht dahin verstehen, dass von Ihnen keinerlei Kostenermittlung mehr erwartet werde. Vielmehr hätten die Kläger die Beklagten mit Schreiben vom 11.09.1992 unter Hinweis auf vorangegangene Telefonate ausdrücklich zu einer Kostenaufstellung und Kostenkontrolle aufgefordert. Die mit dem Abschluss des Architektenvertrages vereinbarte Pflicht, Kostenermittlungen vorzunehmen könne in Folge der späteren Vergabepraxis somit nur insoweit als eingeschränkt angesehen werden, als die Beklagten Kosten nicht zu berücksichtigen brauchten, über die die Kläger sie nicht informieren wollten.
Eine Kostenschätzung sei allerdings erfolgt. Unzureichend war die Tätigkeit der Beklagten jedoch in Hinblick auf eine Kostenberechnung, einen Kostenanschlag und eine Kostenfestsstellung. Die Beklagten hätten den Beklagten lediglich Schätzungen über die Baukosten, Angebotsaufstellungen zu verschiedenen Gewerken und eine „vorläufige Kostenzusammenstellung“ anhand damals vorliegender Rechnungen und Angebote zugänglich gemacht.
Um geordnete Darstellungen im Sinne der einzelnen Kostenermittlungsarten, die die Kläger abhängig vom Planungsstand über die voraussichtlichen Kosten informiert hätten, handle es sich dabei nicht. Es fehle eine hinreichende Dokumentation, Kontrolle und Zusammenstellung der Kosten in den jeweils maßgeblichen Phasen der Planung und Errichtung des Bauwerks auch für die Gewerke, die von den Beklagten betreut wurden.
Die teilweise Nichterfüllung der vertraglich geschuldeten Leistungen durch einen Architekten führte zwar nicht unmittelbar dazu, dass sein Vergütungsanspruch insoweit von vorne herein ausscheiden würde. Erbringe der Architekt eine vertraglich geschuldete Leistung nicht, entfiele sein Honoraranspruch ganz oder teilweise aber dann, wenn der Tatbestand einer Regelung des allgemeinen Leistungsstörungsrechts des BGB oder des werkvertraglichen Gewährleistungsrechts erfüllt sei, die den Verlust oder die Minderung der Honorarforderung als Rechtsfolge vorsehe.
Im vorliegenden Fall sei eine Minderung gerechtfertigt, obwohl die Kläger dem Beklagten eine Frist mit Ablehnungsandrohung in Sachen § 634 Abs. 1 Satz 1 BGB für eine Erstellung ordnungsgemäßer Kostenermittlungen gesetzt hätten. Eine nachträgliche Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung sei entbehrlich, weil sie nicht mehr zu einer Vertragsgerechten Leistung führen könne. Die Kostenermittlungen müssten nämlich grundsätzlich in den Leistungsphasen erbracht werden, denen sie in der HOAI zugeordnet seien. Andernfalls können sie ihren Zweck, dem Bauherrn zeitgerecht über die voraussichtlichen zu unterrichten nicht mehr erfüllen.
Einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung bedürfe es durch den Bauherrn grundsätzlich auch nicht in dem Zeitraum, in dem der Architekt die jeweils entstehende Kostenermittlung vorzulegen hätte. Dem Bauherrn sei es im Gegensatz zum Architekten nicht zuzumuten, den zeitlichen Ablauf der Planung und der Errichtung des Bauwerkes in einer Weise zu begleiten, die ihm die Beurteilung ermögliche, wann der Architekt architektentypische Leistungen, zum Beispiel Kostenermittlungen zu erbringen habe.
Hierfür bediene er sich gerade des Architekten, der ihm deshalb grundsätzlich nicht entgegenhalten könne, ihn nicht rechtzeitig zu bestimmten Arbeiten angehalten zu haben.
Die Minderung des Honorars würde möglicherweise ausscheiden, wenn das vereinbarte Honorar entgegen § 4 Abs. 2 HOI ohnehin bereits unzulässig niedrig gewesen wäre. Dafür könne zwar sprechen, dass die Beklagten in ihrem ursprünglichen Angebot vom 10.04.1991 ausgehend von Herstellungskosten von 665.260,00 DM und dem Mittelsatz der Honorarzone III ein Honorar von 67.512,03 DM brutto errechnet hätten, während man sich im Vertrag vom 19./21.04.1991 auf ein Pauschalhonorar von 60.000 DM brutto geeinigt hätte. Die Beklagten hätten jedoch nicht dargelegt, dass dieser Betrag unter dem sich nach Maßgabe der richtiger Weise anzusetzenden Berechnungsfaktoren ergebenden Mindesthonorar gelegen hätte.
Das Gericht ging bei der Schadenersatz-Frage davon aus, dass die Beklagten ihre Pflichten gegenüber dem Kläger verletzt haben, indem sie diesen für den mit der G-GmbH zu schließenden Vertrag, ebenso für die mit anderen zu schließenden Verträge, ein Vertragsformular über „allgemeine und technische Vertragsbedingungen“ zur Verfügung gestellt haben, indem eine als allgemeine Geschäftsbedingung unwirksame Vertragsstrafeklausel vorgesehen war. Diese Klausel wies entgegen der bereits damals bekannten Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes keine Begrenzung nach oben auf und verstieß deshalb § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz. Hierzu führte das Gericht folgendes aus. Ein Architekt sei zwar, worauf das Landgericht abgestellt habe, zu einer rechtsberatenden Tätigkeit grundsätzlich weder berechtigt noch verpflichtet. In der Regel würde es ausreichen, wenn er dem Bauherrn gängige Vertragsmuster aushändigen würde. Die Grundsätze des Werkvertragsrechts müsse der Architekt jedoch beherrschen. Wenn diese in von ihm verwandten Vertragsmustern nicht eingehalten seien, müsse ihm dies auffallen. Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe für den Fall der Bauzeitverzögerung sei ein allgemein üblicher Bestandteil von Bauverträgen. Man werde von einem Architekten deshalb eventuell das Wissen verlangen können, dass eine solche Vereinbarung in allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ohne Festlegung einen Obergrenze getroffen werden könne.
Im vorliegenden Fall kam eine Haftung der Architekten nur deshalb nicht in Betracht, weil die Kläger die Voraussetzungen des Anspruchs nicht nachvollziehbar dargelegt hätten. Die Kläger hätten es verabsäumt darzustellen, dass die G-GmbH die vorgesehene Bauzeit schuldhaft um 45 Tage überzogen hätte und damit eine Vertragsstrafe verwirkt hätten, wenn die Vertragsstrafeklausel wirksam gewesen wäre. Das pauschale Vorbringen, die G-GmbH habe die vorgesehene Zeit um 65 Tage überschritten reichte dem Gericht nicht aus.

Fazit
Erbringt der Architekt im Rahmen eines Architektenvertrages (auch eines Pauschalvertrages) Teile der Leistungsphasen nicht, so kann unter Umständen das Architektenhonorar gemindert werden. Zudem stellte das Oberlandesgericht klar, dass vom Architekten erwartet werde, dass er in seinen Vertragsmustern mit den ausführenden Firmen eine wirksame Vertragsstrafe vereinbaren muss und er andernfalls dem Bauherrn auf Schadensersatz haftet, wenn der Bauherr wegen der unwirksamen Vertragsstrafeklausel mit seiner Forderung ausfällt.

Der Autor
Dr. Ernst-Michael Ehrenkönig ist als Rechtsanwalt und Notar in Berlin tätig. Der Tätigkeitsschwerpunkt im Anwaltsbereich liegt im Mietrecht und zivilen Baurecht.

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schreibt vor, dass zu Prozessen, bei denen personenbezogene Daten verarbeitet werden, der Verantwortliche Verfahrensverzeichnis führen muss. Insbesondere bei einer Prüfung durch die Datenschutzbehörden muss der Verantwortliche...

Literatur:
(1) OLG Hamm, Urteil vom 15.02.2005 (AZ:21 U 27/04), Baurecht 2005,1350.

(2) § 4 HOAI lautet: „Vereinbarung des Honorars:
Die Vereinbarung eines Pauschalhonorars ist grundsätzlich zulässig. Die Vereinbarung darüber muss aber bei Auftragserteilung schriftlich getroffen werden. Andernfalls gelten die Mindestsätze nach § 4 Abs. 4 HOAI. Bei der Vereinbarung eines Pauschalhonorars müssen mehrere Dinge beachtet werden. Unterschreitet zum Beispiel das Pauschalhonorar die Mindestsätze, ohne das die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 HOAI vorliegen, so ist die Pauschalvereinbarung unwirksam. Dann gelten die Mindestsätze als vereinbart.“

(3) Die Leistungsphasen 1-9 HOAI:
1. Grundlagenermittlung
Ermitteln der Voraussetzungen zur Lösung der Bauaufgabe durch die Planung
2. Vorplanung (Projekt- und Planungsvorbereitung)
Erarbeiten der wesentlichen teile einer Lösung der Planungsaufgabe
3. Entwurfsplanung (System- und Integrationsplanung)
Erarbeiten der endgültigen Lösung der Planungsaufgabe
4. Genehmigungsplanung
Erarbeiten und Einreichen der Vorlagen für die erforderlichen Genehmigungen oder Zustimmungen
5. Ausführungsplanung
Erarbeiten und Darstellen der ausführungsreifen Planungslösung
6. Vorbereitung der Vergabe
Ermitteln der Mengen und aufstellen von Leistungsverzeichnissen
7. Mitwirkung bei der Vergabe
Ermitteln der Kosten und Mitwirkung bei Auftragsvergabe
8. Objektüberwachung (Bauüberwachung)
Überwachen der Ausführung des Objekts
9. Objektbetreuung und Dokumentation Überwachen der Beseitigung von Mängeln und Dokumentation des Gesamtergebnisses

(4) Es ist für die Kostenkontrolle während der Bauphase wichtig, nach dem jeweiligen Leistungsstand über die Kosten informiert zu sein. Es ist zwischen folgenden Kostenermittlungsarten zu unterscheiden:
Die Kostenschätzung dient zur überschlägigen Ermittlung der Gesamtkosten und ist vorläufige Grundlage für Finanzierungsüberlegungen (Leistungsphase 2).
Die Kostenberechnung dient zur Ermittlung der angenäherten Gesamtkosten und ist Voraussetzung für die Entscheidung, ob das Bauvorhaben wie geplant durchgeführt werden soll, sowie als Grundlage für die erforderliche Finanzierung (Leistungsphase 3).
Der Kostenvoranschlag dient zur genauen Ermittlung der tatsächlich zu erwartenden Kosten durch die Zusammenstellung von Kosten und Gebühren (Leistungsphase 7).
Die Kostenfeststellung dient zum Nachweis der tatsächlich entstandenen Kosten und ist Voraussetzung für Vergleich und Dokumentation (Leistungsphase 8).

Redaktion (allg.)

Pixabay/ Mohamed_hassan

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