Hamburger Wohnbaukasten
Besondere Situationen, erfordern besondere Lösungen. Das gilt längst auch für den massiven Wohnungsmangel in Hamburg. Schnell und kostengünstig
soll es beim Bauen sein – um dieses Ziel im großen Stil umzusetzen, hat die städtische Saga Unternehmensgruppe bundesweit als erstes Unternehmen Typengenehmigungen für Wohngebäude erlangt. „Bisher existieren vergleichbare Typengenehmigungen sonst nur in der Industrieund Energiebranche, etwa für Hallen und Windräder“, berichtet Thomas Krebs, Vorstandschef der Saga.
Finanzierbare Neubaten
Mindestens 10.000 Wohnungen sollen in Hamburg pro Jahr genehmigt werden, so das vom Senat ausgegebene Ziel für die Elbmetropole. Im „Bündnis für Wohnen“ vereinbaren der Senat, Verbände der Wohnungswirtschaft und die Saga Maßnahmen und Zielzahlen. Im Rahmen dieser großangelegten Kooperation hat die Saga, mit 132.000 Wohnungen Hamburgs größte Vermieterin, durchschnittlich 2.000 Baubeginne jährlich beschlossen. „Das Systemhaus- Konzept wird dabei helfen, diese historisch hohe Neubauleistung in den kommenden Jahren abzusichern und preisgedämpfte frei finanzierte Wohnungen, aber auch öffentlich geförderte Wohnungen zu ermöglichen“, erklärt Krebs. Die ersten Systemhäuser werden an der August-Krogmann- Straße im Hamburger Stadtteil Farmsen gebaut, bis zum Jahr 2020 sind die drei Abschnitte mit rund 400 Wohnungen fertig. „Wir realisieren hier keine Schlichtbauweise, sondern anspruchsvolle Architektur“, unterstreicht Krebs (s. a. Kasten).
Insgesamt acht Pilotvorhaben mit rund 1.500 Wohnungen von der Stange plant das Unternehmen derzeit in dieser Bauweise. Jedes mögliche Modul ist dabei durchgetrimmt und von den Behörden bereits typengenehmigt. Dies ersetzt zwar nicht vollends die Baugenehmigung, für neue Projekte aus dem Baukasten bedarf es aber in erster Linie nur noch der Klärung einiger ortsspezifische Fragen. Details werden noch projektbezogen zusammen mit den jeweiligen Bezirksämtern und teils mit dem Hamburger Oberbaudirektor festgezurrt. Das sonst so komplexe und zeitaufwendige Verfahren verkürzt sich so um die Hälfte.
Systemhauskonzept schreitet voran
Die Zeitersparnis macht das Systemhaus weit günstiger als den herkömmlichen Bau – unterm Strich sollen es 20 Prozent weniger sein. Die Mieter rauchen so nur rund 8 Euro kalt zahlen. „Nicht nur die beschleunigte Bearbeitung des Bauantrags ergibt Einsparungen, sondern beispielsweise auch gleiche Treppenhäuser oder Aufzugsschächte“, erklärt Krebs. Synergien entstünden zudem durch eine industrielle Vorproduktion von Bauteilen, die sich im Dialog mit der Bauwirtschaft in Ausschreibungen heben lassen. „Im Ergebnis können wir so unsere Neubauleistung perspektivisch vor Kostensteigerungen absichern.“ Weiterhin verspricht man sich vom erwarteten großen Neubauvolumen spürbare Skaleneffekte, die die Kosten ebenfalls drücken. Um das Systemhaus weiter zu optimieren, kooperiert die Saga mit der Hamburger Architektenkammer und tauscht sich mit der Bauindustrie aus.
Günstig von der Stange und gleichzeitig flexibel, so die Idee hinter dem Konzept. „Die Herausforderung bestand darin, eine Wohnbaukasten zu entwickeln, der auf vielfältige städtebauliche Bedürfnisse und Baugrenzen in den B-Plänen reagieren kann“, berichtet Krebs. Das Systemhaus basiert auf der Entwicklung einer begrenzten Anzahl von Gebäudetypen, für die jeweils eine Typengenehmigung eingeholt wird. Die Wohnungen orientieren sich dabei um einheitliche, aussteifende Treppenhauskerne. Die Trennwände zwischen den Einheiten bilden zusammen mit den Außenwänden und Schachtpositionen die statische Struktur und damit den Hauptbestandteil der Typengenehmigung. Die Grundrisse der Wohnungen hingegen lassen sich in der Regel nach Bedarf verändern. „Der Wohnbaukasten wiederholt nicht einfach ein Einzelbauwerk, sondern umfasst einen abgestimmten Kanon von statisch weitgehend gleichen, aber anpassungsfähigen Systemhäusern“, so Krebs. Die verschiedenen Module können dabei auf vielerlei Weise variiert werden. So lassen sich die Zwei-, Drei-, Vierspänner und Eckgebäude in unterschiedlicher Höhe von vier bis acht Geschossen miteinander kombinieren. Ob Zeilen, eschlossene oder geöffnete Blockrandstrukturen – gut 40 verschiedene Modelle sind möglich, dazu kommen noch 17 Reihenhaustypen. Die Gebäude mit Wohnungen unterschiedlicher Größe, immer wieder anders angeordnet, lassen sich dann weiter durch einzelne Bauteile, wie Fensterformate und -positionen, Fassadenmaterial oder Brüstungen variieren.
Auch Kitas passen in die Typenhäuser
Hamburg verdichtet nicht nur innerstädtisch, sondern setzt unter dem Motto „Mehr Stadt an neuen Orten“ punktuell auch auf die Stadterweiterung. Für diese
Quartiere gilt es die nötige Infrastruktur mit Kindergarten, Supermarkt, Apotheke und Ärzten mitzuplanen. Entsprechend hat die Saga das Systemhaus so konzipiert, dass sich durch sogenannte „intelligente Schnittstellen“ über Keller und Erdgeschoss etwa auch Läden oder Kindertagesstätten unterbringen lassen. „Wir haben dies beispielsweise für Kita-Planungen mit bis zu 110 Kindern verifiziert“, so Krebs. Die Basis für das Systemhaus wurde mit dem Sonderbauprogramm für Flüchtlingsunterkünfte gelegt, hier galt es schnell 1.200 Wohnungen zu realisieren. Daraus entwickelte die Saga ein Rezept der Typisierung und Duplizierung, auf dem das neue serielle Konzept aufbaut. Die Typengenehmigung erarbeitete die Saga dann gemeinsam mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, dem Amt für Bauordnung und Hochbau und den Bezirksämtern. „Dies ist deutschlandweit bisher ein einmaliger Vorgang und eigentlich eine kleine Sensation“, sagt Krebs. Die Hamburgische Bauordnung enthielt, im Gegensatz zu denen anderer Bundesländer, zwar bereits eine Vorschrift zur Typengenehmigung, aber keine Beispiele für veränderliche Typengenehmigungen im Wohnungsbau. „Hier einen Genehmigungsprozess zu etablieren, war eine echte Herausforderung“, berichtet Krebs: „Es ging um die Quadratur des Kreises.“ Von der Bearbeitung der bautechnischen Details bis hin zur finalen Typengenehmigung – für das komplexe Aufstellungs- und Genehmigungsverfahren mussten sich die Beteiligten immer wieder abstimmen. „Ohne den vorbildlichen kooperativen Prozess wäre das Systemhaus nicht zu realisieren gewesen“, resümiert Krebs.
Jedes Typenhaus lässt sich individualisieren
Einig war man sich von Anfang an, die Fehler aus den 1960er- und 1970er-Jahren nicht zu wiederholen. Und so distanziert sich das Saga-Systemhaus bewusst von den schnell hochgezogenen Großsiedlungen, die in der späten Nachkriegsphase das drängende Wohnungsproblem auffangen sollten. „Durch unterschiedliche Geschosshöhen sowie den variierenden Ausführungen, die im Zuge der Leitdetailplanung mit dem Oberbaudirektor abgestimmt wurden, kann jedes Gebäudes individualisiert werden“, betont Krebs. Die Anpassungsfähigkeit ermöglicht es, dem jeweiligen städtebaulichen Quartierskontext gerecht zu werden. Somit werde sich das Systemhaus – anders als die Großwohnsiedlungen der Nachkriegszeit – städtebaulich nicht von der gewachsenen Struktur unterscheiden. „Durch die Ausführung als preisgedämpften und öffentlich-geförderten Mietwohnungsbau schaffen wir lebenswerte und durchmischte Quartiere“, versichert Krebs. In Konsortialprojekten entstünden zudem Wohnungen im Hamburger Drittelmix – Entsprechend der Linie der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, die bei großen Bauvorhaben auffordert, mindestens zu einem Drittel Sozialwohnungen zu errichten, ein weiteres Drittel dann als frei finanzierte Mietwohnungen und ein Drittel dürfen Eigentumswohnungen sein. Ob an lauten Straßen oder auf schwierigen Grundstücken – mit den flexiblen Grundrissen in Kombination mit technischen Lösungen reagiert das Systemhaus auch auf kompliziertere Anforderungen zum Brandschutz oder Lärmbelastung und nutzt Baufelder wirtschaftlich aus. Nur für eine kleinteilige Verdichtungen ist das Konzept nicht gedacht, „es wird also weiterhin auch den sogenannten Manufakturwohnungsbau bei der Saga geben“, sagt Krebs.
Redaktion (allg.)
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