Plattenbauten sind zu schade zum Abreißen

Vor mehr als 50 Jahren schon wurde in Modulweise gebaut: Die Plattenbauten sind überwiegend aus Fertigteilen errichtet. Es existiert viel Wohnraum überwiegend in den neuen Bundesländern. Die Wohnungen sind auch heute noch begehrt. Zum einen, weil Otto-Normal-Verbraucher sie bezahlen kann. Zum anderen, weil die Substanz der Wohngebäude intakt ist. Die Rostocker Baugenossenschaft Neptun eG saniert einen Plattenbau in Lütten Klein lieber, als ihn abzureißen.

Die Erweiterungsmodule für die Plattenbau-Sanierung wurden vorgefertigt angeliefert. BILD: Bertold Fabricius/ VNW
Die Erweiterungsmodule für die Plattenbau-Sanierung wurden vorgefertigt angeliefert. BILD: Bertold Fabricius/ VNW

„Anbauten“ verändern Grundrisse der Wohnungen

2,50 Meter machen sehr viel aus. Von außen haben Bauarbeiter ein quadratisches Betonelement an die Fassade „geflanscht“ und so die Mauer um 2,50 Meter nach außen „verschoben“. Auch auf der anderen Gebäudeseite sorgt der Anbau von Erkern für mehr Platz in einer Wohnung. Da, wo früher das Küchenfenster war, ist die Wand herausgenommen worden. Wer in der Küche steht, merkt sofort den „Komfort der Größe“. Mehr Platz, mehr Luft, mehr Bewegungsfreiheit.

Das Wohngebäude stammt aus dem Jahre 1968. Der langegezogene Block in der Helsinkier Straße in Rostock hat fünf Eingänge und fünf Stockwerke. Die Eingänge führen zu insgesamt 100 Wohnungen.

Die Menschen wollen mehr Wohnfläche

Die Grundrisse der Wohnungen konnten bislang nur in engen Grenzen verändert werden. Zwar wurden Wohnungen zusammengelegt, auch gern über zwei Etagen. Wohnungen mit deutlich größeren Zimmern jedoch entstanden, wenn auch in  berschaubarer Zahl, zumeist nur durch Aufstockung. In der zweiten Etage sind die Außenwände schon entfernt, aber der Grundriss der Wohnung ist noch alt: zwei kleine Zimmer, eine schmale Küche, die über einen Durchgang durch Bad und Toilette zu erreichen ist.

Als der Wohnblock vor gut 50 Jahren gebaut wurde, war das der „letzte Schrei“. Eine Neubauwohnung war einem „Sechser im Lotto“ vergleichbar. Inzwischen gilt „Klein, aber mein“ nicht mehr. Heutige Mieterinnen und Mieter wollen oftmals zwar nicht umziehen, haben aber höhere Ansprüche als früher. Mehr Platz im Bad für eine Dusche, mehr Platz in der Küche. Wer das Rentenalter erreicht hat, freut sich, wenn der Fahrstuhl ihn in den vierten oder fünften Stock bringt. Die Folge: Seit 1991 ist in Deutschland die durchschnittliche Wohnfläche pro Person von 34,9 Quadratmeter auf inzwischen 47,4 Quadratmeter gestiegen.

Umbau von Plattenbauten ist finanzierbar

„Wir hätten die Gebäude ohnehin sanieren müssen“, sagt Michael Pischke, Technischer Prokurist der Rostocker Baugenossenschaft Neptun. An der Tür einer Wohnung kann man die Zukunft erahnen: Die Küche ist größer und die von außen angesetzte Loggia schon teilweise verglast. Vor ein paar Jahren hätte man die alten Plattenbauten abgerissen. „Aber wer kann sich das angesichts der explodierenden Baupreise noch leisten?“ Entscheidend ist daher, dass die „Erweiterungsmodule“ vorgefertigt angeliefert werden.  Wer vor dem Gebäude steht, kann die „Quader“ erkennen.

„Die Menschen wollen mehr Platz in der eigenen Wohnung und dem wollen wir gerecht werden“, sagt Ina Liebing, Vorstand der Baugenossenschaft Neptun. „Zudem wollen wir zeigen, dass so ein ‚Umbau‘ von Plattenbauten finanziell machbar ist, dass also die Mieten, die später genommen werden müssen, bezahlbar bleiben.“

Ina Liebing ist zwar angesichts der gestiegenen Baupreise vorsichtig, aber dennoch optimistisch, dass man in der Helsinkier Straße dieses Ziel erreichen wird. „Wir werden am Ende wohl bei elf bis zwölf Euro pro Quadratmeter netto-kalt landen.“

Rund 1850 Quadratmeter Wohnfläche werde man am Ende durch das Erweitern der Wohnungen und durch Aufstocken gewinnen, sagt Michael Pischke. Zwölf Wohnungen werde es mehr geben, ergänzt Ina Liebing. Die Genossenschaft investiere rund 15 Millionen Euro in das Projekt. „Wir verstehen das Ganze als eine Art Test.“ Sollte sich das Projekt am Ende rechnen, könnte die Helsinkier Straße nicht nur eine Blaupause für andere Gebäude der Neptun eG, sondern auch für andere Genossenschaften werden.

Begehrter, bezahlbarer Wohnraum

 „Die damals verbauten Fertigteile sind von hoher Qualität“, sagt Michael Pischke. „Zugleich wurde schon damals vorausschauend gedacht.“ Er zeigt auf eine freigelegte Platte und deren drei Schichten. „Acht Zentimeter Dämmung wurden damals eingebaut.“

Die DDR-Plattenbauten, darin sind sich viele Experten einig, sind viel zu schade, um abgerissen zu werden. Oft haben sie die erste Sanierungswelle in den 1990er Jahren gut überstanden: neue Fenster, Dämmung von außen, sanierte Dächer, aufgehübschte Eingänge und Hausflure bis hin zu neuen Küchen und Bädern. Aber da ist noch etwas...

Gute Klimabilanz

Angesichts der aktuellen Debatte über den Klimaschutz haben die Plattenbauten einen unschätzbaren Vorteil gegenüber neu zu errichtenden Wohngebäuden: Ihre Klimabilanz – betrachtet man die gesamte Lebensdauer – ist deutlich besser. Das liegt daran, dass der größte Teil der Kohlendioxidemission eines Wohngebäudes am Anfang bei seiner Errichtung anfällt. Je länger ein Haus steht, desto geringer wird die Emission. Klar ist: Die sogenannte „graue“ Energie wird bei der Betrachtung von Wohngebäuden künftig eine größere Rolle spielen.

Eine Blaupause für andere Wohnungsunternehmen?

Dass die Plattenbau-Sanierung der Neptung eG nachahmenswert ist, darauf setzt der Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V. (VNW), Andreas Breitner: „Das, was die Baugenossenschaft Neptun in Rostock derzeit umsetzt, ist beispielhaft“, sagt er und fügt hinzu: „Bei dem innovativen Vorgehen werden die Grundrisse von Wohnungen den Wünschen heutiger
Mieterinnen und Mieter entsprechend angepasst. Das ist gut für die Umwelt und hilft, bezahlbaren Wohnraum für die Zukunft zu sichern.“

Quelle: VNW-Autor Oliver Schirg

Der Beitrag erschien zuerst im VNW-Magazin Sonderheft 2022

 

Martina Eisinger

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