Den tiefen Fall der Wohnungsbaukonjunktur skizzierte Jan Grade, Geschäftsführer von empirica regio, durch die vergleichende Gegenüberstellung von Wirtschaftsdaten der Jahre 2021 und 2024. Für Ende 2020, Anfang 2021 registriert das Statistische Bundesamt die höchsten Werte sowohl für erteilte Baugenehmigungen als auch für die Fertigstellung von Wohnungen. Im Vergleich zu diesen Spitzenwerten, so die Angaben von Jan Grade, sei die Zahl der Baugenehmigungen für Ein- und Zweifamilienhäuser im ersten Halbjahr 2024 um 60 Prozent bzw. 50.500 Wohneinheiten eingebrochen. Für alle übrigen Bauherren – inklusive Wohnungsunternehmen – sei die Zahl der Baugenehmigungen im genannten Zeitraum um 36 Prozent oder 28.800 Wohnungen zurückgegangen. Der Auftragsbestand im Wohnungsbau sei im Zeitraum erstes Quartal 2021 bis zweites Quartal 2024 um 32 Prozent geschrumpft. Die Talsohle der Baufertigstellungen sei noch nicht erreicht, der empirica regio-Chef erwartet den vollen statistischen Einbruch im Zeitraum 2024/2025.
In angespannten Märkten können Entwickler keine Mietwohnungen bauen
Ursachen der extremen Talfahrt seien neben den gestiegenen Zinsen die Kostensteigerungen bei Baumaterialien. Im genannten Zeitraum seien die Preise um 27 Prozent gestiegen. Diese engen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machen den Bau von Mietwohnungen, dort wo sie nachgefragt werden, in städtischen Räumen, den sogenannten „angespannten Wohnungsmärkten“, praktisch unmöglich. Darin waren sich die drei Vertreter von Projektentwicklerfirmen bei der Vorstellung der empirica-Daten einig. Swiss Life Asset-Managerin Anett Barsch erinnerte an die Auswirkungen der anhaltenden gesellschaftlichen Vereinzelung für die urbanen Immobilienmärkte. In deutschen Städten, so Barsch, sei nur rund ein Viertel aller Wohnungen mit drei oder mehr Personen belegt. Mindestens die Hälfte werde von Single-Haushalten genutzt und das letzte Viertel diene Zweipersonenhaushalten als Zuhause. Da der Trend zur Vereinzelung anhalte, müssten eigentlich viel mehr kleine Wohnungen in den Ballungsräumen hergestellt werden, gleichzeitig würden im Umland mehr große Wohnungen für Familien benötigt. Was also wäre zu tun?
„Ablösesummen für Stellplätze sind absurd hoch“
Swiss Life-Managerin Anett Barsch ist sich mit Stefan Spilker, Geschäftsführer Fox Real Estate und Niels Berl, Driven Living, darin einig, dass der Ruf nach staatlicher finanzieller Förderung keine Wende für den Wohnungsbau bringe. „Wir müssen in Deutschland von den hohen Baukosten runter“, forderte Anett Barsch. Kostenreduktionen seien durch die Beseitigung von Bau- und Genehmigungsrechtlicher Hürden möglich. Stefan Spilker schlug beispielsweise vor, die „Wandpakete“ aus Mauerwerk und Wärmedämmung schlanker zu machen. Entwickler-Kollegin Barsch erinnerte an die Stellplatzverordnungen der Kommunen. „Wir verbuddeln Millionen ins Erdreich durch den Bau von Tiefgaragen. Niels Berl bestätigte: Die Ablösesummen für nicht gebaute Parkplätze seien in manchen Städten so „absurd hoch“, dass daran Bauprojekte scheitern.
Der Bau von Wohnungen durch Nachverdichtung scheitert baurechtlich zu oft daran, so berichtete Anett Barsch weiter, dass eine Aufstockung oder ein Anbau vorgeschriebene Höhen und Breiten um wenige Zentimeter überschreiten.
Die Projektentwickler haben nach eigenem Bekunden wenig Vertrauen in die Durchsetzungsfähigkeit der Politik. Die per se guten Ideen eines neuen Gebäudetyp E oder des § 246 e Baugesetzbuch würden schon wieder – zum Beispiel unter den Einwänden von Architekten-Verbänden – zerredet. Das Ergebnis sei ein „schwacher Kompromiss“, befand Stefan Spilker. Sein Schluss daraus: „Wir konzentrieren uns auf Investors Darling, auf den Bau von Mikro-Appartements“.
„Schneller Bauen wäre das Ende jeder Baukultur“
Anmerkung der Redaktion: Mit dem Gesetz für ein Gebäudetyp E, das im Herbst in die parlamentarische Abstimmung geht, soll es Bauschaffenden vertragsrechtlich gesichert möglich sein, auf Standards und Normen zu verzichten, die lediglich Einfluss auf Komfort und Gebäudeausstattung haben. Und die Aufnahme eines § 246 e ins Baugesetzbuch, der zeitlich befristet eingeführt werden soll, würde es Kommunen ermöglichen auf Bebauungspläne zu verzichten. Vehement gegen eine solche genehmigungsrechtliche Öffnung hat sich unter anderem die Bundesarchitektenkammer ausgesprochen. Architekten befürchten einen „zerstörerischen Wildwuchs“ insbesondere in Randlagen und warnen vor dem „Ende jeder Baukultur“. (Red.)