In Beton gegossene Wohnalbträume
Wo viele Menschen auf engem Raum leben, kommt es zu Konflikten. Die Wohnungsnot in den 1960er- und 1970er-Jahren verführte Architekten dazu, Gebäuderiegel mit mehr als fünf Stockwerken zu designen, um möglichst vielen Menschen modernen Wohnraum offerieren zu können. Was einst Vorzeigeprojekte waren, wurden über die Jahre Problemkieze mit prekären Wohnsituationen.
Der Sozialpalast in Berlin-Schöneberg
Eines dieser Beispiele ist das Pallasseum, umgangssprachlich „Sozialpalast“, im Berliner Bezirk Schöneberg, das zwischen 1974 und 1977 errichtet wurde. Ein langer, zwölfgeschossiger Gebäuderiegel umspannt in der Pallasstraße einen Hochbunker, der seine ganz eigene Geschichte hat. Sprengungsversuche des im Zweiten Weltkrieg von Zwangsarbeitern errichteten Hochbunker-Rohbaus durch die U.S. Army in den Jahren 1945 und 1946 scheiterten. Stattdessen führte man ihn nach dem Endausbau und Modernisierungen im Laufe der Jahrzehnte verschiedenen Nutzungen zu.
Das Gebäude überragt die drei umliegenden sechsgeschossigen Querbauten, die zwei Wohnhöfe umschließen. Mehr als 2.000 Menschen leben insgesamt in der Betonwüste auf 517 Wohnungen verteilt. Durch die hohe Wohndichte sowie die prekäre Wohnsituation der Bewohner mit hohem Migrantenanteil verlor das Quartier an Attraktivität. Das führte zu Schäden durch Vandalismus. Die Wohnsituation verschlechterte sich zum Ende des vergangenen Jahrhunderts derart, dass man in der Politik über einen vollständigen Abriss nachdachte.
Heute sind Sozialarbeiter in der Gegend tätig, die von einem Quartiersmanagement unterstützt werden, wodurch sich die Lebenssituation für die Menschen wieder spürbar verbesserte. Treppenhäuser und Eingangsbereiche hat man neu gestaltet, ein Bewohnercafé eingerichtet und auf dem Parkplatz vor dem Haus den Pallaspark mit Sportplatz errichtet. Das Umfeld wurde durch die verschiedenen Maßnahmen aufgewertet, sodass man die Gesamtanlage im Jahr 2017 unter Denkmalschutz stellen konnte. Den Namen Pallasseum gaben die Anwohner dem Gebäude in einem Wettbewerb selbst. Einen Abriss müssen die Bewohner heute nicht mehr fürchten.
Das Hannibal in Dortmund-Dorstfeld
Im Dortmunder Vogelposthsweg 12 bis 26 steht ein Wohnkomplex mit 412 Wohneinheiten auf bis zu 16 Etagen. Der Gebäuderiegel besteht aus acht nebeneinander stehenden charakteristischen Terrassenhochhäusern. Die Wohnflächen reichen von 20 bis 100 Quadratmetern. Von den 412 Wohnungen wurden 304 als Maisonetten und 108 als kleinere Studentenwohnungen angelegt, da sich in der Nähe die Technische Universität Dortmund befindet, die 1968 gegründet wurde.
Zwischen 1972 und 1975 errichtete die Dortmunder Gesellschaft für Wohnen (DOGEWO21), die mit insgesamt 16.400 Wohnungen (Stand April 2018), Garagen, Stellplätzen sowie Gewerbeobjekte in allen Dortmunder Bezirken der größte Wohnungsanbieter der Ruhrpott-Metropole ist, das Hannibal. Früher pulsierte hier das Leben. Kinder spielten auf den Vor- und Hinterhöfen, Familien erholten sich vom stressigen Arbeitsalltag in der Bergbauregion. Doch mit der Zeit veränderte sich das idyllische Bild des Hannibals. Die soziale Durchmischung wandelte sich, das Gebäude und die dazugehörigen Außenflächen wurden immer weniger gepflegt.
Im Jahr 2017 stellte die Stadtverwaltung Dortmund gravierende Mängel bei der Einhaltung der Brandschutzauflagen in den Gebäuden des Komplexes fest. Der Beton-Koloss wurde geräumt. Damals mussten 753 Bewohner innerhalb weniger Stunden ihre Wohnungen – alarmiert vom Hochhausbrand des Grenfell-Towers in London – verlassen. Die ehemaligen Mieter durften nach und nach in Begleitung von Sicherheitspersonal in ihre Wohnungen zurückkehren, um ihr Hab und Gut zu sichern. Seitdem steht das Hochhaus leer. Der damalige Eigentümer InTown ließ ein Gegengutachten erstellen, dass die festgestellten Brandschutzmängel nicht bestätigte bzw. die Evakuierung des Hannibals aufgrund von „Ermessensfehlern“ als rechtswidrig und unzulässig ansah. Es folgte die Klage.
Der Rechtsstreit dauert an, doch am und im Haus passiert nichts. Das Wohngebäude verfiel zusehends, regelmäßiger Vandalismus und Einbrüche verschlechtern den Zustand des einstigen Vorzeige-Komplexes im Norden Dortmunds weiter. Die Eigentümerfirma Lianeo (früher InTown) stellte im Oktober 2019 ein Sanierungsprogramm vor, das wesentlich kleiner ausfiel, als die im Jahr 2018 den Mietern versprochenen umfassenden Umbaumaßnahmen. Wann die Bauarbeiten beginnen, steht noch nicht fest. Gefestigt hingegen scheint der schlechte Ruf des Komplexes zu sein, ähnlich wie der des Pallasseums in Berlin.
Redaktion (allg.)
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