Aktive Nachbarschaften für ein besseres Stadtklima
Wir wohnen anders“. Das sagen nach über neun Jahren 25 Mietparteien immer noch von sich, die unter dem genossenschaftlichen Dach des Bau- und Sparvereins Dortmund ihr neues Zuhause in der Ruhr-Metropole gemeinsam geplant und gebaut haben: innenstadtnah im grünen Süden der Stadt.
Das dreigeschossige Mehrfamilienhaus bildet zugleich den Kern einer Wohnanlage, zu der auch Eigenheime gehören. Familien, Alleinerziehende, Paare und Singles leben hier. „Die Grundidee bei dem Projekt war es, ein ‚Dorf in der Stadt!‘ zu realisieren, einen Ort mit verlässlicher Nachbarschaft für Jung und Alt“, erklärt Barbara Lindemann seitens der Architekten und Stadtplaner Post Welters und Partner. Initiiert und mitgetragen wurde das Vorhaben vom Dortmunder Verein W.I.R. e. V., der in der Stadt schon mehrere gemeinschaftliche Wohnprojekte auf den Weg gebracht hat. Das Kürzel steht dabei für „Wohnen Innovativ Realisieren“.
Ein Dorf in der Stadt unter dem Dach einer Genossenschaft
Die Mieter waren bereits am Planungsprozess beteiligt. Die Grundrisse der zwischen 56 und 92 Quadratmeter großen Genossenschaftswohnungen wurden dabei individuell angepasst. „Die Architekten haben die gewünschten Größen abgefragt und danach Entwürfe zum Beispiel für typische Familien- oder Singlewohnungen gemacht“, erläutert Mieterin Elke Theißen, selbst von Hause aus Architektin. Mit ihrer Familie bewohnt sie für eine Warmmiete von gut zehn Euro pro Quadratmeter eine Wohnung von 92 Quadratmetern, die „wie ein kleines Reihenhaus“ über zwei Etagen reicht. „Wohnprojekte zur Miete sind selten“, sagt sie. Ihr Wunsch: Entscheidern zu zeigen, dass Bewohner solcher Projekte ihr Haus und das Umfeld pflegen. Und dass es wenig Fluktuation unter den Mietern gibt.
Viel Raum für Begegnungen
Mit seiner Heizzentrale versorgt das KfW-40-Effizienzhaus auch die umliegenden Eigenheime im Quartier mit Energie. Holzpellets, Solarthermie und Photovoltaik kommen dabei zum Einsatz. Eine ebenerdige Fahrradgarage sowie ein Waschsalon im Dachgeschoss stehen allen Bewohnern des Mehrfamilienhauses zur Verfügung und der Gemeinschaftsraum für Feiern und Gäste darüber hinaus auch den Nachbarn aus dem Wohneigentum offen.
Jede Wohnung hat entweder Garten, Wintergarten oder Terrasse auf der von der grünen Mitte abgewandten Seite für den privaten Rückzug. Der Innenhof zwischen beiden Gebäudeteilen wiederum lässt viel Raum für Begegnungen. Elke Theißen schätzt diese beiden Aufenthaltsvarianten. „Sitzt man auf der Innenhofseite, signalisiert das: Man darf sich dazusetzen.“ Das sei eine schöne Sache, die die Architektur hier anbiete und die nach ihren Worten auch gut funktioniert.
Gelegenheiten für Begegnungen gibt es darüber hinaus viele. Neben dem obligatorischen Frühjahrsputz ist da das monatlich von einem Nachbarn organisierte „Pantoffelkino“ – auch mit Gesprächen über die Filme, die dort laufen. Über die Grenzen des Mietshauses hinaus hat sich eine kleine Band gefunden, die dort probt. Ein Nachbar, der gern wandert, nimmt Interessenten mit. Ein anderer organisiert Paddeltouren auf Ruhr oder Lippe und eine Nachbarin einmal im Jahr ein Walking-Dinner, wo man von Wohnung zu Wohnung wandert, gemeinsam kocht und isst. Das alles nach dem Motto: Man muss nicht, man kann. „Wir haben eine engere Nachbarschaft gesucht. Auch in der normalen Mietwohnung baut man Kontakte auf. Aber es dauert länger“, bilanziert Elke Theißen.
Stadtplaner und Studenten zu Besuch
In diesem Sinne äußert sich auch Martine Richli vom Verein „Wohnen mit Kindern“ aus Düsseldorf, der gemeinschaftlich orientierte Baugruppenprojekte initiiert und unterstützt. „Es gibt hier so viele Möglichkeiten, die man sich zwar in einer klassischen Nachbarschaft auch erarbeiten kann, aber doch deutlich schwerer“, sagt sie mit Bezug auf das gemeinschaftlich orientierte Wohnprojekt QBUS im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim.
Dort geben sich inzwischen Besucher die Klinke in die Hand. Es sind Bauwillige aus der Stadt mit ähnlichen Ambitionen, Interessenten unter anderem aus Finnland und zunehmend Studenten der Fachrichtung Stadtplanung sowie verschiedener Fachdisziplinen aus dem sozialen Bereich, die ihre wissenschaftliche Arbeiten zu dieser Thematik schreiben und sich ein Bild davon machen wollen. Wie lebt es sich in dem rund 4.000 Quadratmeter umfassenden Komplex am Stadtrand, bestehend aus drei Häusern mit Eigentumswohnungen zwischen 76 und 167 Quadratmetern und einem vierten als Gemeinschaftshaus inklusive Gemeinschaftsgarten und Spielplatz? Und vor allem, wie haben die 26 Familien das geschafft? Das frage sie sich im Rückblick auch, so Martine Richli, die hier wie alle anderen – insgesamt 49 Erwachsenen und 43 Kinder – mit ihrer Familie 2013 eingezogen ist.
Für ihr Vorhaben hatte die Baugruppe einen Generalplaner beauftragt, sich parallel dazu in Arbeitsgemeinschaften aufgeteilt und den Bau so Stück für Stück vorangetrieben. Außerdem wurde ein Finanzfachmann engagiert, der sich auf Baugruppen spezialisiert hat. Das sei gerade bei den Verhandlungen mit den Banken von Vorteil gewesen, erklärt Martine Richli.
Mit dem Grundstück hatte es erst im zweiten Anlauf geklappt, nachdem die Baugruppe zuvor von einem Investor „unschön“ ausgebremst worden war. Da lagen bereits über fünf Jahre Planung zum Umbau einer Kaserne in familiengerechte Wohnungen auf einstigem Bundeswehrareal hinter der Gruppe.
QBUS-Gemeinschaft erzeugt Energie regenerativ
Das schließlich von der Stadt zur Verfügung gestellte Baugrundstück erwies sich letztlich aber als Glückstreffer. Denn hier konnte die Baugruppe neu und damit auch energetisch ganz anders bauen und ihre Vorstellungen in puncto Klimaschutz noch besser umsetzen. Das heißt: Passivhausbauweise, mit einer Pelletheizung und Solarthermie für Warmwasser und einer Photovoltaikanlage. Den selbstproduzierten Strom nutzen die Bewohner zu einem Drittel selbst. Auf diese Weise kam das Projekt zu seiner Auszeichnung als „Klimaschutzsiedlung NRW“ und Düsseldorf zu seinem ersten Mehrfamilienhauskomplex dieser Art überhaupt.
Inzwischen haben sich die QBUS-Bewohner in Richtung Car-Sharing mit Elektromobilen aufgemacht. Ein Stellplatz zum Auftanken mit Solarstrom in der hauseigenen Tiefgarage ist bereits eingerichtet, das erste Elektroauto kann über den bundesweiten Car-Sharing-Anbieter Stadtmobil von einem eingeschränkten Nutzerkreis gebucht werden. Es gibt weitere Ideen für öffentlich zugängliche Ladestationen im Quartier. Dazu haben Mitglieder von QBUS bereits vor zwei Jahren Kontakt zur Stadtverwaltung Düsseldorf aufgenommen. „Doch so ein Prozess ist erstaunlich zäh und bisher noch keinen Schritt vorangekommen“, so Martine Richli.
Dennoch: Ihre Erwartungen beim Einzug haben sich bisher erfüllt: „Wir sparen Energie und ersparen der Umwelt Kohlendioxid, wir bewegen uns mehr, wir haben mehr soziale Kontakte. Wir holen uns die Kultur in unser Gemeinschaftshaus – mit Lesungen, Konzerten oder Filmen.“ Das bietet außerdem Sauna, Musikproben- und Jugendraum. Zu Yogakursen und Wirbelsäulengymnastik im großen Gemeinschaftsraum sind auch die Bewohner aus dem Quartier willkommen, genauso wie im kleinen Café dort, in dem Nachbarinnen in lockeren Abständen Selbstgebackenes zum Selbstkostenpreis anbieten.
Stattbau Hamburg stärkt Wohnkollektive
Baugruppen erwünscht: Das hört man auch aus Hamburg. Bis zu 20 Prozent der städtischen Wohnungsbauflächen der Elbmetropole sollen nach dem Willen der Stadt an Baugemeinschaften gehen. „Das kann im Mietwohnungsbereich sein – wo Baugruppen in der Regel als Genossenschaften oder unter dem Dach einer Genossenschaft bauen – oder im Eigentum“, so Dr. Tobias Behrens, Geschäftsführer der STATTBAU Hamburg GmbH, die als Stadtentwicklungsgesellschaft solche Vorhaben initiiert und begleitet.
Bei der in Hamburg gängigen Vergabepraxis für städtische Wohnbaugrundstücke hat nicht der Bauherr mit dem höchsten Gebot die besten Karten, sondern derjenige mit dem besten Konzept für das Quartier. Das profitiert dann unter anderem von Gemeinschaftsräumen, die gleichzeitig entstehen und als Begegnungs- oder kleines Kulturzentrum in die Nachbarschaft ausstrahlen. Ein Beispiel ist das „Wohnkollektiv Kleine Freiheit“: ein genossenschaftliches Wohnprojekt unter dem Dach der Wohnungsbaugenossenschaft Schanze eG mit Bioladen und Café und öffentlich zugänglichen Außenanlagen im begehrten, aber auch mit einer Reihe von Problemen belasteten Stadtteil St. Pauli.
Viele der kleinen Baugruppen verbinden ihre Wohnprojekte zudem mit einem sozialen Anliegen wie der Integration und Inklusion solcher Gruppen, die es besonders schwer am Wohnungsmarkt haben. Es gibt Kooperationen mit Behindertenträgern oder Frauenhäusern oder mit Vereinen, die sich um psychisch kranke Menschen kümmern. „Für sie sind in den Häusern der Baugemeinschaften Wohnungen reserviert“, so Behrens.
Das Integrationskonzept ist nach seinen Worten immer auch ein wichtiger Bestandteil der Konzeptausschreibung für städtisches Wohnbauland, auf die sich die Hansestadt seit 2012 stützt. Sie soll den Quartieren zu einer höheren Wohnqualität und den Bewohnern zu günstigeren Miet- und Eigentumswohnungen verhelfen. Künftig will sie auch verstärkt Wohnbauflächen in Erbpacht vergeben, um die Einstiegskosten für den Wohnungsbau zu senken.
München vergibt Fördermittel für Baugemeinschaften
Interessenten aus München und Umgebung, die sich heute zum kostengünstigen Wohnen in sozialen Nachbarschaften Rat holen wollen, finden Unterstützung bei der 2014 gegründeten Mitbauzentrale München. Ein interdisziplinäres Team berät dort im Auftrag der Stadt angehende Baugemeinschaften, Baugenossenschaften oder Mietergemeinschaften. „Es gibt einen Stadtratsbeschluss, der besagt, dass 20 bis 40 Prozent aller Grundstücke in städtischen Entwicklungsgebieten an Baugemeinschaften und Genossenschaften vergeben werden. Diese werden nach Konzept und nicht zum Höchstpreis ausgeschrieben. Zur weiteren Förderung gibt es die Beratungsstelle hier“, erklärt Projektleiterin Natalie Schaller. „In München gibt es Fördermittel speziell auch für Haushalte mit mittlerem Einkommen – das München-Modell, von dem auch Genossenschaften und Baugemeinschaften profitieren.“ Das heißt: Der zuvor festgelegte Grundstücksanteil für die geförderten Wohnungen wird zu einem vergünstigten festen Preis an die Wohnprojekte verkauft. Diese Wohnungen sind dann mit Haushalten zu belegen, die die Einkommensvoraussetzungen erfüllen.
Die Baugruppe „Altstadtkieker“ Rostock
Bau- und Wohnungsgenossenschaften sowie Baugruppen kamen auch im inzwischen schon fast komplett bebauten Rostocker Petriviertel zum Zug. Ein ambitioniertes Projekt der Hansestadt im Norden Deutschlands mit einem Mix aus hochwertigen Miet- und Eigentumswohnungen. Und ein Vorzeigequartier. „Nicht nur hinsichtlich seiner guten Lage und Gestaltung, sondern auch wegen der sozialen Mischung von Mietern, Eigentümern und Baugemeinschaften“, so Heike Lachmann von Cubus Architekten, die als Projektentwickler, Projektsteuerer und Architekten dort jüngst die Baugruppe „Altstadtkieker“ begleitet haben. Im Juli dieses Jahres war – nach knapp zwei Jahren Bauzeit – Übergabe der 21 Eigentumswohnungen plus Gemeinschaftsraum am Ufer der Warnow. Mit Blick auf die östliche Altstadt von Rostock zur Petri- und Marienkirche sowie Stadtmauer. Das Gebäude der Baugemeinschaft präsentiert sich mit Gründach, Holzfassade, einer gemeinsamen Dachterrasse für die Bewohnerschaft und mit einem Innenhof, in dem private Gärten und Terrassen ineinander übergehen und auch ein Sandkasten für die Jüngsten nicht fehlt. „Zusätzlich zum Gemeinschaftsraum im Haus, der auch an Externe vermietet werden kann, haben sich die Männer einen Werkstattraum eingerichtet und sind schon fleißig am Werkeln“, so Heike Lachmann.
Besondere Klippe beim Hausbau: Es musste wegen der Lage am Wasser bis hinunter zur Tiefgarage hochwasserdicht gebaut und „dann natürlich viel in den Baugrund investiert werden“. Zusätzlich und vorausschauend Geld in die Hand genommen hat die Baugruppe zudem für zwei Aufzüge in dem dreigeschossigen Haus, dessen jüngster Bewohner ein Jahr und der Älteste 70 Jahre ist. „Auch Paare, die ihre Familienzeit auf dem Land mit großem Haus und Garten verbracht haben, sind hierhergezogen. Sie wollen sich hier für das Alter einrichten“, erklärt Cubus-Architektin Lachmann. Jede der 50 bis 135 m2 großen Wohnungen erfüllt diesen Anspruch.
Ihr Fazit und zugleich Wunsch: Das nachbarschaftliche und gemeinschaftliche Wohnen sollte als Alternative zum Wohnen im Einfamilienhaus auf der „grünen Wiese“, beziehungsweise dem Bau von „Standard-Eigentumswohnungen“, gleichberechtigter Baustein einer nachhaltigen Stadtentwicklung sein.
Carla Fritz


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