Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung
Bislang galt: Zwischen dem Betreiber einer Stromerzeugungsanlage und den Letztverbrauchern musste Personenidentität bestehen, um die Vorteile der Eigenversorgung nutzen zu können. Mit dem neuen Gesetz zur Steigerung des Ausbaus der photovoltaischen Energieerzeugung wird die Eigenversorgung auf Mehrpersonenkonstellationen ausgeweitet. Vorbild dafür ist das Nachbarland Österreich. Die Bundesregierung schätzt, dass das Versorgungskonzept hierzulande auf rund 80.000 Gebäuden anwendbar ist.
Eigentümergemeinschaft kann PV-Anlage betreiben
Konkret sieht das Modell so aus: Ein Vermieter, eine Eigentümergemeinschaft oder ein Dritter (z. B. Dienstleister) betreibt eine PV-Anlage, die in, an oder auf dem Gebäude installiert ist, und gibt den erzeugten Strom an die Letztverbraucher im Gebäude weiter. Diese Weitergabe wird weitestgehend von Lieferantenpflichten und den damit einhergehenden Informations- und Rechnungslegungspflichten nach Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) befreit. Vor allem ist der Betreiber nicht – wie im Mieterstrommodell – zur Lieferung des Reststroms aus dem Netz verpflichtet. Die Nutzer im Haus können den Solarstrom selbst verbrauchen. Überschüssiger Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist und nach dem EEG vergütet. Zusätzlich benötigten Strom beziehen die Verbraucher über ihren jeweiligen selbst gewählten Versorger.
Das Modell ist unbürokratisch
Dieses Modell überzeugt nicht nur durch seine Bürokratiearmut. Johannes Jung, in der Energieagentur Regio Freiburg unter anderem für die Photovoltaik-Beratung im PV-Netzwerk Südlicher Oberrhein zuständig, sieht weitere große Vorteile: „Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung funktioniert sowohl mit Mietern als auch mit selbstnutzenden Eigentümern. Sie ist unabhängig davon, ob alle oder nur einzelne Bewohner mitmachen.“ Zudem ist das Modell nicht auf Wohngebäude begrenzt, sondern auch in sonstigen Gebäuden nutzbar.
Stromrechnung reduziert sich um den Anteil des Eigenstroms
In technischer Hinsicht ist entscheidend, dass die Nutzung des Stromes ohne Durchleitung durch ein Netz erfolgt. Die Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen müssen also hinter demselben Netzverknüpfungspunkt liegen. Der gebäudenah erzeugte Strom wird digital gemessen, gelangt ins Hausnetz und wird dort verbraucht, wo gerade Bedarf ist. Die Strombezugsmengen der Letztverbraucher müssen viertelstündlich erfasst werden. Bei Smart-Metern ist diese Messung Standard. „Die Aufteilung des selbst erzeugten Stroms an die Nutzer im Gebäude erfolgt nach dem vorher festgelegten Schlüssel nicht als technische Mengenzuteilung, sondern als virtuelle Aufteilung“, erklärt Jörg Sutter, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS). Die Rechnung der jeweiligen individuellen Versorger an die Letztverbraucher reduziert sich dann um deren Eigenverbrauchsanteil.
Die Basis für die Umsetzung des Versorgungsmodells ist ein privatrechtlich zu schließender Gebäudestromnutzungsvertrag zwischen dem Betreiber der PV-Anlage und den teilnehmenden Letztverbrauchern. Darin wird auch der Aufteilungsschlüssel für den Eigenstrom festgeschrieben. So kann beispielsweise mit einem statischen Aufteilungsschlüssel den Letztverbrauchern ein bestimmter, gleichbleibender prozentualer Anteil am erzeugten Strom zugewiesen werden. Die Höhe des Anteils kann sich etwa nach dem Kopfprinzip oder auch nach der Quadratmeterzahl der Wohn- bzw. Gewerbeeinheiten richten.
WEG kann sich Einspeisevergütung aufs Hausgeldkonto zahlen lassen
Im Gebäudestromnutzungsvertrag müssen auch der Betrieb, die Erhaltung und die Wartung der PV-Anlage sowie die Kostentragung geregelt werden. Denkbar ist zudem, eine entgeltliche Gegenleistung für die Nutzung der elektrischen Energie zu vereinbaren. Darüber hinaus kann eine Regelung dazu getroffen werden, wie mit der Einspeisevergütung für den überschüssigen Strom zu verfahren ist. In der WEG wird ein praktikabler Weg sein, diese auf das Hausgeldkonto zahlen zu lassen.
Stadtwerke können Verbrauchsmessung und Abrechnung übernehmen
Der eigentliche Aufwand der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung besteht in der Bilanzierung der Strommengen. „Die Abwicklung dieses Versorgungsmodells – also die Verrechnung von Erzeugung und Verbräuchen und die Information der Versorger – kann ein Messstellenbetreiber oder ein beauftragter Dienstleister übernehmen. Klassisch ist das eine Aufgabe für Stadtwerke, die ja heute bereits Mieterstrommodelle umsetzen“, erläutert DGS-Geschäftsführer Sutter.
Zur Kommunikation zwischen Anlagenbetreibern, Reststromlieferanten, Messstellenbetreibern und Netzbetreibern ist ein IT-System notwendig, über das die relevanten Daten ausgetauscht werden und die Abrechnung abgewickelt wird. Ob die EDV bis zum geplanten Start des Modells im Januar 2024 startklar ist, hält der Experte zwar für fraglich. Mittel- und langfristig sieht er jedoch – genau wie PV-Berater Jung von der Energieagentur Regio Freiburg – im Modell der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung das Versorgungskonzept der Zukunft für Mehrfamilienhäusern, vor allem für Gebäuden von privaten Kleinvermietern und in Wohnungseigentümergemeinschaften. Dort lasse sich die Eigenstromversorgung auch sukzessive weiter ausbauen. „Als erster Schritt wird sicherlich die Allgemeinstromversorgung eingebunden. Als nächstes können die Versorgung der Wärmepumpe oder auch der Wallboxen integriert werden“, schlägt er vor.
Besonderheiten der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung in der WEG
Die Eigentümergemeinschaft muss zunächst im regulären Verfahren nach dem WEG über die Errichtung einer PV-Anlage und deren Betrieb als Gebäudestromanlage für die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung nach beschließen. In diesem Beschluss kann auch geregelt werden, ob die Anlage durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer selbst oder durch Dritte errichtet und betrieben werden soll.
Für Wohnungsnutzer bleibt Vertragsfreiheit erhalten
Für die Begründung und Regelung des individuellen Nutzungsrechts der teilnehmenden Letztverbraucher an dem gebäudenah erzeugten Strom ist zusätzlich der Abschluss eines Gebäudestromnutzungsvertrags zwischen Anlagenbetreiber und teilnehmendem Letztverbraucher erforderlich. Falls die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer selbst Anlagenbetreiberin ist, kann ein Beschluss der Gemeinschaft den Gebäudestromnutzungsvertrag ersetzen. Dieser Beschluss muss alle Anforderungen, die das Gesetz an den Nutzungsvertrag stellt, erfüllen. Insbesondere muss der Grundsatz der freien Stromlieferantenwahl der Letztverbraucher gewahrt sein.
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Beschlussfassung in der WEG zu Steckersolargeräten (Balkonkraftwerke)
Auf einen Blick
Eva Kafke
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