„Das GGV besticht durch seine Bürokratiearmut“
Das GGV besticht durch seine Bürokratiearmut
Das 2024 von der Bundesregierung beschlossene Solarpaket I regelt mit dem „Modell der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung“ (GGV) das Zusammenspiel zwischen den Betreibern einer privaten PV-Anlage auf einem Mehrfamilienhaus, den Betreibern von öffentlichem Netz und Messstellen (Smart Metern), Reststromlieferanten und Hausbewohnern/Verbrauchern. Die neuen Spielregeln gelten sowohl für selbstnutzende Wohnungseigentümer als auch für Mieter. Letzteres ist ein zentraler Unterschied zum Mieterstromgesetz, das seit 2017 gilt und weiter in Kraft bleibt. Während hier aber der Vermieter die Vollversorgung mit Strom gewährleisten muss, was einen hohen regulatorischen Aufwand bedeutet, bezieht jeder Verbraucher im neuen GGV seinen benötigten Reststrom individuell.
Gesteuert wird das gesamte Prozedere über eine Software, die mit sämtlichen Verbrauchern und Einspeisern im Haus kommuniziert. Voraussetzung hierfür aber ist, dass jede Wohnung mit einem Smart Meter ausgestattet ist, der einerseits viertelstündlich deren Verbrauch erfasst und andererseits die mit dem Bewohner vereinbarte Quote und Menge an Kilowattstunden misst. Dieser Anteil kann pro Kopf, nach Quadratmetern oder Finanzierungsanteil an der PV-Gemeinschaftsanlage festgelegt sein.
Voraussetzung für eine GGV ist ein Beschluss der Eigentümerversammlung, die Option überhaupt nutzen zu wollen. Dann muss geklärt werden, welche Bewohner mit welchem Strombedarf an dem Vorhaben teilnehmen wollen; wer die Anlage finanziert und betreibt und welche Anlagendimension auf dem Gebäude oder an dessen Fassade überhaupt möglich ist. Investor können ein, mehrere oder alle Eigentümer sein, beispielsweise gemäß Ihrer Miteigentumsanteile. Das ist alles ebenso verhandelbar wie die Beauftragung eines Dritten, der die Anlage finanziert, betreibt und in der Regel eine Rendite auf seine Investition erzielen will.
Am Anfang jeder WEG-Entscheidung sollte immer die Frage stehen, wer von der PV-Anlage profitieren soll,“ sagt Wolfgang Kempfle.
Der Prokurist der Energie Schwaben Solar in Leipheim, einer hundertprozentigen Tochter der Energie Schwaben in Augsburg, setzt solche Vorhaben seit Jahren um. Denn wenn die Bewohner günstigen Strom beziehen sollen, sieht der Vertrag anders aus als wenn der Betreiber eine möglichst hohe Rendite erzielen will. Der Solar-Profi: „Wir realisieren für Genossenschaften Projekte, da sollen vor allem die Nebenkosten möglichst gering sein, um Gewinn geht es da gar nicht.“
Zuerst muss der örtliche Energieversorger informiert werden
Will eine WEG eine gemeinschaftliche PV-Anlagen realisieren, ist der erste Schritt immer, darüber den kommunalen Energieversorger zu informieren. Das sind meist die Stadtwerke oder direkt die großen Stromkonzerne EnBW, RWE, Vattenfall oder E.on. Bei aktuell bundesweit 879 Messstellenbetreibern entsteht derzeit ein Flickenteppich von Prozessen und Systemen. Es steht zu befürchten, dass die private Energiewende und das Profitieren von günstigen Strompreisen vorerst denjenigen vorbehalten ist, die im Einzugsgebiet eines gut aufgestellten Messstellenbetreibers leben.
Dieser muss für jede Wohnung einen digitalen Smart Meter setzen und die IT-Infrastruktur installieren. Die Erfahrung lehrt, ist in der Branche zu hören, dass diese Abhängigkeit oft einen Engpass bilde, der zu monatelangen Wartezeiten und überhöhten Preisen führt (siehe Kastentext „Smart Meter-Kosten“). Denn einerseits fehlt den Versorgern das Personal, teils fehlen offenbar auch die Smart Meter und letztlich wohl auch die Motivation, weil die Versorger durch die privaten Erzeuger – zumindest kurzfristig – an Stromliefermengen verlieren könnten. Wenn aber immer mehr Wärmepumpen in den Häusern und Elektroautos betrieben werden, dürfte sich das Mengenthema mittelfristig relativieren.
Anlagen bringen acht bis zehn Prozent Rendite
Attraktiv sind eigene PV-Anlagen bis 30 Kilowatt, die typischerweise auf Gebäude mit bis zu acht Wohneinheiten installiert werden, auch deshalb, weil bei deren Kauf die Mehrwertsteuer entfällt und die Einkünfte nicht versteuert werden müssen. Zudem kann überschüssiger Strom, sofern er nicht in den hauseigenen Speicher geht, ins Netz eingespeist werden und wird dann vergütet. Kempfle rechnet vor, dass eine solche Anlage inklusive Speicher maximal 50.000 Euro kostet und Investoren Renditen von acht bis zehn Prozent ermöglicht.
Die Energie Schwaben Solar empfiehlt interessierten WEGs, sich lokal Solarteure zu suchen, die auf das Verteilerthema innerhalb von Hausgemeinschaften spezialisiert sind. Das Unternehmen bietet Webinare an, damit WEGs fundierte Entscheidungsgrundlagen haben, etwa zu Aspekten wie hausintere Stromverteilung, Abrechnungsmodelle, Nutzen für Verbraucher und Investoren etc.
Solateur Kempfle bearbeitet aktuell ein bis zwei solche Projekte monatlich, wobei es sich noch meist um Alleineigentümer von Mehrfamilienhäuser handele. „Die haben weniger Abstimmungsbedarf und sind entsprechend schneller in ihren Prozessen.“
Bei WEGs müsse man sehen, dass diese oft nur jährlich zusammenkommen, um Beschlüsse zu treffen. Da gehen von der Grundsatzentscheidung über die Vergabe bis zur Umsetzung rasch zwei, drei Jahre ins Land.
Das bestätigt Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin beim Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. (GdW). „Viele unserer Mitglieder sind an der Umsetzung, statistische Aussagen können wir aber noch keine treffen,“ sagt Esser.
GdW und BSW haben gemeinsamen Leitfaden erstellt
Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer im Bundesverband Solarwirtschaft e. V. (BSW Solar), der mit dem GdW einen Leitfaden erstellt hat, in dem beide Verbände ihre Kompetenzen bündeln und kostenlos zum Download zur Verfügung stellen, betont, dass WEGs nach dem Grundsatzbeschluss einen Gebäudestromnutzungsvertrag unterzeichnen müssen. Sein Leitfaden enthalte einen solchen Mustervertrag. Ein zentraler Punkt des GGV sei, dass es eben keine Lieferantenverpflichtungen und viele weitere Aufklärungspflichten, zum Beispiel über Zahlungsmodalitäten etc., mehr gibt.
Das GGV besticht durch seine Bürokratiearmut“, sagt Carsten Körnig BSW Solar.
Deshalb ist sich der PV-Funktionär sicher, dass das Solarpaket I ein Erfolg wird, sobald sich dessen Details in der Branche herumgesprochen und die Hausverwalter ihre Daten über geeignete Dachflächen, Verbräuche, Anbieter und deren Angebote sowie das Interesse ihrer Bewohner abgefragt und erfasst haben. Und GdW-Geschäftsführerin Ingeborg Esser ergänzt: „Wenn unsere Vorreiter, die bis Sommer 2025 erste Vorhaben umgesetzt haben, von ihren Erfolgen berichten, entwickelt sich das Thema auch ganz schnell in der Breite.“
Das hat viele Gründe: Die Gebäude-PV spart durch den internen Eigenverbrauch Netzkosten; nutzt bereits vorhandene Flächen auf und an Gebäuden; wird ähnlich gut staatlich gefördert wie Freiflächen; schafft Kostensicherheit für die Verbraucher im Gebäude für ihren Eigenstromanteil; steigert den Wert der Immobilie und fördert generell in der Bevölkerung die Akzeptanz für regenerativ erzeugten Strom. BSW-Solar-Chef Carsten Körnig, dessen 1.100 Mitglieder 100.000 Jobs repräsentieren: „Unsere Mitglieder sind lieferfähig und warten auf die Aufträge.“
Verfügbarkeit von Smart Metern könnte Engpass werden
Ende 2024 hätten gerade mal 0,5 Prozent aller Mehrfamilienhäuser eine PV-Anlage gehabt mit einer installierten Gesamtleistung von 0,5 Gigawatt. Zum Vergleich: Mieterstrom sei Ende 2023 gerade mal auf 0,05 Gigawatt Leistung gekommen. Insgesamt seien bundesweit bislang erst 15 Prozent aller Wohngebäude „solarisiert“. Entsprechend liege das Potenzial allein hier bei 75 Gigawattpeak, das man in den kommenden Jahren heben könne.
Und beim GdW hat man ermittelt, dass 80 Prozent aller Mitgliedsbetriebe bereits Maßnahmen für PV-Strom ergriffen haben oder diese nun anstehen. Auch wurde erfragt, dass bislang 51 Prozent aller PV-Anlagen auf solchen Gebäuden zu 100 Prozent ins Netz einspeisen; dass 46 Prozent von Dritten betrieben werden; dass 33 Prozent als Mieterstrom genutzt werden; 22 Prozent eigengenutzt sind und sieben Prozent direkt vermarktet werden. Schließlich gilt das GGV auch für gewerbliche Nutzungen und die Preise für PV-Module und Zubehör, so die Prognose, bleiben auf absehbare Zeit günstig.
Entsprechend sollten deshalb die Smart Meter bei den Stadtwerken beantragt werden, allein schon, weil ab 2026 dynamische Strompreise gesetzlich vorgeschrieben sind. Bislang verfügen wohl nur fünf Prozent aller Haushalte über Smart Meter.
Preise für Smart Meter
Leonhard Fromm

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