„Die Zertifizierung einfach aussitzen finde ich arg problematisch“
Hajo Oertel war viele Jahre als Immobilienverwalter tätig. Inzwischen arbeitet er als Unternehmensberater und Dozent und er ist im Ehrenamt Prüfer bei der IHK in Bremen.
Herr Oertel, welche Eindrücke haben Sie aus den ersten Prüfungen um Zertifizierten Verwalter mitgenommen?
Wir ehrenamtlichen Mitglieder des Prüfungsausschusses sind ja in der mündlichen Prüfung aktiv. Ich war erst mal perplex, dass da Kandidaten saßen, die sich gar nicht hätten prüfen lassen müssen. Positiv hat mich überrascht, wie gut junge Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger vorbereitet waren. Das verdient ein großes Lob an die Betriebe, die ihre Mitarbeitenden gut vorbereiten, zum Beispiel durch die Teilnahme an Vorbereitungskursen. Und die tägliche Praxis hilft natürlich zusätzlich – wenn auch längst nicht für alle Bereiche.
Bei den ‚alten Hasen‘ hatte ich manchmal das Gefühl, die gehen vor nach dem Motto: So lange ich viel erzähle, können mir keine Fragen gestellt werden. Darauf mussten wir Prüfer uns erst mal ein wenig einstellen.
Grundsätzlich möchte ich sagen, dass wir Prüfer die Prüflinge ja nicht stolpern lassen wollen. Wir merken aber sehr schnell, ob jemand vorbereitet und wirklich im Thema ist oder nicht. Und so mussten wir durchaus auch schon Prüflinge durchfallen lassen. Man muss bedenken, dass viele Teilnehmende schon ewig nicht mehr in einer solchen Prüfungssituation waren.
Wird die schriftliche Prüfung online am Computer abgelegt?
Die schriftliche Prüfung erfolgt nicht online. In Bremen müssen die Kandidaten ganz „old school“ zur Prüfung kommen, sich in den Raum setzen und die 50 Prüfungsfragen mit Stift auf Papier in 90 Minuten beantworten. In anderen IHKs werden PCs zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung gestellt, aber immer im Haus der jeweiligen IHK.
Ist das eine Multiple-Choice-Prüfung oder wird freitextlich formuliert?
Die Prüfung wird im Multiple-Choice-Verfahren durchgeführt. Ohne dass ich zu viel verrate, werden Fragen gestellt und vier bis fünf Antworten vorgegeben. Tipp dabei: Es steht über den Antworten eine Punktzahl. Stehen dort zwei Punkte, weiß man schon, ein Kreuzchen ist zu wenig.
Muss ich eine IHK für die Prüfung aufsuchen?
Ja, tatsächlich – selbst bei der Online-Variante. Ich weiß von vielen Verwalterinnen und Verwaltern, dass sie die Prüfung nicht bei der eigenen regionalen IHK ablegen, sondern auch gern in eine andere Stadt fahren. Sicher auch, um nicht in der mündlichen Prüfung von den Mitbewerbern geprüft zu werden. Dr. Frank Zschieschack, Vorsitzender Richter am LG Frankfurt a.M., hat schon Anfang 2022 einen drohenden Prüfungstourismus vorausgesagt.
Gibt es Zahlen über bereits abgelegte Prüfungen?
Die Bremer IHK hat mir mitgeteilt, dass die Prüfungen gut gebucht sind. Bisher haben sich hier über 50 Teilnehmende prüfen lassen. Die Erfolgsquote wollte man mir nicht nennen Der DIHK ist gerade dabei, eine entsprechende Erhebung bei allen prüfenden IHKs durchzuführen. Nach meinem Kenntnisstand gibt es noch kein Ergebnis.
Sie sagten gerade, Sie hatten schon Kandidaten, die sich gar nicht hätten prüfen lassen müssen. Wer ist denn ohne die Zusatzprüfung dem Zertifizierten Verwalter gleichgestellt?
Es gibt vier Personengruppen, die keine Prüfung machen müssen. Das sind Beschäftigte mit der Befähigung zum Richteramt, Personen mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung zum Immobilienkaufmann/frau oder zum Kaufmann/frau in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft; Personen mit einem IHK-Abschluss Geprüfter Immobilienfachwirt/in und schließlich Hochschulabsolventen mit einem immobilienwirtschaftlichen Schwerpunkt. Befreit sind außerdem Mitarbeitende, die mit der WEG-Verwaltung im Unternehmen nichts zu tun haben, die zum Beispiel reine Mietverwaltung durchführen.
Wie schätzen Sie generell die Meinungen und die Bereitschaft der Verwalterbranche zur Zertifizierung ein?
Das Verschieben der Verpflichtung vom 1. Dezember 2022 auf den 1. Dezember 2023 hat etwas Druck aus der Sache genommen. Ich kenne einige Verwaltungsunternehmen, die sich 2022 – wie das ja oft im Tagesgeschäft ist – erst spät mit dem Thema beschäftigt hatten, dann auf den Pausenknopf gedrückt haben und nun nach der Versammlungssaison aktiv werden wollen. Tatsächlich habe ich von Verwaltern auch gehört, dass sie das Thema ‚aussitzen‘ wollen. Das finde ich arg problematisch. Zum einen kann es dazu führen – in erster Linie bei der Abgabe von Angeboten für neue Wohnanlagen –, dass man als nicht zertifiziertes Verwaltungsunternehmen nicht bei der Vergabe berücksichtigt wird. Zum anderen kann ein Unruhestifter in der Eigentümergemeinschaft mit dem Thema ein neues Streitfeld aufmachen.
Im Übrigen halte ich die Zertifizierung für eine gute Werbung: Hallo, ich bin schon jetzt zertifiziert. Letztlich ist es doch das, was wir Profiverwalter uns immer gewünscht haben. Ein Abheben von den ‚Bettkantenverwaltern‘. Und dazu gehört eben auch Wissen und gegebenenfalls eine Prüfung.
Was empfehlen Sie für die Vorbereitung auf die Prüfung?
Viele Vorbereitungskurse überfrachten und demotivieren die Prüflinge. Suchen Sie sich Kurse, bei denen man die Lerngeschwindigkeit selbst bestimmen kann. Und es sollte eine wirkliche Prüfungsvorbereitung sein und nicht „so werde ich Verwalter in vier Tagen“.
Die Fragen stellte Thomas Engelbrecht, IVV-Chefredakteur
Die Online-Lernplattform Prüfungsvorbereitung, wie Sie es wollen
Alle informationen und Anmeldung auf www.ivv-magazin.de/events/zertifizierter-verwalter
Thomas Engelbrecht
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